Samstag, 16. April 2011
Mutterseelenallein.
Wie sehr unterschätzt psychische Krankheiten wirklich sind, ist mir erst klar seit es mit Mama bergab geht. Tausche Krebs gegen Paranoide Schizophrenie. Wahrscheinlich trete ich jetzt ner Menge Leute gewaltig auf den Schlips. Mir egal. Die, die immer nur blöd meinen "immerhin lebt sie noch", treten mir drauf.

Ich will ein Ende. Ich will dass es absehbar ist. Weder mein Bruder noch ich haben die Energie das so noch die nächsten Jahre, Jahrzehnte weiterzumachen. Und es ist gerade mal ein bisschen mehr als ein Jahr vergangen. Gefühlt sind wir um 20 gealtert. Ich will etwas, das sie sehen kann. Etwas auf Röntgenbildern. Etwas, das man wegschnippeln kann, oder wo es zumindest einen Versuch wert ist. Und wenn nicht, dann eben nicht, aber immerhin weiß man, dass der Mensch daran stirbt, und nicht weil er sich vor einen Zug schmeißt, weil er seine Krankheit nicht erkennt.

Man kann mit diesen Menschen nicht normal reden. Ich versuche immer, das meinen Freunden klar zu machen, die mir raten, dies und das zu sagen. Es. Funktioniert. Nicht.

Ich war heute auf den Geburtstag eines Kollegen eingeladen. Ich dacht mir, wenns gut läuft, gehste halt danach zum Fritz (ja, Fritz K.). Es lief nicht gut. Bevor ich zum Geburtstag bin, ruft Mama an und erzählt wie immer das gleiche, aber diesmal sei es besonders schlimm, und wenn das morgen wieder so schlimm ist, dann kommt sie über das Wochenende zu mir.

Allein die Vorstellung, mit ihr länger als 10 Minuten in meiner Einzimmerwohnung zu sein, bringt mich um den Verstand. Das halte ich nicht aus. Ist nicht zumutbar. Niemandem. Ich sagte, ich meld mich wieder. Hab mit Papa telefoniert, und mit LeSchwe. Und bin mit maximaler Verspätung zu dem Geburtstag, um mich da nach einer Höflichkeitshalbenstunde wieder ans Telefon zu hängen. Mit Mutter. Es war eine einzige Katastrophe.

"Ich habe inzwischen Leute gefunden, die mir glauben und die mir helfen wollen. Vom Max-Planck-Institut, und vom Frauenhofer. Die eine Frau meinte, mir könnte eine Flüssigkeit gespritzt worden sein die das alles bewirkt. Und einen tollen Journalisten habe ich kennengelernt". Ich könnte kotzen, und zensiere absichtlich nicht diese Institute. Denn wenn es stimmt was sie sagt, dann handeln diese Personen grob fahrlässig. Haben die irgendeine Ahung, dass sie da mit einem Menschenleben spielen? Im wahrsten Sinne des Wortes? Ich könnt denen in die Fresse schlagen.

Mich lässt sie gar nichts sagen. Wenn ich sage: hör du mir jetzt mal zu, dann schreit sie mich nur an: lass mich ausreden. Sie brüllt und ist laut, und sagt, dass ich jetzt die Wahl habe, entweder es kommt zu einem großen Bruch zwischen uns, oder ich bin jetzt da für sie. Zu dem Bruch ist es doch längst gekommen, sage ich. Und sie schreit: wenn ich dir nur irgendetwas wert bin, sag der Katinka ab (die mich morgen besuchen kommen will)!

Ich sage: jetzt hörst du mir mal zu. Zum zehnten mal. Und will ihr erklären, dass ich mich lange mit S. darüber unterhalten habe. Er arbeitet in der Psychiatrie Er*langen als angehender Fa*charzt. Ich kenne ihn schon lange. Sie kennt ihn auch und schätzt ihn. Und ich will ihr einfach nur sagen, dass er mir gesagt hat, dass all ihre Symptome sowas von klassisch sind, inklusive der kompletten körperlichen Palette, dass es wieder höchste Eisenbahn für die Einweisung ist. Aber sie legt auf. Schon nach "jetzt hörst du mir mal zu".

Ich verabschiede mich nach einer Stunde auf dem Geburtstag, versuche irgendwas zu erklären, ohne die Tatsachen zu erzählen.

Man steht allein auf weiter Flur. Vater und Bruder sagen, was sollen wir denn machen, wir können nichts machen, sie arbeitet ja auch noch.

Sollen wir da weiter zuschauen? Mutterseelenallein. Dieser Begriff bekommt so neue Dimensionen. Wie kann eine Mutter da sein, ohne dass sie da ist. Dieses ewige Abschiednehmen macht mich krank. Wenn sie nicht bald wieder in die Klinik geht, dann geh ich dort hin.

Und der Fritz, der wär jetzt genau das richtige. Aber nur mit einer ordentlichen Ladung. Insofern. Dann doch alleine zu hause betrinken. Ich hasse das alles. Wie gesagt. Ein Deal mit dem Teufel. Ich bin bereit.