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Sonntag, 1. Mai 2011
Liebe Sturmfrau...
okavanga, 22:32h
...ich bin hin- und hergerissen was deine Frage angeht und die Beurteilung des "Lapidar"-Grades meiner Familie.
Mein Bruder, zum Beispiel, der fängt viel ab und ist viel häufiger als ich mit meiner Mutter konfrontiert als ich. Was allein schon daher rührt, dass er noch in der gleichen Stadt wohnt wie sie. Positiv bedingt dadurch ist vermutlich ein irgendwie "besseres" Verhältnis zwischen ihm und ihr. Er ist irgendwie natürlicher (wenn man das überhaupt sagen kann) in diese Situation hineingewachsen als ich. Nichtsdestotrotz berührt es ihn genauso wie mich, denke ich, und er ist genauso überfordert, nur schlummert in ihm derzeit eine ganz akute Hilflosigkeit, und ich denke, dass es uns da ähnlich geht. Nur hat er gerade (und ich vermute stark aus Selbstschutz) ein bisschen die Hände in verzweifelter/resignierter Abwehrhaltung.
Viel ausgeprägter ist das von mir empfundene Gefühl der Gleichgültigkeit, das mir mein Vater und seine Frau (auch meine Chefin, was sich derzeit für mich als schwierig gestaltet, aber davon ein ander mal) vermitteln. Sie sagt zum Beispiel Dinge wie: "Deine Mutter ist jetzt in Großhadern. Dein Bruder hat ihr die Bedingung gestellt, dass sie ihm nicht 3 Stunden lang auf der Fahrt dorthin ihr Zeug erzählt, und sie hat sich daran gehalten". Und das sagt sie mit einem gewissen Lächeln. Bestimmt nicht bösartig. Und trotzdem. Und ich denke mir: für euch ist die Hauptsache, dass sie die Fresse hält. Versteht ihr nicht, dass diese Frau jeden Tag durch die Hölle geht. Warum machen wir es uns alle so leicht. Für mich ist es damit nicht getan. Hört auf so über sie zu reden.
Aus Sicht meines Bruders ist es absolut korrekt, dass er ihr das sagt. Und es ist auch wichtig, so auch das Feedback, das ich von der Leiterin einer Selbsthilfegruppe bekommen hatte, das ist schon länger her. Sie hat einen Sohn mit paranoider Schizophrenie und wies darauf hin, dass es wichtig für die Betroffenen ist zu reden, aber dass man Limits setzen muss, weil man sonst wirklich absäuft, und es belastet das Verhältnis extrem. Insofern hat er alles richtig gemacht aus meiner Sicht. Schade finde ich, wie man es mir erzählt.
Mein Vater sagt: "Sie arbeitet ja auch noch, was sollen wir machen" und meint damit glaub ich auch: wir wissen alle, dass sie im erneuten längeren Krankheitsfall keine Lohnfortzahlungen hat. Was sollen wir tun. Sie der Arbeitslosigkeit bzw. Sozialhilfe aussetzen?
Hier müssten wir uns (alle, zumindest mein Bruder und ich) viel besser informieren. Kann es wirklich sein, dass jemand mit einer solchen Krankheit nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in die Sozialhilfe fällt und anschließend eine nicht vollständige Rente erhält?
Aber auch ich kümmer mich nicht. Ich schiebe es so oft so weit weg von mir. Bis immer wieder etwas kommt, um das ich nicht drumrum komme. Etwas, das mir wieder das Brett vor den Kopf schleudert: das gehört einfach zu deinem Leben.
Ich möchte auf meine Familie nicht mit dem Finger zeigen, weil ich selbst unter meinen Möglichkeiten bleibe. Aber ich habe das Gefühl, wenn ich das Gespräch und Möglichkeiten suche mit ihnen, dann werden mir nicht unbedingt Hände gereicht. Und das macht es mir gerade sehr schwer. Denn auch mein Kumpel, der in der Psy*chiatrie Er*langen arbeitet, meint: ihr müsst alle an einem Strang ziehen. Das fühle ich gerade nicht. Aber ich glaube, dass es aus Hoffnungs- und Hilflosigkeit resultiert. Nicht aus Unwille. Und auch daraus, dass es unangenehm ist. Es tut weh.
Das schlimmste ist tatsächlich der komplette Verlust der Bindung zu meiner Mutter. Ein immerwährendes Abschiednehmen, Gewöhnen an eine Situation. Bzw. nicht nur das, sondern eigentlich auch Kämpfen gegen diese Situation (mir fehlt die Kraft so oft). Meine Mama fehlt mir so sehr. Die nervigen Fragen, ob ich Socken brauche. Ob ich zum Essen komme. Ob wir Radfahren. Und selbst wenn sie so etwas fragt (sagt), wie "ich komme dich besuchen", dann stellen sich mir alle Haare auf. Weil ich dann ständig eine Person vor mir habe, die ich nicht mehr erkenne. Und die ich doch so sehr liebe. Mir tut das alles zu sehr weh, als dass ich mich damit beschäftigen könnte, aber es ist ein Teufelskreis.
Letzte Woche kam etwas dazu. Meine beste Freundin arbeitet bei einer Bu*ndes*ta*gsabgeordn*eten der Grü*nen (das weiß meine Mama nicht - Ironie des Schicksals). Und sie hat mich angerufen. Und gesagt, dass meine Mutter an dieses Büro geschrieben hat. Sie hat mir die Unterlagen gesendet und käme sicher in Teufels Küche, wenn rauskäme, dass sie Unterlagen aus dem Büro gegeben hat. Aber sie meinte: "Oka. Du bist meine Freundin. Und ich finde, du solltest das alles wissen."
Die Inhalte des Schreibens haben mich nicht überrascht. Und fast erleichtert war ich, dass sie nun vielleicht eine konkretere Vorstellung davon hat, was mit meiner Mama ist. Man kann es sonst so schwer vermitteln.
Sie hat an so viele Stellen geschrieben. Es würde mich nicht wundern wenn meine Mutter deutschlandweit irgendwann an sämtlichen Ämtern/ Stellen so bekannt ist wie ein bunter Hund. Staatsanwälte, Ärztekammern, Institute, Polizei, Presse.
Ich würde mir einen Hafen, Ruhepunkt auch sehr wünschen. Habe mich am Freitag nach einer Gruppe erkundigt, Rückmeldung erhalten und heute telefoniert. Wenn mir die Gruppe zusagt, werde ich dort ab dem 9.5. immer aufschlagen. Und hoffen, hoffen, hoffen. Ich hätt gern meine Mama zurück, solang sie noch lebt.
Danke, ich schätze Ihre Kommentare sehr, allein schon, weil Sie mich immer so zum Nachdenken anregen. Und solche Gedanken wie geschrieben nach sich ziehen. Manchmal brauche ich einfach die richtigen Fragen.
Mein Bruder, zum Beispiel, der fängt viel ab und ist viel häufiger als ich mit meiner Mutter konfrontiert als ich. Was allein schon daher rührt, dass er noch in der gleichen Stadt wohnt wie sie. Positiv bedingt dadurch ist vermutlich ein irgendwie "besseres" Verhältnis zwischen ihm und ihr. Er ist irgendwie natürlicher (wenn man das überhaupt sagen kann) in diese Situation hineingewachsen als ich. Nichtsdestotrotz berührt es ihn genauso wie mich, denke ich, und er ist genauso überfordert, nur schlummert in ihm derzeit eine ganz akute Hilflosigkeit, und ich denke, dass es uns da ähnlich geht. Nur hat er gerade (und ich vermute stark aus Selbstschutz) ein bisschen die Hände in verzweifelter/resignierter Abwehrhaltung.
Viel ausgeprägter ist das von mir empfundene Gefühl der Gleichgültigkeit, das mir mein Vater und seine Frau (auch meine Chefin, was sich derzeit für mich als schwierig gestaltet, aber davon ein ander mal) vermitteln. Sie sagt zum Beispiel Dinge wie: "Deine Mutter ist jetzt in Großhadern. Dein Bruder hat ihr die Bedingung gestellt, dass sie ihm nicht 3 Stunden lang auf der Fahrt dorthin ihr Zeug erzählt, und sie hat sich daran gehalten". Und das sagt sie mit einem gewissen Lächeln. Bestimmt nicht bösartig. Und trotzdem. Und ich denke mir: für euch ist die Hauptsache, dass sie die Fresse hält. Versteht ihr nicht, dass diese Frau jeden Tag durch die Hölle geht. Warum machen wir es uns alle so leicht. Für mich ist es damit nicht getan. Hört auf so über sie zu reden.
Aus Sicht meines Bruders ist es absolut korrekt, dass er ihr das sagt. Und es ist auch wichtig, so auch das Feedback, das ich von der Leiterin einer Selbsthilfegruppe bekommen hatte, das ist schon länger her. Sie hat einen Sohn mit paranoider Schizophrenie und wies darauf hin, dass es wichtig für die Betroffenen ist zu reden, aber dass man Limits setzen muss, weil man sonst wirklich absäuft, und es belastet das Verhältnis extrem. Insofern hat er alles richtig gemacht aus meiner Sicht. Schade finde ich, wie man es mir erzählt.
Mein Vater sagt: "Sie arbeitet ja auch noch, was sollen wir machen" und meint damit glaub ich auch: wir wissen alle, dass sie im erneuten längeren Krankheitsfall keine Lohnfortzahlungen hat. Was sollen wir tun. Sie der Arbeitslosigkeit bzw. Sozialhilfe aussetzen?
Hier müssten wir uns (alle, zumindest mein Bruder und ich) viel besser informieren. Kann es wirklich sein, dass jemand mit einer solchen Krankheit nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in die Sozialhilfe fällt und anschließend eine nicht vollständige Rente erhält?
Aber auch ich kümmer mich nicht. Ich schiebe es so oft so weit weg von mir. Bis immer wieder etwas kommt, um das ich nicht drumrum komme. Etwas, das mir wieder das Brett vor den Kopf schleudert: das gehört einfach zu deinem Leben.
Ich möchte auf meine Familie nicht mit dem Finger zeigen, weil ich selbst unter meinen Möglichkeiten bleibe. Aber ich habe das Gefühl, wenn ich das Gespräch und Möglichkeiten suche mit ihnen, dann werden mir nicht unbedingt Hände gereicht. Und das macht es mir gerade sehr schwer. Denn auch mein Kumpel, der in der Psy*chiatrie Er*langen arbeitet, meint: ihr müsst alle an einem Strang ziehen. Das fühle ich gerade nicht. Aber ich glaube, dass es aus Hoffnungs- und Hilflosigkeit resultiert. Nicht aus Unwille. Und auch daraus, dass es unangenehm ist. Es tut weh.
Das schlimmste ist tatsächlich der komplette Verlust der Bindung zu meiner Mutter. Ein immerwährendes Abschiednehmen, Gewöhnen an eine Situation. Bzw. nicht nur das, sondern eigentlich auch Kämpfen gegen diese Situation (mir fehlt die Kraft so oft). Meine Mama fehlt mir so sehr. Die nervigen Fragen, ob ich Socken brauche. Ob ich zum Essen komme. Ob wir Radfahren. Und selbst wenn sie so etwas fragt (sagt), wie "ich komme dich besuchen", dann stellen sich mir alle Haare auf. Weil ich dann ständig eine Person vor mir habe, die ich nicht mehr erkenne. Und die ich doch so sehr liebe. Mir tut das alles zu sehr weh, als dass ich mich damit beschäftigen könnte, aber es ist ein Teufelskreis.
Letzte Woche kam etwas dazu. Meine beste Freundin arbeitet bei einer Bu*ndes*ta*gsabgeordn*eten der Grü*nen (das weiß meine Mama nicht - Ironie des Schicksals). Und sie hat mich angerufen. Und gesagt, dass meine Mutter an dieses Büro geschrieben hat. Sie hat mir die Unterlagen gesendet und käme sicher in Teufels Küche, wenn rauskäme, dass sie Unterlagen aus dem Büro gegeben hat. Aber sie meinte: "Oka. Du bist meine Freundin. Und ich finde, du solltest das alles wissen."
Die Inhalte des Schreibens haben mich nicht überrascht. Und fast erleichtert war ich, dass sie nun vielleicht eine konkretere Vorstellung davon hat, was mit meiner Mama ist. Man kann es sonst so schwer vermitteln.
Sie hat an so viele Stellen geschrieben. Es würde mich nicht wundern wenn meine Mutter deutschlandweit irgendwann an sämtlichen Ämtern/ Stellen so bekannt ist wie ein bunter Hund. Staatsanwälte, Ärztekammern, Institute, Polizei, Presse.
Ich würde mir einen Hafen, Ruhepunkt auch sehr wünschen. Habe mich am Freitag nach einer Gruppe erkundigt, Rückmeldung erhalten und heute telefoniert. Wenn mir die Gruppe zusagt, werde ich dort ab dem 9.5. immer aufschlagen. Und hoffen, hoffen, hoffen. Ich hätt gern meine Mama zurück, solang sie noch lebt.
Danke, ich schätze Ihre Kommentare sehr, allein schon, weil Sie mich immer so zum Nachdenken anregen. Und solche Gedanken wie geschrieben nach sich ziehen. Manchmal brauche ich einfach die richtigen Fragen.
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