Mittwoch, 1. Februar 2012
Fundstück.
Mein neuer Therapeut, für den ich immer noch keinen Namen habe, hat mir heute ein paar Fragen zum bisher abgegebenen Teil des Anamnesebogens gestellt. Unter anderem: "Dieses Gefühl, irgendwo falsch abgebogen zu sein... wann hatten Sie das zum ersten mal?" Ich konnte ihm das nicht beantworten. Der Rest der Stunde hat mich sehr aufgewühlt.

Gerade packe ich für den Skiurlaub ab Freitag. Morgen gehts nach Monnem und am Freitag dann von dort aus zum Wi*lden Ka*iser bis Dienstag.

In meiner Wäscheschublade fällt mir eine kleine Kladde in die Hand.

Erster Eintrag.
Mannheim, 7.1.2011
Dieses Buch hat mir mein Bruder zu Weihnachten geschenkt, eigentlich für meinen neuen Job, den ich nun doch nicht habe.
Es soll mich jetzt begleiten auf meinem Weg - wo auch immer dieser hinführt.

Die ersten Gedanken für hier. Mein Leben mit 30 hab ich mir immer anders vorgestellt. Und nun werde ich bald 31. Ab 1.3. ohne Job, ohne festen Wohnsitz. Ohne festen Partner. Ohne Ziele, ohne Visionen, spüre auch keine Träume in mir. Wo sind die hin?
Zudem eine Mutter mit Wahnvorstellungen/ paranoider Schizophrenie im Gepäck. In Summe klingt das nach einer scheiss Bilanz. Ich habe keine Ahnung was ich tun soll, wohin mit mir. Bin wie gelähmt. Vor allem in den Gedanken. Wenn diese wieder fließen würden, vielleicht würden mir auch Taten wieder leichter fallen. Doch so. Angst vor nächsten Schritten. Alles dreht sich um die Frage: wie konnte ich zu diesem Punkt gelangen? Nicht: wie komme ich von hier bloß wieder weg? Ich wage nicht meine ehemalige Therapeutin anzurufen. Komme mir nichtig vor in meinen Anliegen, in meiner Orientierungslosigkeit.

Vielleicht sollte ich einfach raus. Meinen Gedanken Raum und Zeit schenken, damit sie sich wieder zu mir trauen. Ideen, Träume, Vorstellungen von dem, was ich eigentlich tun will.

Ich fühle mich zurückgeworfen auf Null mit der Chance auf Alles/Neues, und bin damit heillos überfordert. Schreib eine Liste mit allen Möglichkeiten, empfiehlt mir eine Freundin. Eine gute Idee, dachte ich, und setzte mich vor ein leeres Blatt. Es ist nun zur Hälfte voll, jeweils nur 1 Wort unter dem anderen. Der Inhalt ist oberflächlich und zeigt mir nur, dass ich keine Ahnung habe von dem was ich will. Wie kann ich das nicht wissen?

Ich wollte immer zurück nach Südafrika. Jetzt nicht mehr. Es wäre anders als damals, und was will ich dort tun? Es kann nicht sein, denke ich, dass ich mich so wenig kenne. Wer ist das in mir, und warum sagt er nichts?

Ich habe Angst vorwärts zu gehen, sehe glühende Kohlen vor mir, und weiß, dass meine Haut dünn ist.

Einfach auf irgendwelche Jobs bewerben, die so irgendwie zu meinem Studium passen? Der Job wäre gut für mich gewesen. Personalentwicklung. Menschen. Werte. Strategien. Mir fehlt die Ausbildung und Erfahrung um mich andernorts dafür zu bewerben. Wo sind diese Stellen? Wer will mich? Ich will mich selbst grad nicht, wie soll ich mich da verkaufen? Schicksal zeig mir den Weg, ich bin so blind.

Soll ich nach Hinweisen suchen, dem Zufall vertrauen, aufs Schicksal bauen? Oder irgendwie finden, was ich will? (rausfinden) Wie geht das?

Habe Angst einen falschen Weg einzuschlagen. Mich zu verbrennen, ewig auf der Suche nach dem, was mich befriedigt, erfüllt, was ich gern tue?

Hätte heiraten wollen und Kinder kriegen und Häuschen bauen, und weiß doch, dafür bin ich nich bereit/gebaut, hätte es nie annehmen können. Wollte ich das wirklich? Bleib ich ewig allein? Ich vermisse in dieser Situation jemanden an meiner Seite. Jemanden, der mich kennt, aber wie soll das gehen, frag ich mich, wo ich selbst mich doch so offensichtlich so schlecht kenne.

Wohin gehen, damits richtig wird. Damit ich mich mir näher. Wo finde ich mich. Denk ich zuviel? In zu steifen Bahnen, sagt mein Bauch, aber mehr weiß der Klugscheisser dann auch nicht.

Schreiben würd ich gerne. Soviel schreiben und erzählen. Über mich, meine Familie, Menschen in meinem Umfeld. Aber wen interessiert das, außer mich. Wäre es nicht nur Aufarbeitung? Der Versuch zu verstehen. Vielleicht. Ich glaub, ich kann nicht so gut für andere schreiben. Ein Buch über meine Mutter. Oder diese 3 Frauen. Oma. Mama. Ich. Und die 4., ungeplante, namens Schizophrenie. Aber wie das tun, wo ich doch das Ende nicht kenne, außer das von meiner Oma. Und die wirkt so nach.

Null Uhr. 8.1.
Bin unruhig, unschlüssig. Etwas krabbelt in mir. Was es sein mag. Ich weiß es nicht.

Das Wasser, das in der Geschirrspülmaschine den großen Suppentopf auswäscht. Es klingt wie Glockengeläut.

Vielleicht doch Berlin, ich habe in den letzten Jahren oft über Berlin nachgedacht und nie etwas gespürt. Undjetzt ist da so ein Ziehen. Was tun, in Berlin? Denk nach, Oka. Denke frei und wild und ungestüm. Phantasiere!


Zweiter und letzter Eintrag.
Nürnberg, 27.2.11
Vertrag für 6 Monate. Jetzt sitze ich wirklich hier. Hier. Es fühlt sich nicht wirklich falsch an, aber etwas in mir ist geschockt. Ich sitze auf dem Bett, schaue aus der Balkontür, davor: nicht Mannheim.

Mannheim. Ich fühle mich als würde ich auf etwas warten. Vielleicht, dass mich jemand abholt, nach Hause holt. Muss weinen, weiß nicht warum. Heimweh? Entwurzelt? Hier neue Wurzeln schlagen? Fühle mich als würde ich 6 Monate Praktikum machen.

Ich kann immer wieder zurück, denk ich mir. Doch werde ich es tun? Wie absolut merkwürdig, dass ich jetzt wirklich hier sitze.


Außer, dass ich den Job immer noch habe, aber ohne Geschirrspülmaschine bin und mir die Bestätigung gegeben wurde, dass mir die Tätigkeit ansich Spaß macht, hat sich keine Zeile davon geändert. Vielleicht bin ich da einfach falsch abgebogen, trotz aller Erfahrung die ich inzwischen gemacht habe. Als ich die Sicherheit gewählt habe, damals. Und nicht das Risiko.

Fällt mir jetzt erst auf, was auf dem Cover der Kladde steht. "Gedanken sind der Anfang von Taten". Mal schauen wann ich endlich ausgedacht habe.

Seelenheil ~ ... link (3 Kommentare)   ... comment