Sonntag, 9. Februar 2025
Of monsters and men.
Letzte Nacht habe ich mal wieder vom kleinen Herrn Professor geträumt, das letzte mal war im Sommer 2023, zu Beginn der Krebserkrankung meines Vaters und dem gleichzeitig akuter werdenden Sterbewunsch meiner Mutter. Wenn ich davon ausgehe, dass er immer noch als Stressindikator dient, scheint momentan ziemlich viel in mir abzugehen. Dem ist ja auch so, auch wenn ich das sehr gut verdränge. In den letzten Tagen drückt es nach oben. Doch so genau mag ich immer noch nicht hinsehen.

Der Traum war interessant. Während sich über die Jahre mein nächtliches Verhältnis dem kleinen Herrn Professor gegenüber von abgeneigt zu neutral entwickelte, war ich ihm im Traum nun freundlich zugewandt. Er lebte allein und einsam auf einem Schloss bei Frankfurt. Er hatte dunkle Haare und eine neue Brille. Eigentlich ist er rotblond. Er wirkte einsam und hatte irgend einen Verlust erlitten, ich erinner mich nicht genau, den der Mutter? Sämtliche Nahestehende? Ich umarmte ihn innig, er weinte und bedankte sich, meinte, das tue sehr gut, und ich könne das gut, jemanden auffangen und halten. Im Traum vermutete ich, dass er keine Drogen mehr nimmt, es mutete irgendwie so an. Doch dann klingelten plötzlich zwei ältere Frauen, anscheinend aus seiner Arbeit, er solle irgend etwas an ihren Laptops updaten, bevor er sich für mehrere Wochen in die Klinik verabschiedet. Im Traum wusste ich, dass es sich dabei um eine Suchtklinik handelt. Ich war überrascht, dass er mir davon nichts erzählt hatte, denn unser Gespräch war sehr vertrauensvoll. Doch ich ließ es so stehen und wünschte ihm von Herzen alles Gute.


Gester Abend besuchte ich eine Freundin. Wir unterhielten uns lang über meine Erfahrungen hinsichtlich der Gruppensituation, -prozesse und -dynamik in meiner Ausbildung, wie sehr mich das herausfordert. Die ewige Angst nicht dazuzugehören. Die Anstrengung, die Kontakt für mich oft bedeutet. Gleichzeitig die Angst vor dem Einstieg in einen neuen Beruf, die große Überwindung Bewerbungen zu schreiben. Etwas ist momentan in mir verrutscht, seit langem erahne ich wieder das große schwarze Loch in mir, das ich seit der Akutklinik vor knapp 3 Jahren zunehmend nähren konnte, doch das mir nun wieder von großer Bedürftigkeit und Verlorensein erzählt.

Interessant, dass mich heute ein Kontakt aus der Akutklinik anschrieb, ein Mann. Wir hatten in der Klinik eine interessante Dynamik, denn er triggerte mich zu Beginn dort extrem an. Ich hatte unglaubliche Angst vor ihm, so große, dass ich die Gruppe oder den Raum öfters verließ. Im Lauf der Wochen dort setzten wir uns erst mithilfe unserer Therapeuten und dann miteinander auseinander. Was macht das bei mir, was macht das bei ihm. Es ist krass, dass wir uns in manchen Dingen sehr ähnlich sind, und zwar in den dunklen - Persönlichkeitsanteile wie auch Erfahrungen. Kein Wunder dass ich Angst vor ihm hatte. Inzwischen haben wir friedlichen, losen Kontakt, heute erzählte er mir von seiner immer wiederkehrenden Erkenntnis, wie beziehungsunfähig er ist, obwohl er sich so sehr nach echter Nähe sehnt, emotional wie körperlich. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Es war ein netter, kurzer Austausch. Er wollte dann gerne telefonieren, doch ich habe das Bedürfnis, ihn etwas auf Distanz zu halten, und er akzeptiert und respektiert das.

Erstaunlicherweise meldete sich kurz danach ein anderer Kontakt aus der Klinik, N., mit der ich auch auf den Philippinen war vor zwei Jahren. Sie sendete mir mehrere Sprachnachrichten, mit dem schriftlichen Zusatz danach, es mir nur anzuhören, wenn ich ausreichend Zeit und Kapazität habe, es sei ziemlich deep. N. und ich haben unregelmäßigen aber herzlichen Kontakt. Zuletzt sahen wir uns Anfang Januar nach meiner zweiten Ausbildungswoche. Wir waren gemeinsam mit K. beim Inder essen. K. lernten wir ebenfalls in der Akutklinik damals kennen, mit ihm hatte ich Dynamiken ganz anderer Art (romantischer, aber nicht ausgelebt). Beide wohnen im Großraum meines Ausbildungsinstituts. Die Sprachnachrichten höre ich mir vielleicht lieber morgen an. Heute ist ein sehr seltsamer Tag, auf emotionaler Ebene. Später werde ich mich mit V. treffen um House of the Dragon zu bingen, als Fortsetzung zu letztem Sonntag. Die ersten Folgen waren extrem enttäuschend für mich.

Nunja. Und seit ich als i Tüpfelchen nach den letzten 2 Wochen am Freitag die Heute-Show und insbesondere Böhmermann gesehen habe, ist meine psychische Kapazität für politische Monströsität aktuell leider komplett erschöpft. Nicht resigniert! Aber die Nachrichten müssen kommende Woche weitestgehend ohne mich auskommen.

~ Of Monsters and Men - Human


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Montag, 3. Februar 2025
Bescheid zwar da, aber Geld noch nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das mal so stresst. Früher war ich da ein ganz anderer Typ. Im Erststudium war die Devise: hauptsache es reicht für Kippen und Party. Wollte der Automat mal wieder nichts ausspucken, zur Bank spaziert und gefragt, ob sie mir nicht noch 10 Mark (ja) auszahlen könnten. Die kannten mich schon, und meinten meistens: na komm her, da haste. Jedes mal war ich von der Ebbe auf dem Konto überrascht. Aber eigentlich wars mir egal. Also klar, ich wollte Geld, aber psychisch hat diese Ebbe nichts ausgelöst. Oder ich konnte es nicht spüren.

Ich war komplett desorganisiert: bezüglich Geld, Haushalt, Alltag, Termine und auch Studium. Wirklich gestört hat mich das nicht, ich habe es einfach nicht besser hinbekommen und mich nur gewundert, warum das den meisten einfach alles so scheinbar leicht fällt. Erst in der Mitte meiner 30er lernte ich mich besser zu organisieren. Vielleicht auch, weil ich mit dem Zweitstudium endlich eine klare Ausrichtung hatte, die von Herzen kam.

Heute kuck ich da nochmal anders drauf, auch, weil mich eine Therapeutin mit Ende 20 mal fragte, ob es bei mir mal einen Verdacht auf ADS gab. Sie fragte das, nachdem ich ihr erläutert hatte was Amphetamine bei mir auslösen. Interessanterweise machen Amphetamine inzwischen etwas ganz anderes. Also was heißt inzwischen - das letzte mal ist mindestens 7 Jahre her, ich weiß es schon gar nicht mehr.

Oft wünsche ich mir die Sorglosigkeit meines 20-jährigen Ichs zurück. Es ist geradezu grotesk, dass ich mit wachsender Erfahrung, wo ich so viel gemeistert habe, zunehmend Schwierigkeiten mit solchen Unsicherheiten habe. Wo doch immer alles irgendwie geworden ist, und meistens nicht nur irgendwie, sondern richtig gut.

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Samstag, 7. Dezember 2024
Moment, wieder.
Es macht mich sehr froh uns so völlig verschiedene Menschen ganz ohne Promille tanzen zu sehen. Keiner versucht besonders schön zu tanzen, alle tanzen eben einfach so, wie sie es gerade fühlen, und das sieht manchmal bezaubernd skurril aus. Ich liebe die Patientendisko.

Es wird in den nächsten Monaten vermutlich seltsam sein, auf die andere Seite zu wechseln. Und ich finde es so schön, dass ich diese Seite der Patienten kenne.

Morgen hat meine Mutter Geburtstag. Seit dem 20.11.23 frage ich mich, ob ich da nun gratuliere oder kondoliere. Rufe ich an, schreibe ich nur eine SMS? Mit meiner Bezugstherapeutin hier hatte ich gute Gespräche zum Mutterthema. Auch mal sehr interessant mit einer Frau dazu zu sprechen, zumal einer die, wie sie mir anfangs signalisiert hatte, persönliche Erfahrung mit Suizid im Umfeld hat.

Ich nehme hier viel mit, und doch wartet da draußen eben die ein oder andere Realität, vor der mir graut. Das hat mich heute tagsüber ziemlich runtergezogen, nachdem die letzten Tage mitunter sehr fröhlich waren. Irgendwann am Nachmittag raffte ich mich auf und lief im Nieselregen durch den Wald. Sonst keine Menschenseele unterwegs. Im Wald fühle ich mich immer aufgehoben, geborgen. Eigentlich geht mir das in Natur immer so, aber vor allem im Wald. Ich fühle mich wie ein Teil von etwas Ganzem.

Da fällt mir das Gespräch mit N. ein, über mein Patenkind J. Er hat ja die ADS Diagnose. Es ist sehr schwierig mit ihm. Klauen, Lügen, Störung in der Schule. Seine Kinderpsychotherapeutin empfiehlt nun doch Medikamente. N. habe ich in den ganzen 44 Jahren, die wir uns nun kennen, sehr selten weinen gesehen oder gehört. Es hat mich sehr berührt ihren Schmerz zu hören. Ich frage sie, ob sie Angst hat, und weiß eigentlich schon, dass sie die natürlich hat. Mit ihrer eigenen gravierenden und langjährigen Substanzhistorie fällt es ihr unglaublich schwer den Gedanken an Medikamente zuzulassen. Doch signalisierte die Therapeutin auch, dass J. vermutlich, wenn er nicht lernt sich zu regulieren, irgendwann zu Selbstmedikation greifen würde. Ich stelle es mir unerträglich vor für N. Wenn jemand weiß, was das bedeuten könnte, dann sie. Ich wäre so gerne näher bei ihnen. Ich ermutige sie zu den Medikamenten. Es kann eine Chance für J. sein. J. selbst (mit ihm wurde das Medikamentethema noch nicht besprochen) fühlt sich anscheinend familiär sehr außen vor, während er natürlich durch die ganze Thematik viel Raum in der Familie einnnimmt. N. erwähnte, dass J. neulich meinte er würde einfach gerne ein Teil von ihnen [eben der Familie] sein. Das zerbricht ihr das Herz, und mir auch wenn ich das höre. Gleichzeitig finde ich es so stark, dass er Zugang zu seinen Emotionen hat und das so auch ausdrücken kann. Sie erwähnte noch etwas, auch dabei erstaunte mich, wie sehr J. doch aber selbst auf eine Art erkennt, was ist, und wie gut er ausdrücken kann was in ihm ist. Ich hoffe, er kann das beibehalten und ausbauen.

Vor einigen Wochen fragte er N., ob ich denn über Sylvester wieder komme. N. und ich hatten zu dem Zeitpunkt bereits darüber gesprochen und ich plane da zu sein. J. freut sich wohl riesig auf meinen Besuch. Auch das berührt mich so doll in meinem kleinen Herz. Er scheint die gemeinsame Zeit letztes Jahr in genauso positiver Erinnerung zu haben wie ich. Ich will ihm weiterhin eine wohlgesonnene Person ohne Erwartungen an ihn sein. Ihn einfach annehmen wie er ist. Ich denke er spürt sehr deutlich dass das so ist und auch das macht mich froh. Er soll wissen, dass irgendwo jemand ist der ihm einfach nur eine gelassene Hand auf der Schulter sein will, eine Hand die sagt: "Ich bin da, J."

Ja also ein kleiner Exkurs, naja passiert.

Ich träume hier sehr oft von Intimität und Sex. Fast jede Nacht Das macht mich nachdenklich. Ich glaube das ist etwas, nach dem ich mich langsam wieder sehne. Etwas, das in meinem hardcore Alltag der letzten Jahre zwischen Arbeit, Studium, Haushalt und bissl Freizeit sehr untergegangen ist. Dafür war kein Raum. Auch kein emotionaler. Ich habe auch Angst davor, wieder Nähe zuzulassen. Aber ich glaube, es ist an der Zeit dafür offen zu sein. Wenn ich nur nicht so unsicher wäre: kann mir wirklich jemand nahe sein wollen??? MIR??????

Finde gerade keinen Schluss, aber mag nicht mehr schreiben.


[NTM: "Stark und sanft"]

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Samstag, 30. November 2024
Moment.
Intensive Zeit hier. Das ist unerwartet. Es ist nicht so wie in der Akutklinik vor 2,5 Jahren, aber doch viel therapieintensiver als gedacht. Vor allem die KBT bzw. psychodynamische Haltungsintegration lösen viel in mir (aus). Ich will mir für die nächsten Jahre eine Selbsterfahrung suchen, die Körperarbeit integriert. An manche Dinge, vor allem die vorsprachlichen, komme ich kognitiv-sprachlich einfach nicht ran.

Heute dann Exkursion mit der Stammgruppe auf den örtlichen Weihnachtsmarkt, anschließend Pizzaessen. Zum Abschluss wieder Patientendisko. Ein schönes Gespräch mit einem Mitpatienten gehabt. Wie gerne würde ich einfach allen Menschen mit Depressionen mein verinnerlichtes weil selbsterlebtes Wissen vermitteln, dass es gut werden kann. Bleib dran, sage ich. Es dauert einfach. Gib dir Zeit. Gib nicht auf, es lohnt sich, ich verspreche es dir. Dabei kann ich es nicht versprechen. Doch ich wünsche es ihm so sehr. Wieder schließen wir den Abend mit "Moment" von Nicolas Binder. Es ist einfach mein Reha Track.

Ich lerne hier so viel. Über meine Schubladen, über Menschen aller Art. Über mich als Patientin, und für mich als angehende Psychotherapeutin. Sehr dankbar.

~ Nicolas Binder - Moment

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Mittwoch, 20. November 2024
Tag X + 1 Jahr.
Es jährt sich zum ersten mal. Sehr dankbar, genau jetzt in der Reha zu sein. Die Therapeutin fragt mich nach einem Ritual. Letztes Jahr habe ich versucht mir den Tag mit sehr heißen Saunagängen und eisigem Wasser aus dem Körper zu treiben. Das war sehr hilfreich, resultierte aber in einer krassen Blasenentzündung.

Sie fragt mich, ob es vielleicht gut für mich wäre einen Brief zu schreiben, den ich hier dann irgendwo im Wald verbrenne oder in den Fluß gebe. Loslasse. Aber mir fehlen immer noch die Worte, sage ich. Genau das steht dann eben in dem Brief.

Diesen Brief habe ich eben geschrieben, unter anderem "Manchmal kommt es mir so schrecklich banal vor, belanglos, bedeutungslos, der Rede nicht wert. Dann wieder finde ich es so unsäglich schrecklich. Der Rede nicht wert. Unsäglich. Es scheint, egal wie ich es betrachte - mir fehlen die Worte".

Das will ich hier festhalten, weil mir da endlich klar wurde, warum ich noch keine Worte finde, vielleicht nie finden werde.

~ Kiasmos - Dazed

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Samstag, 16. November 2024
The sound of rehab.
Schon bald sind die ersten zwei Wochen rum. Es tut so unfassbar gut nach den ganzen letzten Wochen, Monaten und Jahren. Das heilsamste seit langem ist das therapeutische Boxen. Selten habe ich so viel Energie durch mich durchrasen gespürt. Als hätte ich eine Dynamitbox angezündet. Ganz allein in Raum, nur mit mir selbst, meinen Fäusten, dem Boxsack und meinen Emotionen. Hartes Elektro auf den Ohren. Gestern bin ich danach drei Stunden allein durch den Wald gewandert. Die Playlist ließ ich einfach weiterlaufen, mich von ihr weitertragen. Irgendwann stehe ich tief im Herbstwald, die wildesten Emotionen etwas abgeflacht. Ich stehe da, breite die Arme aus, schaue nach oben, an den Bäumen ist noch viel Laub in Gelb- und Rottönen, darüber der graue Herbsthimmel. Seit zwei Wochen haben wir hier die Sonne nicht gesehen. Aber egal, ich stehe einfach nur da und lasse die Gefühle wie sie kommen durchrauschen. Schließe die Augen, umarme den Himmel und fühle mich als Teil des Waldes. Und dann spielt die Playlist diesen Track.

Vorhin in unserer Patientendisko hat sich ein Mitpatient genau diesen Track gewünscht. Der Track flutet mein Herz, auf eine so krasse intensive und wunderbare Art und Weise. Und wie wir da einfach alle vorhin lostanzten, egal zu was, wir Versehrten. Das berührt mich sehr.

~ Nicolas Binder - Moment

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Sonntag, 3. November 2024
Was für ein Ritt, diese letzten Tage bzw. letzten zwei Wochen. Völlig unglaublich. Nebenbei hier 7000 Tage Jubiläum. Beinahe 20 Jahre. Auch kaum zu glauben. Als ich damals mit dem bloggen begann, hätte ich niemals gedacht, dass ich knapp 20 Jahre später noch den Master in Psychologie abgeschlossen und die Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeuten angefangen haben würde. Ist das echt noch dasselbe Leben? Was da noch alles kommt! Ich bin so aufgeregt und freue mich.

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Dienstag, 22. Oktober 2024
Heute in einer Woche fängt die Ausbildung an. Immer noch so weit weg! Bei dem Gedanken daran rutschen mir Herz und Stuhlgang in die Hose. Was bin ich aufgeregt. Deswegen lieber einfach weiter schreiben, schreiben, schreiben, schreiben....

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Samstag, 19. Oktober 2024
Ich wünsche mir, dass ich irgendwann ganz tief in mir verankere, dass ich dazugehöre. Dass ich verbunden bin. Dass ich ein tolles Netz habe. Dass ich Teil des Universums bin. Oft weiß ich das, immer öfter, aber immer wieder geht es mir verloren und das damit einhergehende Gefühl vermittelt einen existenziell bedrohlichen Eindruck.

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Mittwoch, 2. Oktober 2024
Jedes mal, wenn ich Post von einem Notar, Amtsgericht oder sonst einer offiziellen Stelle erhalte, läuft in mir erstmal das volle Programm zu meiner Mutter ab. Auch wenn ich noch gar nicht weiß, ob es wirklich sie betrifft. Alles auf einmal, Sorge, Angst, Erinnerungen, Liebe, Wut, Trauer, und Erinnerungen über Erinnerungen, die sich mit Befürchtungen vermischen, alles in Sekunden und sehr bildhaft.

Gestern war es ein Schreiben vom Amtsgericht. Der Betreuer, der inzwischen vom Psychiater bestellt wurde, da mein Bruder auch am Ende seiner Kräfte ist, wir beide, wir können nicht mehr Verantwortung übernehmen, hat meine Mutter zwangseinweisen lassen in die geschlossene Abteilung der Bezirkspsychiatrie. Es wird auch erläutert, wer an dieser Entscheidung beteiligt ist, und warum sie getroffen wurde.

Man könnte meinen, ich gewöhne mich irgendwann an das alles("Wie soll man sich denn daran gewöhnen??" - Meister Yoda). Seit 15 Jahren lebe ich nun mit einer schizophrenen Mutter. Es ist nicht die erste Einweisung, aber die erste, in die wir nicht involviert sind. Sondern die jemand veranlasst hat, dem sie nicht nahe steht. Es ist ein schreckliches Gefühl für mich. Als würden wir sie gänzlich im Stich lassen. Ich verstehe auch nicht, warum man ihre notarielle Vereinbarung, die getroffen wurde als sie noch zu solchen Entscheidungen und Unterschriften fähig war, nicht berücksichtigt. Die Bezirksklinik ist für sie ein Trauma. Sie will in eine andere, diese liegt allerdings in einem anderen Bundesland, vermutlich geht es deswegen nicht. Doch wozu legt man sowas dann notariell fest?

Wie beängstigend ist das, auch für uns alle, denke ich mir. Zählt man irgendwann einfach nicht mehr? Werden Bedürfnisse irgendwann nicht mehr ernst genommen? Es macht mich auch sehr wütend.

Und es bricht mir das Herz. Weil ich weiß, wie furchtbar es für sie dort ist, und weil ich weiß, dass die geschlossene Station kein guter Ort für solche Patienten ist. Mit "solche Patienten" meine ich die, bei denen die Krankheit auf die Art und Weise ausgeprägt ist wie bei meiner Muttter. Die nie Krankheitseinsicht erlangte. Die selbstständig keine Medikamente nimmt. Die einfach immer wieder von vorne anfängt, sobald sie entlassen wird - mit einem Trauma mehr im Gepäck. Freiheitsentzug ist so etwas entsetzliches, und einmal mehr, wenn man selbst nicht versteht, warum es geschieht.

Ich bin sicher, dass alle Beteiligten aus bester Überzeugung und in bester Absicht handeln. Und doch finde ich es furchtbar. Wie sehr würde ich ihr einen Fürsprecher wünschen! Jemand, der sie liebevoll anfasst, egal wo sie steht. Mein Bruder und ich können diese Menschen meistens nicht sein, und auch das ist etwas, was ich nur schwer ertrage. Ich schäme mich, fühle mich schuldig.

Es ist nicht so, dass ich eine bessere Lösung habe. Ja, meine Mutter war in Kurzzeitpflege, dort wollten sie sie nicht länger dabehalten, weil sich meine Mutter unmöglich aufgeführt haben muss. Ich kann es mir lebhaft vorstellen, und das, obwohl ich sie seit diesem akuten und schnell voranschreitenden Verfall nicht mehr persönlich gesehen habe. Sie kann nicht mehr alleine leben. Mein Vater erzählte mir, mein Bruder kam neulich zu ihr nach Hause, da saß sie nackt auf dem Sofa und hatte sich eingenässt. Ich erzähle das nicht um sie blosszustellen, ich finde es ist eine herzzerreissende Szene.

Es gibt Wohnheime für psychisch Erkrankte, leider gibt es in der Heimat davon nicht viele. Warum haben wir keine guten Orte für diese Menschen. Verdienen sie es denn nicht auch als Menschen gesehen und behandelt (nicht im medizinischen Sinne) zu werden?

6 Wochen in der Geschlossenen, ich mag es mir nicht vorstellen. Klar beenden sie das und verlegen auf die offene Station, wenn es sich bessert, aber sie wird nicht auf der offenen bleiben, wenn sie diesmal überhaupt dorthin kommt. Und danach? Wie sehr mag sie da noch leben wollen?

Ich finde es schrecklich, einfach nur schrecklich. Diese Ohnmacht, diese Sorge, Angst und Trauer um sie. Brutale Hilflosigkeit und Schuldgefühle. Es sitzt schwer auf der Seele. Mama du fehlst mir, schon so lange.

~ M83 - Wait

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