Mittwoch, 20. November 2024
Tag X + 1 Jahr.
Es jährt sich zum ersten mal. Sehr dankbar, genau jetzt in der Reha zu sein. Die Therapeutin fragt mich nach einem Ritual. Letztes Jahr habe ich versucht mir den Tag mit sehr heißen Saunagängen und eisigem Wasser aus dem Körper zu treiben. Das war sehr hilfreich, resultierte aber in einer krassen Blasenentzündung.

Sie fragt mich, ob es vielleicht gut für mich wäre einen Brief zu schreiben, den ich hier dann irgendwo im Wald verbrenne oder in den Fluß gebe. Loslasse. Aber mir fehlen immer noch die Worte, sage ich. Genau das steht dann eben in dem Brief.

Diesen Brief habe ich eben geschrieben, unter anderem "Manchmal kommt es mir so schrecklich banal vor, belanglos, bedeutungslos, der Rede nicht wert. Dann wieder finde ich es so unsäglich schrecklich. Der Rede nicht wert. Unsäglich. Es scheint, egal wie ich es betrachte - mir fehlen die Worte".

Das will ich hier festhalten, weil mir da endlich klar wurde, warum ich noch keine Worte finde, vielleicht nie finden werde.

~ Kiasmos - Dazed

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Samstag, 16. November 2024
The sound of rehab.
Schon bald sind die ersten zwei Wochen rum. Es tut so unfassbar gut nach den ganzen letzten Wochen, Monaten und Jahren. Das heilsamste seit langem ist das therapeutische Boxen. Selten habe ich so viel Energie durch mich durchrasen gespürt. Als hätte ich eine Dynamitbox angezündet. Ganz allein in Raum, nur mit mir selbst, meinen Fäusten, dem Boxsack und meinen Emotionen. Hartes Elektro auf den Ohren. Gestern bin ich danach drei Stunden allein durch den Wald gewandert. Die Playlist ließ ich einfach weiterlaufen, mich von ihr weitertragen. Irgendwann stehe ich tief im Herbstwald, die wildesten Emotionen etwas abgeflacht. Ich stehe da, breite die Arme aus, schaue nach oben, an den Bäumen ist noch viel Laub in Gelb- und Rottönen, darüber der graue Herbsthimmel. Seit zwei Wochen haben wir hier die Sonne nicht gesehen. Aber egal, ich stehe einfach nur da und lasse die Gefühle wie sie kommen durchrauschen. Schließe die Augen, umarme den Himmel und fühle mich als Teil des Waldes. Und dann spielt die Playlist diesen Track.

Vorhin in unserer Patientendisko hat sich ein Mitpatient genau diesen Track gewünscht. Der Track flutet mein Herz, auf eine so krasse intensive und wunderbare Art und Weise. Und wie wir da einfach alle vorhin lostanzten, egal zu was, wir Versehrten. Das berührt mich sehr.

~ Nicolas Binder - Moment

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Sonntag, 3. November 2024
Was für ein Ritt, diese letzten Tage bzw. letzten zwei Wochen. Völlig unglaublich. Nebenbei hier 7000 Tage Jubiläum. Beinahe 20 Jahre. Auch kaum zu glauben. Als ich damals mit dem bloggen begann, hätte ich niemals gedacht, dass ich knapp 20 Jahre später noch den Master in Psychologie abgeschlossen und die Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeuten angefangen haben würde. Ist das echt noch dasselbe Leben? Was da noch alles kommt! Ich bin so aufgeregt und freue mich.

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Dienstag, 22. Oktober 2024
Heute in einer Woche fängt die Ausbildung an. Immer noch so weit weg! Bei dem Gedanken daran rutschen mir Herz und Stuhlgang in die Hose. Was bin ich aufgeregt. Deswegen lieber einfach weiter schreiben, schreiben, schreiben, schreiben....

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Samstag, 19. Oktober 2024
Ich wünsche mir, dass ich irgendwann ganz tief in mir verankere, dass ich dazugehöre. Dass ich verbunden bin. Dass ich ein tolles Netz habe. Dass ich Teil des Universums bin. Oft weiß ich das, immer öfter, aber immer wieder geht es mir verloren und das damit einhergehende Gefühl vermittelt einen existenziell bedrohlichen Eindruck.

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Mittwoch, 2. Oktober 2024
Jedes mal, wenn ich Post von einem Notar, Amtsgericht oder sonst einer offiziellen Stelle erhalte, läuft in mir erstmal das volle Programm zu meiner Mutter ab. Auch wenn ich noch gar nicht weiß, ob es wirklich sie betrifft. Alles auf einmal, Sorge, Angst, Erinnerungen, Liebe, Wut, Trauer, und Erinnerungen über Erinnerungen, die sich mit Befürchtungen vermischen, alles in Sekunden und sehr bildhaft.

Gestern war es ein Schreiben vom Amtsgericht. Der Betreuer, der inzwischen vom Psychiater bestellt wurde, da mein Bruder auch am Ende seiner Kräfte ist, wir beide, wir können nicht mehr Verantwortung übernehmen, hat meine Mutter zwangseinweisen lassen in die geschlossene Abteilung der Bezirkspsychiatrie. Es wird auch erläutert, wer an dieser Entscheidung beteiligt ist, und warum sie getroffen wurde.

Man könnte meinen, ich gewöhne mich irgendwann an das alles("Wie soll man sich denn daran gewöhnen??" - Meister Yoda). Seit 15 Jahren lebe ich nun mit einer schizophrenen Mutter. Es ist nicht die erste Einweisung, aber die erste, in die wir nicht involviert sind. Sondern die jemand veranlasst hat, dem sie nicht nahe steht. Es ist ein schreckliches Gefühl für mich. Als würden wir sie gänzlich im Stich lassen. Ich verstehe auch nicht, warum man ihre notarielle Vereinbarung, die getroffen wurde als sie noch zu solchen Entscheidungen und Unterschriften fähig war, nicht berücksichtigt. Die Bezirksklinik ist für sie ein Trauma. Sie will in eine andere, diese liegt allerdings in einem anderen Bundesland, vermutlich geht es deswegen nicht. Doch wozu legt man sowas dann notariell fest?

Wie beängstigend ist das, auch für uns alle, denke ich mir. Zählt man irgendwann einfach nicht mehr? Werden Bedürfnisse irgendwann nicht mehr ernst genommen? Es macht mich auch sehr wütend.

Und es bricht mir das Herz. Weil ich weiß, wie furchtbar es für sie dort ist, und weil ich weiß, dass die geschlossene Station kein guter Ort für solche Patienten ist. Mit "solche Patienten" meine ich die, bei denen die Krankheit auf die Art und Weise ausgeprägt ist wie bei meiner Muttter. Die nie Krankheitseinsicht erlangte. Die selbstständig keine Medikamente nimmt. Die einfach immer wieder von vorne anfängt, sobald sie entlassen wird - mit einem Trauma mehr im Gepäck. Freiheitsentzug ist so etwas entsetzliches, und einmal mehr, wenn man selbst nicht versteht, warum es geschieht.

Ich bin sicher, dass alle Beteiligten aus bester Überzeugung und in bester Absicht handeln. Und doch finde ich es furchtbar. Wie sehr würde ich ihr einen Fürsprecher wünschen! Jemand, der sie liebevoll anfasst, egal wo sie steht. Mein Bruder und ich können diese Menschen meistens nicht sein, und auch das ist etwas, was ich nur schwer ertrage. Ich schäme mich, fühle mich schuldig.

Es ist nicht so, dass ich eine bessere Lösung habe. Ja, meine Mutter war in Kurzzeitpflege, dort wollten sie sie nicht länger dabehalten, weil sich meine Mutter unmöglich aufgeführt haben muss. Ich kann es mir lebhaft vorstellen, und das, obwohl ich sie seit diesem akuten und schnell voranschreitenden Verfall nicht mehr persönlich gesehen habe. Sie kann nicht mehr alleine leben. Mein Vater erzählte mir, mein Bruder kam neulich zu ihr nach Hause, da saß sie nackt auf dem Sofa und hatte sich eingenässt. Ich erzähle das nicht um sie blosszustellen, ich finde es ist eine herzzerreissende Szene.

Es gibt Wohnheime für psychisch Erkrankte, leider gibt es in der Heimat davon nicht viele. Warum haben wir keine guten Orte für diese Menschen. Verdienen sie es denn nicht auch als Menschen gesehen und behandelt (nicht im medizinischen Sinne) zu werden?

6 Wochen in der Geschlossenen, ich mag es mir nicht vorstellen. Klar beenden sie das und verlegen auf die offene Station, wenn es sich bessert, aber sie wird nicht auf der offenen bleiben, wenn sie diesmal überhaupt dorthin kommt. Und danach? Wie sehr mag sie da noch leben wollen?

Ich finde es schrecklich, einfach nur schrecklich. Diese Ohnmacht, diese Sorge, Angst und Trauer um sie. Brutale Hilflosigkeit und Schuldgefühle. Es sitzt schwer auf der Seele. Mama du fehlst mir, schon so lange.

~ M83 - Wait

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Dienstag, 24. September 2024
Heute das letzte Gespräch für ein Insitut gehabt. Mein Favorit war/ist(?)das. Das war sehr aufwühlend. Es wurde etwas angesprochen, worüber ich mir bisher keine Gedanken gemacht hatte. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Punkt, und ich bin dankbar, dass das so offen angesprochen wurde. Vielleicht schreibe ich morgen mehr dazu. Ich bin etwas verwirrt. Schon seit mehreren Tagen habe ich das Gefühl, ich stehe total neben mir, alles ist wie ein Traum, und nicht unbedingt einer, der sich gut anfühlt.

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Sonntag, 15. September 2024
Ich verliere meine Mutter, immer mehr. Als wäre das noch mehr möglich gewesen, denkt man vielleicht, aber ja. Sukzessive dem Abgrund entgegen. Dem nächsten, einem anderen, irgendwann, wie wir alle, dem endgültigen. Das, was ich höre über sie, es bricht mir das Herz. Das Telefonat, das ich mit ihr vor Island hatte, es bricht mir das Herz. So ganz langsam kann ich inzwischen manchmal denken an das, was sich bald jährt. Ich habe gerade mal nachgesehen, was ich damals in der Zeit hier geschrieben habe. Leider nicht viel. Ich wünschte, ich hätte mehr geschrieben, weiß aber, dass ich gar keine Worte dafür hatte. Die habe ich bis heute nicht. Aber die Bilder aus der Zeit, die sprechen für mich Bände, sie sprechen zu mir und erzählen mir von Verzweiflung, Trauer und, ja. Und von gebrochenem Herzen. Bis heute habe ich eine Audioaufnahme vom "letzten" Abend mit meiner Mutter. Anhören kann ich sie mir vermutlich nie. Und ich erinner mich, wie befremdet mein Bruder war, als ich erzählte, dass ich es aufnahm. Aber es war, wie um mir selbst zu beweisen: das hat stattgefunden. Ich kann kaum glauben, dass es diesen Abend gab, und den Tag danach und die Wochen davor. Und die Wochen danach. All das, was letztes Jahr war, ich habe eben grob durchgeklickt von Dezember an rückwärts, es fühlt sich an als lägen Jahre dazwischen. Mit mir hat diese Zeit sehr viel gemacht. Ich weiß nicht, ob ich es Reife nennen würde, aber das ist der erste Begriff, der mir einfällt, und manchmal fühle ich mich zu alt. Als wäre es einfach zuviel in zu wenig Leben gewesen.

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Montag, 9. September 2024
Nur heute.
Naja, war wohl bisschen viel Adrenalin und Endorphin in den letzten Wochen. Kleine Bruchlandung gehabt, es ist alles auch etwas viel. Masterarbeit, Institutsgespräche und leidiges Abwägen der praktischen Vor- und Nachteile sowie von Bauchgefühl, die Krankenkasse will Dinge, Antrag auf Reha, Widerspruch bzgl. meines Arbeitszeugnisses eingereicht (ich bete, dass das nicht bis zum Anwalt laufen muss, aber ich gehe leider davon aus), Steuer, eigentlich Bewerbungen für feste Anstellung ab Januar/Febuar, perspektivisch wird ab dann auch meine Wohnung vermietet - darüber, was damit einhergeht, darf ich noch gar nicht nachdenken. Ich fühle mich überfordert. Es steht soviel an und ich komme so langsam vom Fleck. Aber ja.. Schritt für Schritt, oder so, oder auch: nur heute. Nur heute.

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Freitag, 30. August 2024
Fliegen
durch heiße Tage und laue Nächte. Die Mittagszeit mit V. verbracht, er holte sein Auto, ich lud ihn zum Essen ein. Am Nachmittag einen Geburtstagsumtrunk in den Arkaden am Wasserturm genossen. Ich kannte nur das Geburtstagskind, die anderen 4 Frauen lernte ich neugierig kennen. Fliegender Wechsel zum Neckarstrand, um den Abend mit der Yogalehrerin ausklingen zu lassen (also ohne Yoga, aber sie heißt hier nun so). Geschriebene Sätze für die Seminararbeit: 2.

Ich will das auf Leben aufsaugen. Als würde ich auch das nachholen wollen, das ich erst aufgrund von Depressionen und dann aufgrund der Doppelbelastung durch Arbeit und Studium versäumt habe.

Neulich erzählte ich Meister Yoda von meinen Erlebnissen der letzten Wochen und Monate. "Wo ich bin, ists schön!" spiegelte er mir, was er hörte. Über den Satz muss ich seitdem immer wieder nachdenken. Ja, so fühle ich das momentan. Wie schön das ist! Und wie frei es macht.

~ Autodeep feat. Bajka - Freedom Dove (Ripperton Remix)


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