Dienstag, 6. August 2024
Mit meiner Mutter telefoniert, das erste mal seit Januar. Manches wirkt so normal, manches so verrückt, sie hat unrealistische Ideen. Und ich glaube, sie hatte getrunken. Sie sagte, die Klinik war traumatisch, sie kann nicht darüber sprechen. Es tut mir leid für sie, dass ihre Patientenverfügung nicht ernst genommen wird, dort ist eigentlich eine andere Klinik im Falle einer Einweisung festgelegt. Hinterlege so etwas bei einem Anwalt, rate ich ihr, und dann kontaktiere den, wenn wieder so etwas ist. Wann sehe ich dich denn endlich wieder, fragt sie, ich vermisse dich so. Ach Mama.

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Morgen geht es los nach Island. Irgendwie kommt meine Seele momentan nicht hinterher. So viele Reisen, Unternehmungen, Eindrücke, Begegnungen, und dann noch meine aktuelle Lebenssituation. Ich hoffe, ich schaffe es in Island immer wieder einfach nur zu sitzen und warten, bis die Seele ein Stückchen nachgekommen ist.

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Mittwoch, 24. Juli 2024
Berufliches Psycho:

Heute das Zweitgespräch für das eine Institut gehabt. Danach bleibt ein gemischtes Gefühl, aufgrund mehrerer Dinge, die aber keinen Einfluss auf meine Entscheidung hätten. Schade, nach dem ersten Gespräch hatte ich so ein klares, gutes Gefühl. Jetzt heißt es abwarten, was hier als nächtes kommt, also: bietet man mir einen Vertrag an? Und wenn ja, bis wann müsste ich unterschreiben?

Ende August habe ich ein Gespräch bei einem anderen Institut. Das werde ich vorerst zusagen, aber es ist meine Prio 3. Es ist so, dass alle Gespräche dreistellig kosten, deswegen hin- und herüberlegt, aber ich denke der persönliche Kontakt ist wichtig, um ein Gespür für das jeweilige Institut zu bekommen.

Heute morgen endlich die letzte Bewerbung weggesendet, für ein Institut, das eigentlich mal meine Nummer 1 war. Vielleicht war die Blockade deswegen so groß, sie wollten allerdings auch die persönlichsten und umfangreichsten Informationen. Die Kosten dort schüchtern mich ein, und noch irgendwas, das ich nicht so richtig greifen kann. Mal sehen, wann und was hier als Antwort kommt.

Kurz durchschnaufen. Dann drängen mental eigentlich auch schon die Bewerbungen für Kliniken. Was tricky ist, denn die wollen sicher wissen, bei welchem Institut ich die Ausbildung mache. Doch diese Bewerbungen müssen sich jetzt sowieso bis nach meinen Urlauben gedulden, und vielleicht weiß ich im September schon mehr dazu.

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Privates Psycho:

Passend zu der aktuellen Unruhe in meinem Leben heute in der Therapiestunde drei Stunden vor dem Institutgespräch (das hat sicher auch noch nachgewirkt und Einfluss gehabt) eine interessante Perspektive darauf erhalten, warum ich in meinem Leben keine Routine entwickel, und warum ich mich deswegen wahrscheinlich auch gegen den Klassiker mit Ehe, Kindern und "normalem" Berufsweg entschieden habe. Es ging im Kontrolle, und darum, dass ich mir vielleicht immer wieder beweisen will, dass ich die Kontrolle über mein Leben und mich selbst habe, dass ich mich und meinen Verstand nicht verliere, sondern dass ich bei mir selbst bin. Im Klassiker passiert es vermutlich leichter, dass man sich selbst verliert, fremdgesteuert ist. Das macht mir Angst. Aus Gründen, ja, aus sehr gut nachvollziehbaren Gründen.

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Freitag, 12. Juli 2024
Abschiede.
Letzter Uni-Tag. Ich werde die Uni vermissen, die tollen jungen Menschen, insbesondere die tollen Frauen. Mental fühle ich mich dieser Generation wesentlich näher als meiner eigenen - zumindest in dieser Blase. Vielleicht ist es gar nicht die Generation, sondern die Psycholog:innen? Habe ich etwa meine Herde gefunden? Die Uni werde ich nur für die Abgabe der Masterarbeit noch einmal betreten. Schon heute große Dankbarkeit, dass ich das Privileg dieses späten wunderbaren Zweitstudiums leben durfte.
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Letzte Tanzstunde mit der Tanzlehrerin. Sie zieht nach dem Abschluss ihrer Tanzausbildung in eine andere Stadt um dort einen Master zu machen. Das macht mich sehr traurig. Auch sie ist eine so tolle junge Frau. Eine wunderschöne Künstlerinnenseele, die mit uns ihre Leidenschaft geteilt hat. Für mich war das therapeutisch bei ihr. Mal sehen, wie lange ich nach den Sommerferien weiter tanzen werde. "Es ist so toll, dass du so etwas für dich gefunden hast" meinte sie vorhin, und bezog sich damit auf unseren Austausch zu dem, was Tanzen in uns auslöst. "Verwehre dir das nicht." Ach. Du wirst mir fehlen, du wunderbares Wesen.
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Langsam wird mir bewusst, dass es auch ein sukzessiver Abschied von Mannheim ist. Und das fühlt sich gar nicht so gut an, wie ich dachte. Es ist Zeit weiterzuziehen. Mannheim ist mein Zuhause. Zwei Seelen schlagen in meiner Brust.

~ Alan Falk - Djinn



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Dienstag, 2. Juli 2024
Verrückte Mütter.
Durchgerungen und in der Klinik angerufen. Ob meine Mutter noch im Haus ist? Einen Moment. Warteschleife. Ja, Ihre Mutter ist noch bei uns, aber sie möchte im Moment nicht telefonieren.

Seit gestern denke ich viel über den Text von Tijan Sila nach, "Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde", hier auf den Seiten des Bachmann-Preises 2024 nachzulesen bzw. nachzusehen/zuhören.

Ja, es ist ein Prozess, dieses Verrücktwerden. Und doch gibt es auch bei mir einen Tag, an dem die Verrücktheit meiner Mutter unumkehrbar wahr wurde. 2. Januar 2010. Tijan Sila findet Worte für Dinge, für die ich keine habe, oder bei weitem nicht so schöne, so eindringliche. Und doch bleibt er bei aller Wucht leise. " [...] das Nebeneinander von Wut und Wahn sollte ein wesentliches Merkmal der Krankheit meiner Mutter bleiben. Ihre Mimik war nun eine Gardine, hinter der sich ein Einbrecher versteckte - die Schizophrenie." Was für ein Bild!

Das Trauma ist ein anderes. Die Folgen sehr ähnlich. Auch für meine Mutter ging es in ihrer Kindheit ums Überleben. Auch sie stürzte sich "unerschrocken, wie sie nun mal war, sich mit Anlauf [in das Verrücktwerden] hinein[...]" und hätte ich nicht angefangen mich von ihr zu distanzieren, wäre auch ich wie sein Vater "auf allen Vieren zum Schlund" gekrochen.

"Für einen Augenblick hatte ich das kindliche Bedürfnis, meiner Mutter das zu sagen, was sie hören wollte [...]. Einen Wimpernschlag lang war ich gewillt, mit ihr wahnsinnig zu sein, damit sie nicht aufhörte mich zu lieben.

Ich weiß nicht, was Tijan Sila spürt, wenn er das schreibt. Ich weiß, dass es mir sehr weh tut es zu lesen. Ich wusste immer, dass es unsere Beziehung zerrüttet, wenn ich nicht (weiter) mit ihr verrückt werde. Oder vielleicht, dass ich meine Hoffnung auf eine bessere Beziehung, die eh schon immer eine schwierige, schmerzhafte und toxische war, aufgeben muss. Auch den Tag weiß ich noch genau. Es war, als ich dem Therapeuten sagte: "Wenn ich wüsste, dass mein Leben so weitergeht wie bisher, dann würde ich es einfach gar nicht mehr leben wollen. Keine Suizidhandlung. Aber ich würde es einfach nicht mehr haben wollen." Das war der Anstoß für die Klinik. Und ich traf mit Haut und Haaren die Entscheidung gesund sein zu wollen. DA zu bleiben. So wie Tijan Sila. Nicht DA im Sinne von "am Leben". Sondern eben da. Soviel Kraft in diesen zwei Worten, "Bleib da."

Ich danke Tijan Sila für seinen Text.

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Donnerstag, 20. Juni 2024
Erfahren, dass meine Mutter seit Montag in der Geschlossenen ist.

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Mittwoch, 19. Juni 2024
Ich erzähle von aktuellen Ereignissen mit meiner Mutter, erzähle von meinen Träumen. Wir sprechen über Schuldgefühle, und darüber, wie ihre Erkrankung in letzter Konsequenz auch mit zunehmender Verwahrlosung und Asozialität einhergeht. Sie wird mehr und mehr verrückt, sage ich. Es ist wie ein Brandbeschleuniger, was letzten November war. Es klingt so komisch, erzähle ich, aber jetzt hat sie diese Diagnose seit 15 Jahren, und immer noch ist es neu für mich, dass sie so schwer erkrankt ist. Wir sprechen darüber, dass in der Beziehung zwischen ihr und mir nichts mehr oszilliert. Dass nur noch nichts möglich ist, weil sie sich jeder normalen Kommunikation entzieht, auch bedingt durch die fortschreitende Erkrankung. Erähle davon, was sie meinem Vater auf den Anrufbeantworter spricht. Davon, dass sogar mein Vater weint wenn er sagt, das tut ihm selbst so weh zu hören, wie verzweifelt und einsam diese Frau ist. Es ist sehr schwer für mich, für uns alle.

"Sie haben doch auch positive Erinnerungen an Ihre Mutter. Versuchen Sie, die zu bewahren."

"Ja, ich habe auch sehr schöne Erinnerungen an Sie, zum Beispiel wie sie mich darin bestärkt hat in die Welt zu gehen, und vor allem damals in Südafrika, diese Reise weiter zu machen, sie hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit ich nicht in Namibia vom Truck muss, sondern dass ich doch bis zu den Victoria Fällen mitreisen kann. So eine Frau war sie einmal.

"Diese Frau ist sie noch. Sie wird nur mehr und mehr überdeckt, überlagert von ihrer Krankheit. Wir haben doch mal über Joe Black und den Tod gesprochen. Erinnern Sie sich an die guten Dinge mit ihr, haben und bewahren Sie sich diese Erinnerungen."

"Das tut aber so weh."

"Das ist doch aber besser als das furchtbare Jetzt, dieses Nichts, diese Leere."

Ich weine und denke darüber nach, dass diese verdeckte Frau vielleicht jene ist, die verzweifelt auf Anrufbeantwortet spricht und um Kontakt fleht. Sie tut mir so unglaublich leid. Wir alle um sie herum tun mir unglaublich leid. Es ist einfach nur schrecklich und tragisch.

...

"Ich dachte, ich gewöhnte mich irgendwann daran, an sie, mit ihrer Erkrankung."

Ein irritierter Blick seinerseits. Dann:
"Nein. Wie soll man sich daran gewöhnen. Also ich als ihr Therapeut gewöhne mich daran vielleicht, ja. Aber wenn ich mir vorstelle, dass das meine Mutter ist. Da kann man sich nicht gewöhnen, nein."

"Der Freund einer Freundin meinte im März, nachdem ich auf seine Frage nach meinem Befinden meinte 'naja, mal so mal so': du darfst das dann fei auch irgendwann einfach loslassen."

Wieder irritiertre Blick. Kopfschütteln.
"Da gibt es nichts loszulassen."

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Mittwoch, 15. Mai 2024
Es ist gut.
Und während ich an der Masterarbeit meines Psychologiestudiums sitze und mich mental langsam auf das Ende meines Studiums einstelle, werde ich einer Messenger-Gruppe hinzugefügt, die ein Wiedersehen zum 19-jährigen Jubiläum unseres Diploms plant. Ein bisschen weird, dass es das 19. ist. Und ich mag, dass es nicht das 20. ist. Schon kurios zur Uni zu fahren und gleichzeitig mit Menschen zu schreiben, mit denen man vor vielen Jahren graduiert hat. Sitze im Bus, schaue aus dem Fenster, den wohlbekannten Weg vom Hauptbahnhof bis zum Uniplatz, weil ich mich in der Bib mit zwei Kommilitoninnen für ein Reflexionsseminar treffe. Sollten wir uns aus meinem jetzigen Studiengang in 20 Jahren treffen, wäre ich 64, erzähle ich Mimi in einer Sprachnachricht. Sie antwortet: "Ich freu mich auf dich mit 64". Erst gestern fanden Mimi und ich raus, dass ihre Mama und mein Papa nicht nur im gleichen Zeitraum letztes Jahr die Krebsdiagnose bekamen, sondern tatsächlich am selben Tag. Was schon sehr abgefahren ist, in all der Abgefahrenheit.

In der Gruppe kommen alte Insider hoch. Den ganzen Tag über fallen mir so lustige begebenheiten ein. So schrecklich ich das Grundstudium inhaltlich fand, so sehr habe ich das Hauptstudium geliebt. Die Auslandssemester. Unseren Controlling-Schwerpunkt. Ich erinner mich gerne an die Zeit - bis kurz vor Ende des damaligen Studiums, die furchtbare Diplomarbeit und meine erste depressive Episode, während der ich auch dieses Blog anfing.

Den ganzen Tag über kommt immer wieder der Gedanke auf: es war gut, wie es war. Es ist gut, wie es ist. Momente, in denen das alles Sinn ergibt, und in denen ich verstehe, dass ich all das auch nur so erleben konnte und auch nur hier stehen kann, weil alles eben so war wie es war. Einschließlich meiner Mutter. Oder vielleicht, vor allem aufgrund meiner Mutter. Zum Beispiel damals, in Südafrika, nach Semesterende, wollte mein Vater mich zurück nach Deutschland ordern. Geh arbeiten, verdien Geld. Meine Mutter setzte alle finanziellen und organisatorischen Hebel in Bewegung, dass ich nach der einen Woche mit Nomad Adventure Tours, von Kapstadt nach Swakopmund, die ich mir auch nur Dank der unglaublichen Geste von V. leisten konnte, weiterhin on Truck bleiben konnte. Über Etosha, über das Okavango Delta in Botswana, über Chobe National Park, und vieles mehr, bis nach Simbabwe, Bis zu den Viktoriafällen. "Wer weiß, ob und wann du jemals wieder dahin kommst. Mach das jetzt. Bleib dort und mach das." Ohne sie hätte ich diese Zeit nie erlebt. Die Zeit, die ich nach wie vor als die schönste, intensivste, wichtigste meines Lebens betrachte. Zum Beispiel aber auch damals, als klar war, sie hat Psychosen. Als wir sie einweisen mussten. Auch das wird eine Rolle gespielt haben - bei meiner weiteren Entwicklung, und bei meiner Entscheidung für das Psychologiestudium. Nicht, um sie zu heilen. Sondern um mich auf eine gesunde und nicht destruktive (i.S.v. gleichtuender) Weise mit ihr zu identifizieren, um ihr uaf gesunde Weise nahe zu sein, aber gut, das geht jetzt weit und tief.

Es ist gut, wie es ist. Ich liebe, dass ich dieses zweite Studium habe, wem ich da begegnen durfte, ich liebe, was noch auf mich zukommt. Ich bin dankbar, und so unglaublich froh, dass ich diese Gefühle momentan wieder spüren kann, denn die waren jetzt sehr lange weg, an die 7 Monate.

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Das letzte Wochenende spontan mit Rini, ihrer Familie plus ihrer Schwester und deren Familie im Taunus verbracht. Nachdem wir drei Frauen am Freitag eine denkwürdige Ladies Night in Mainz hatten, bei "Tigermilch", aber so genau bekamen wir nicht mit was da gesungen wurde. Wir hatten soviel Spaß mit uns selbst. Soviel Glück auch mit den Menschen in meinem Leben, die über all die Jahre geblieben sind und neu dazu kamen. Große Liebe für die Wahlfamilie(n).

~ Dilla + emi x - Photosynthese


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Sonntag, 5. Mai 2024
So und so dahingetippt.
Heute Vormittag klingelte das Telefon. Anonymer Anrufer. Inzwischen deutet das meistens auf meine Mutter hin. Sie weiß, dass kaum einer mehr rangeht, wenn sie anruft. Ich ging ran, "Ja?" Aus dem Hörer erklang Musik, "Maria" von Blondie. Das Lied erinnert mich sehr an Zeiten mit N., Ende der 90er, Anfang der 2000er. Ich wartete ein paar Sekunden, dann legte ich auf.

Am Freitag hatten wir Blockseminar zum Thema "Selbstreflexion". In Dreiergruppen sollten wir unsere Lebenslinie aufmalen. Erst war ich irritiert, dass es bei den beiden anderen mit 24 aufhört. Und dann? Denke ich. Aber ja. Sie sind halt auch erst 24. Das Thema Mutter ist echt ein Ding, überall. Mehr oder weniger bewusst. Die Geschichte einer Kommilitonin berührt mich sehr.

Manchmal weiß ich nicht, ob ich bereit für all das bin. Für die Ausbildung, für diese weitergehende Konfrontation mit mir selbst, mit anderen. Momentan bin ich einfach erschöpft, fühle mich wund, immer noch fällt mir kein besserer Begriff für diesen Zustand ein.

Was mach ich nur mit ihr, denke ich, und meine sie, meine Mutter. Fühle mich sehr traurig, rat- und hilflos. Ich kann und will nichts tun. Kann nur für mich sorgen, und schon das scheint mir bisweilen kaum machbar. Diese Beziehung, wie soll sie aussehen, mit jemandem, der gar nichts versteht von dem, was er anderen antut. Ich kann nicht mehr mit ihr in aktive Beziehung treten, egal wie oft ich seit Januar darüber nachdenke, sie wieder anzurufen, ich krieg einfach nur das Grauen. Gleichzeitig zerrt das Thema, wabert mehr oder weniger bewusst durch mein Leben, liegt unter allem und saugt Akku ohne Ende.

Der Grieche meinte heute, dass er bei der Begegnung mit meinem Bruder vor ein paar Jahren (für eine Studienerhebung, also relativ kurz) den Eindruck hatte, mein Bruder sei oberflächlich einfach und leicht zugänglich und easy connecting. Aber er hatte den Eindruck, dass tiefere Verbindung mit ihm nicht gut möglich ist, dass er Tiefe von sich fernhalten will. Vor dem Hintergrund meiner Gedanken in den letzten Tagen fand ich das einen sehr spannenden Eindruck.

Was mich auch umtreibt ist die Anmerkung einer Kommilitonin gegen Ende meiner Lebenslinie, als ich meinte, dass ich einfach nicht mehr kann, dass ich so erschöpft bin, dass ich keine Verantwortung mehr übernehmen will, und mein Bruder es einfach nicht versteht und wütend auf mich ist. Die Kommilitonin meinte, und bezog sich damit auf die Situation, als ich meine Mutter das erste mal einwies: "Er hat es lange auch immer abgegeben an dich." Und ich denke, das stimmt. Früher habe ich selbst die Verantwortung übernommen, als Kind, für meine Mutter. Weil das der einzige Weg war, meiner Mutter "nahe" zu sein. Weil sie mich missbraucht hat mit dieser Verantwortung. Viele Jahre danach war auch immer ich primäre Ansprechperson für meine Mutter, ganz selbstverständlich, und unabhängig von unserer furchtbaren on-off-Beziehung. Das kippte vor allem mit meiner tiefenpsychologischen Therapie, seit ich Mitte 30 bin und verstanden habe, was da wirklich ablief. Und nun noch einmal mehr, da ich mich ganz rausziehe. Dass ich meinem Bruder immer nur wichtig bin, wenn es darum geht ihn zu unterstützen. Das tut mir auch weh.

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Montag, 29. April 2024
Muss es direkt gleich notieren, damit ich mich daran erinnern kann: es kommt wieder. Es kommt immer immer irgendwann wieder, egal wie lange das letzte mal her ist. Gefühle von Glück, Lebensfreude. Und wenn es nur Sekunden sind. Eben hat es sich angeschlichen, einfach so, unverhofft, und mich umhüllt, begleitet von einer kleinen Gänsehaut und einem breiten Lächeln im Gesicht.

[Danke Gröni? Danke]

[Direkt klopft das Schuldgefühl an. Wie kann es dir so (gut) gehen, wo dein armer Bruder sich so alleingelassen fühlt mit deiner furchtbaren, und doch auch armen Mutter und der mometan wirklich unsäglichen Situation]

Geh weg!

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Sonntag, 14. April 2024
Während ich hoffe, dass es irgendwie wieder ein bisschen besser wird, wird es irgendwie einfach immer schlechter. Mein Bruder möchte mich in die Situation mit meiner Mutter, ihrem anstehenden Umzug ins Seniorenheim (während sie Überweisungen an Dignitas tätigt - und das ist nicht die Organisation, die sie für den letzten Versuch kontaktiert hatte), der Wohnungsauflösung, Abstimmungen mit Diensten etc. involvieren. Ob ich nicht mal für ein Wochenende kommen könnte. Nein, sage ich. Nein, ich möchte nichts davon.

Er versteht es nicht. Fühlt sich allein gelassen. Ich verstehe nicht, warum er sich verantwortlich fühlt. Er sagt, ja wir sind die Kinder. Ich sage, das ist eine soziale Erwartung, ich selbst habe keine Kinder, ich werde auch ohne klarkommen müssen. Sie hatte in den letzten Monaten genug Geld sich ein neues Auto zu kaufen, Dignitas zu bezahlen, soll sie sich Umzugshelfer kaufen. Alles ist lösbar, ohne Kinder. Versuche ihm zu erklären, dass ich keine Kapazitäten mehr habe. Dass ich im November mein komplettes Leben inkl. Uni und Arbeit auf Eis gelegt habe, und das vermutlich mit dazu beigetragen hat, was währenddessen und danach in der Arbeit passiert ist.

Er findet das Gespräch anstrengend. Ja, vermutlich weil ich nicht einfach JA sage. Für mich ist die Abgrenzung auch viel anstrengender als ja zu sagen, in dem Moment. Er möchte dann nicht weiter telefonieren.

Ich schreibe ihm danach, dass es für mich mit Deutschlandticket 1 Tag Anreise in die Heimat bedeutet, und 1 Tag Abreise. Dass es ohne Deutschlandticket ein Scheiss Geld kostet. Dass ich ab Juni im ALG bin, von einem 2000 Euro netto Lohn. Dass ich selbst genug mit mir zu tun habe, dass ich kucken muss wo ich bleibe, weil es mir selbst einfach schlecht geht. Dass mir bewusst ist, dass er das alles nicht sieht, dass das auch okay ist, dass er mir aber bitte einfach glauben soll, dass ich nicht kann weil ich nicht KANN.

Ich glaube nicht, dass er es versteht. Mich belastet das, ich mag keinen Streit, aber ich KANN einfach nicht. Ich hab zig Sachen zu entscheiden und zu regeln, Motivationsschreiben und Bewerbungen zu schreiben, diese Scheiss Masterarbeit, das neue Semester startet, und ich selbst bin einfach nur froh dass ich aufstehe und irgendwie funktioniere. Weil ich mental einfach am Arsch bin, und ja, leider sieht man das von außen nicht. Vielleicht wäre es doch gut, aus den Ohren zu bluten.

Oft fühle ich mich unglaublich allein mit dem Thema. Mein Bruder will jemanden, der mitorganisiert. Ich würde mir jemanden wünschen, der zuhört. Der danach fragt, nicht nur nach der Masterarbeit. Ich quäle mich an dem Thema. Meine Mutter wollte sich umbringen, und scheinbar plant sie den nächsten Versuch. Ich finde das schrecklich, ich komme damit nicht klar. Ich weiß nicht, wie er damit klarkommen kann. Ich denke, auch weil er einfach einen viel schlechteren Zugang zu seinen Emotionen hat. Manchmal beneide ich ihn darum. Vielleicht ist das der Grund, warum er so viel rumorganisiert. Aber auch da: das muss er selbst wissen. Es ist nicht an mir, ihm aufzudrängen was ich für richtig halte. Er muss wissen, was für ihn selbst gut passt. Umgekehrt erwarte ich mir die gleiche Haltung und Akzeptanz.

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