... newer stories
Dienstag, 2. Juli 2024
Verrückte Mütter.
okavanga, 11:11h
Durchgerungen und in der Klinik angerufen. Ob meine Mutter noch im Haus ist? Einen Moment. Warteschleife. Ja, Ihre Mutter ist noch bei uns, aber sie möchte im Moment nicht telefonieren.
Seit gestern denke ich viel über den Text von Tijan Sila nach, "Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde", hier auf den Seiten des Bachmann-Preises 2024 nachzulesen bzw. nachzusehen/zuhören.
Ja, es ist ein Prozess, dieses Verrücktwerden. Und doch gibt es auch bei mir einen Tag, an dem die Verrücktheit meiner Mutter unumkehrbar wahr wurde. 2. Januar 2010. Tijan Sila findet Worte für Dinge, für die ich keine habe, oder bei weitem nicht so schöne, so eindringliche. Und doch bleibt er bei aller Wucht leise. " [...] das Nebeneinander von Wut und Wahn sollte ein wesentliches Merkmal der Krankheit meiner Mutter bleiben. Ihre Mimik war nun eine Gardine, hinter der sich ein Einbrecher versteckte - die Schizophrenie." Was für ein Bild!
Das Trauma ist ein anderes. Die Folgen sehr ähnlich. Auch für meine Mutter ging es in ihrer Kindheit ums Überleben. Auch sie stürzte sich "unerschrocken, wie sie nun mal war, sich mit Anlauf [in das Verrücktwerden] hinein[...]" und hätte ich nicht angefangen mich von ihr zu distanzieren, wäre auch ich wie sein Vater "auf allen Vieren zum Schlund" gekrochen.
"Für einen Augenblick hatte ich das kindliche Bedürfnis, meiner Mutter das zu sagen, was sie hören wollte [...]. Einen Wimpernschlag lang war ich gewillt, mit ihr wahnsinnig zu sein, damit sie nicht aufhörte mich zu lieben.
Ich weiß nicht, was Tijan Sila spürt, wenn er das schreibt. Ich weiß, dass es mir sehr weh tut es zu lesen. Ich wusste immer, dass es unsere Beziehung zerrüttet, wenn ich nicht (weiter) mit ihr verrückt werde. Oder vielleicht, dass ich meine Hoffnung auf eine bessere Beziehung, die eh schon immer eine schwierige, schmerzhafte und toxische war, aufgeben muss. Auch den Tag weiß ich noch genau. Es war, als ich dem Therapeuten sagte: "Wenn ich wüsste, dass mein Leben so weitergeht wie bisher, dann würde ich es einfach gar nicht mehr leben wollen. Keine Suizidhandlung. Aber ich würde es einfach nicht mehr haben wollen." Das war der Anstoß für die Klinik. Und ich traf mit Haut und Haaren die Entscheidung gesund sein zu wollen. DA zu bleiben. So wie Tijan Sila. Nicht DA im Sinne von "am Leben". Sondern eben da. Soviel Kraft in diesen zwei Worten, "Bleib da."
Ich danke Tijan Sila für seinen Text.
Seit gestern denke ich viel über den Text von Tijan Sila nach, "Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde", hier auf den Seiten des Bachmann-Preises 2024 nachzulesen bzw. nachzusehen/zuhören.
Ja, es ist ein Prozess, dieses Verrücktwerden. Und doch gibt es auch bei mir einen Tag, an dem die Verrücktheit meiner Mutter unumkehrbar wahr wurde. 2. Januar 2010. Tijan Sila findet Worte für Dinge, für die ich keine habe, oder bei weitem nicht so schöne, so eindringliche. Und doch bleibt er bei aller Wucht leise. " [...] das Nebeneinander von Wut und Wahn sollte ein wesentliches Merkmal der Krankheit meiner Mutter bleiben. Ihre Mimik war nun eine Gardine, hinter der sich ein Einbrecher versteckte - die Schizophrenie." Was für ein Bild!
Das Trauma ist ein anderes. Die Folgen sehr ähnlich. Auch für meine Mutter ging es in ihrer Kindheit ums Überleben. Auch sie stürzte sich "unerschrocken, wie sie nun mal war, sich mit Anlauf [in das Verrücktwerden] hinein[...]" und hätte ich nicht angefangen mich von ihr zu distanzieren, wäre auch ich wie sein Vater "auf allen Vieren zum Schlund" gekrochen.
"Für einen Augenblick hatte ich das kindliche Bedürfnis, meiner Mutter das zu sagen, was sie hören wollte [...]. Einen Wimpernschlag lang war ich gewillt, mit ihr wahnsinnig zu sein, damit sie nicht aufhörte mich zu lieben.
Ich weiß nicht, was Tijan Sila spürt, wenn er das schreibt. Ich weiß, dass es mir sehr weh tut es zu lesen. Ich wusste immer, dass es unsere Beziehung zerrüttet, wenn ich nicht (weiter) mit ihr verrückt werde. Oder vielleicht, dass ich meine Hoffnung auf eine bessere Beziehung, die eh schon immer eine schwierige, schmerzhafte und toxische war, aufgeben muss. Auch den Tag weiß ich noch genau. Es war, als ich dem Therapeuten sagte: "Wenn ich wüsste, dass mein Leben so weitergeht wie bisher, dann würde ich es einfach gar nicht mehr leben wollen. Keine Suizidhandlung. Aber ich würde es einfach nicht mehr haben wollen." Das war der Anstoß für die Klinik. Und ich traf mit Haut und Haaren die Entscheidung gesund sein zu wollen. DA zu bleiben. So wie Tijan Sila. Nicht DA im Sinne von "am Leben". Sondern eben da. Soviel Kraft in diesen zwei Worten, "Bleib da."
Ich danke Tijan Sila für seinen Text.
... older stories