Freitag, 11. Oktober 2024
Nachdem der F. im Sommer an einer Berufsfördermaßnahe teilgenommen hat, sendet er mir neulich ein Schreiben, in dem ihm drei alternative Berufe vorgeschlagen werden. Er hatte vor mehreren Jahren einen Arbeitsunfall und ist seitdem krankgeschrieben. Er kündigt mir an, dass der demnächst nochmal 3 Monate zur Schule geht und, wenn die Noten passen, einen neuen Beruf lernt. Ich bin einigermaßen perplex und hake nach. Er nennt mir seinen Wunschberuf, und dass er dafür gute Noten braucht. Schon in den Wochen davor erzählte er mir, dass er aktuell keine Chemie mehr nehme, er möchte noch ein paar mal aufwachen und seine Zeit gut nutzen. Beim Screening hatte er nur THC im Urin (ich glaube das hatte was mit der Situation zu tun, als sie Pflanzen bei ihm gefunden hatten).

"Hast du einen Tipp für ein gutes Set?"frage ich den F., der eine zuverlässige Quelle für (m.E.) sehr guten elektronischen Musikgeschmack ist.
"Ne ich hör momentan keine Mukke."
"Oh!! Was ist los?" Das ist sehr untypisch bis bedenklich.
"Ich verbinde elektronische Musik immer mit Drogen und da ich jetzt keine Drogen konsumiere ist auch die Musik zu kurz gekommen."

Obwohl er das schon erzählt hatte, war mir glaub ich die ganze Zeit über nicht bewusst, wie ernst es ihm ist. Wäre ich ein Arsch, hätte ich darauf hingewiesen, dass THC durchaus eine Droge ist, und er reichlich davon konsumiert. Aber es ist unfassbar, dass er wirklich den chemischen Konsum eingestellt hat. Und was er bezüglich der Musik sagt, das kenne ich auch. Als ich damals aufhörte, konnte ich sehr sehr lange kein Elektro mehr hören geschweige denn auf solche Parties gehen.

Es klingt vielleicht sentimental, aber ich hatte vorhin Tränen in den Augen, als er das schrieb. Ich weiß nicht, ob das alles auch mit dem Screening zu tun hat, oder ob die Ärztin ihm etwas gesagt hat, oder ob es sonst irgendwelche Hintergründe gibt. Aber eigentlich auch egal. Für jetzt freue ich mich für ihn. Dass er irgendwann nochmal Pläne schmiedet, sich Perspektiven erlaubt, die jenseits von Konsum und Parties liegen, mit bald 50 Jahren, dass er die Chemie doch noch mal weglässt ... das hätte ich niemals erwartet und finde es einfach nur toll.

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Sonntag, 6. Oktober 2024
Irgendwann sind wir alle weg.
Manchmal wird mir bewusst, dass schon drei der Männer, mit denen ich mal mehr oder weniger intensive intime Beziehungen unterhalten habe, nicht mehr leben. Kann natürlich sein, dass dieses Schicksal weitere ereilt hat, aber davon weiß ich zumindest bisher nichts. Von den dreien beging einer Suizid, einer erlitt den Riss der Halsschlagader, beim dritten ist mir die Ursache nicht bekannt. Alle drei sind in ihren 30ern oder 40ern verstorben. Was für ein komisches Gefühl. Es kann ständig soweit sein. Wie schön, dass ich bisher Tag für Tag aufwachen darf.

Momentan lese ich "Dein Fortsein ist Finsternis" von Jón Kalman Stefánsson, aus der Stadtbibliothek. Vielleicht kaufe ich es mir selbst. Ich würde gerne einige Stellen markieren. Lustig, dass jemandem vor mir wohl genauso erging. Auf einigen Seiten sind Eselsohren eingeknickt, ganz feine, als hätte diese Person dann versucht es auch einigermaßen wieder glatt zu streichen. Oft deckt es sich mit den Stellen, die auch mich berühren oder zum Nachdenken bringen.

Dieses Leben, das Kommen und Gehen, das Natürlichste an unserem ganzen Rhythmus, das einzige, was wir alle unabänderlich teilen, es fasziniert und beängstigt mich gleichermaßen. Oder es macht mich traurig, auf eine gewisse Art melancholisch. Manchmal ist mir die sehr explizite Darstellung von Sex im Buch unangenehm, bisher meist so eine männliche Perspektive auf Sex. Das bräuchte ich jetzt nicht. Andererseits: naja ohne Sex kein Leben.

Alles rund um den Tod beschäftigt mich seit letztem Jahr sehr. Mein Instinkt möchte das gar nicht wegdrücken, wie man vielleicht erst meinen könnte. Sondern ich will Erfahrungen hören, lesen. Merke jedoch, dass sich das Thema Suizid bzw. assistierter Suizid als doch recht emotional komplex für mich gestaltet und das Thema in Artikeln oder Podcasts skippe. Das ist zu nah, und da steckt noch zuviel Trauma drin, mein ganzer Körper reagiert darauf, wie ich auch dann merke, wenn, ich erwähnte es, entsprechende Post im Briefkasten ist.

Was bleibt von uns, und wie lange?






Mittwoch, 2. Oktober 2024
Jedes mal, wenn ich Post von einem Notar, Amtsgericht oder sonst einer offiziellen Stelle erhalte, läuft in mir erstmal das volle Programm zu meiner Mutter ab. Auch wenn ich noch gar nicht weiß, ob es wirklich sie betrifft. Alles auf einmal, Sorge, Angst, Erinnerungen, Liebe, Wut, Trauer, und Erinnerungen über Erinnerungen, die sich mit Befürchtungen vermischen, alles in Sekunden und sehr bildhaft.

Gestern war es ein Schreiben vom Amtsgericht. Der Betreuer, der inzwischen vom Psychiater bestellt wurde, da mein Bruder auch am Ende seiner Kräfte ist, wir beide, wir können nicht mehr Verantwortung übernehmen, hat meine Mutter zwangseinweisen lassen in die geschlossene Abteilung der Bezirkspsychiatrie. Es wird auch erläutert, wer an dieser Entscheidung beteiligt ist, und warum sie getroffen wurde.

Man könnte meinen, ich gewöhne mich irgendwann an das alles("Wie soll man sich denn daran gewöhnen??" - Meister Yoda). Seit 15 Jahren lebe ich nun mit einer schizophrenen Mutter. Es ist nicht die erste Einweisung, aber die erste, in die wir nicht involviert sind. Sondern die jemand veranlasst hat, dem sie nicht nahe steht. Es ist ein schreckliches Gefühl für mich. Als würden wir sie gänzlich im Stich lassen. Ich verstehe auch nicht, warum man ihre notarielle Vereinbarung, die getroffen wurde als sie noch zu solchen Entscheidungen und Unterschriften fähig war, nicht berücksichtigt. Die Bezirksklinik ist für sie ein Trauma. Sie will in eine andere, diese liegt allerdings in einem anderen Bundesland, vermutlich geht es deswegen nicht. Doch wozu legt man sowas dann notariell fest?

Wie beängstigend ist das, auch für uns alle, denke ich mir. Zählt man irgendwann einfach nicht mehr? Werden Bedürfnisse irgendwann nicht mehr ernst genommen? Es macht mich auch sehr wütend.

Und es bricht mir das Herz. Weil ich weiß, wie furchtbar es für sie dort ist, und weil ich weiß, dass die geschlossene Station kein guter Ort für solche Patienten ist. Mit "solche Patienten" meine ich die, bei denen die Krankheit auf die Art und Weise ausgeprägt ist wie bei meiner Muttter. Die nie Krankheitseinsicht erlangte. Die selbstständig keine Medikamente nimmt. Die einfach immer wieder von vorne anfängt, sobald sie entlassen wird - mit einem Trauma mehr im Gepäck. Freiheitsentzug ist so etwas entsetzliches, und einmal mehr, wenn man selbst nicht versteht, warum es geschieht.

Ich bin sicher, dass alle Beteiligten aus bester Überzeugung und in bester Absicht handeln. Und doch finde ich es furchtbar. Wie sehr würde ich ihr einen Fürsprecher wünschen! Jemand, der sie liebevoll anfasst, egal wo sie steht. Mein Bruder und ich können diese Menschen meistens nicht sein, und auch das ist etwas, was ich nur schwer ertrage. Ich schäme mich, fühle mich schuldig.

Es ist nicht so, dass ich eine bessere Lösung habe. Ja, meine Mutter war in Kurzzeitpflege, dort wollten sie sie nicht länger dabehalten, weil sich meine Mutter unmöglich aufgeführt haben muss. Ich kann es mir lebhaft vorstellen, und das, obwohl ich sie seit diesem akuten und schnell voranschreitenden Verfall nicht mehr persönlich gesehen habe. Sie kann nicht mehr alleine leben. Mein Vater erzählte mir, mein Bruder kam neulich zu ihr nach Hause, da saß sie nackt auf dem Sofa und hatte sich eingenässt. Ich erzähle das nicht um sie blosszustellen, ich finde es ist eine herzzerreissende Szene.

Es gibt Wohnheime für psychisch Erkrankte, leider gibt es in der Heimat davon nicht viele. Warum haben wir keine guten Orte für diese Menschen. Verdienen sie es denn nicht auch als Menschen gesehen und behandelt (nicht im medizinischen Sinne) zu werden?

6 Wochen in der Geschlossenen, ich mag es mir nicht vorstellen. Klar beenden sie das und verlegen auf die offene Station, wenn es sich bessert, aber sie wird nicht auf der offenen bleiben, wenn sie diesmal überhaupt dorthin kommt. Und danach? Wie sehr mag sie da noch leben wollen?

Ich finde es schrecklich, einfach nur schrecklich. Diese Ohnmacht, diese Sorge, Angst und Trauer um sie. Brutale Hilflosigkeit und Schuldgefühle. Es sitzt schwer auf der Seele. Mama du fehlst mir, schon so lange.

~ M83 - Wait

Seelenheil ~ ... link (4 Kommentare)   ... comment





Montag, 30. September 2024
Aufräumen.
Den beiden anderen Institute abgesagt - vor allem Heidelberg ist mir sehr schwer gefallen. Auch dort wäre ich sehr gut aufgehoben gewesen. Eine der dortigen Psychologinnen zusätzlich einzeln angeschrieben. Das Gespräch fand ich ganz besonders, alle die mit ihr lernen dürfen, können sich freuen. Viele werden es nicht mehr sein, sie setzt sich gerade zur Ruhe, für Supervision oder Selbsterfahrung hätte sie Neuen sowieso nicht mehr zur Verfügung gestanden.
***

Kanzlei wegen Zeugnis beauftragt. Zuerst eine vor Ort angerufen. Diese meinte aber, sie sind dermaßen voll mit Kündigungsschutzklagen, dass sie einzelne Zeugnis-Mandate nicht annehmen. Der Anwalt empfahl mir dann eine Online Kanzlei. Soweit klingt das alles okay. Ich hoffe es lohnt sich, wenig Geld ist es nicht.

Aus dem Leben ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment





Sonntag, 29. September 2024
Soundtrack Masterarbeit.
~ #136 Sensual Delight #5 / Gabriel Ananda Presents Soulful Techno

Gabriel Ananda · #136 Sensual Delight #5 / Gabriel Ananda Presents Soulful Techno


~ Sensual Delight - My Daydreaming

Sensual Delight · My Daydreaming


~ Ninsa - Špaceflowřs 16 - DREAM

Ninsa · Špaceflowřs 16 - DREAM

Nur so. ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment



"Wenn ich weiß, wo's mich hinzieht, so... von meinen Herzensthemen, dann lohnt es sich auch unsicher zu sein oder [..] irgendwie mit der Unsicherheit irgendwo hinzugehen."

So Psychologin Anne Otto heute im heutigen "Plus Eins" zum Thema (soziale) Unsicherheit bei Deutschlandfunk Kultur.

Anne Otto spricht mir in vielem aus dem Herzen, auch, warum sie trotz ihrer Unsicherheit einfach macht. Weil sie neugierig ist, neue Situationen und Menschen kennenlernen möchte.

Für mich ist es wie eine kleine Hand auf der Schulter, die sagt: ja, das war eine gute Entscheidung mich dahin zu wagen, wo ich die größte Unsicherheit spüre - weil mein Herz mich dahin zieht. Weil ich trotz aller Ängste wissen will, wie es da ist und mit welchen Menschen ich da in Kontakt komme. Ich hätte mich immer gefragt, wie es dort gewesen wäre, auch wenn eine andere Entscheidung mit weniger (gefühlter!) Unsicherheit einhergegangen wäre. Nur Mut, flüster ich mir immer wieder zu, obwohl die Entscheidung ja getroffen ist. Die Unsicherheit bleibt. Die Neugierde aber ist stärker.

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