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Sonntag, 25. Dezember 2011
Last christmas...
okavanga, 05:28h
Ich wünschte, ich könnte hier nun ganz klare und detaillierte Erinnerungen an dieses Weihnachten hinschreiben. Deswegen laufe ich auch vorhin um kurz nach 3 von meinem Bruder zu meinem Vater. Um klar zu werden, um den Alkohol abzubauen. Aber mit jedem Schritt wird das Gehirn nebliger, und die Gedanken glitschen durch meinen Kopf, sie sind nicht mehr wirklich greifbar.
Wir waren in dieser Kirche, die aussah, wie eine Bilderbuchkirche in einem Bilderbuchbayern. Klein, ländlich, sehr hübsch mit wunderschönen Gemälden, einer fantastischen Orgel, einem goldenen Kronleuchter und einem weißen Herrnhuter Stern. Diese für uns neue Kirche in einem für uns neuen Dorf, das erste Weihnachten seit 20 Jahren nicht in der altbekannten Wohnung, nicht in der altbekannten Gemeinde, weil meine Mutter vor knapp einem Jahr umgezogen ist. Ich versuche alles nicht an mich ranzulassen, während Mama bei "Stille Nacht, Heilige Nacht" und "Oh du Fröhliche" weint.
Danach wird es ein bisschen entspannter, nachdem sie in der Küche wieder weint und meint: lass uns einfach einen schönen Abend haben.
Und dieser Abend, für mich ist er nichts anderes als ein Abschied. Ich mag gar nicht so sehr ins Detail gehen, weil ich nicht will, dass ich am Ende hier wirklich das letzte Weihnachten mit meiner Mama beschreibe. Andererseits will ich es nichts lieber als irgend etwas anderes festhalten.
Ich erkläre ihr irgendwann, wie es mir geht, vor allem mit der Arbeit, und wie meine Psyche kaputtis ist, und frage sie, ob sie sich daran erinnert, wie sie damals, als ich das erste mal in meinem Leben eine Depression hatte, zu mir sagte: "Es reicht jetzt. Du versprichst mir jetzt, dass du morgen zum Psychiater gehst, dir Antidepressiva verschreiben lässt und eine Therapeutin suchst." Und dass es das Richtigste überhaupt war, was sie sagen konnte. Nein, sagt sie, daran erinnert sie sich nicht, dass sie aber schon immer aufgeschlossen war gegenüber therapeutischer Hilfe.
Stumm schüttel ich schon da den Kopf, also nur so leise in mir drin. Und sie weint und sagt, sie hatte ja keine Ahnung, wie schlimm es ist, und ich versuche ihr zu erklären, dass es jetzt nicht optimal, aber kein Weltuntergang ist, dass der Vorteil nun ja ist, dass ich einigermaßen weiß wie ich damit umgehen soll, und ich weiß, dass ich Hilfe brauche, und dass ich diese Hilfe bereits suche. Und sie weint: "Und dann komm ich da mit meiner Scheiße noch dazu." Ich sage: alles im grünen Bereich. Ja, es belastet mich, aber das ist halt so, und immerhin sei ja noch alles ok, in der Arbeit merke keiner was, und meine Wohnung sieht auch top aus. "Ja, meine auch noch. Noch." Sagt sie. Und ich bin hellhörig, und sie weint weiter, aber egal wieviel ich frage, sie hört an dieser Stelle auf, etwas dazu zu sagen. Ich fühle mich schuldig, sage: scheiße, ich hätte dir das nicht erzählen sollen! Und sie sagt: doch! Und jetzt frage ich mich, ob sie glaubt, sie würde eine Ballast von mir nehmen, wenn sie weg ist. Wieviel größer ist für mich die Ballast eines Suizids, frage ich mich. Und sie nimmt mir das Versprechen ab, dass ich mein Leben änder. Dass ich mir ein Leben suche, in dem ich keinen verspannten Kiefer habe. Ein Leben, in dem ich mich richtig fühle.
Wir sehen viele leere Pfandbierflaschen. Und viel Nachschub im Autokofferraum. Sehen einen Menschen, der ein schönes letztes Weihnachten mit seinen Kindern haben will. Dass es das letzte sein soll, erfahre ich erst von meinem Bruder auf der Rückfahrt. Denn während ich mich anziehe für die Rückfahrt, spricht sie leise mit meinem Bruder, eindringlich, und sie weint, und ich kenne diesen Blick, und ich verstehe nicht um was es geht, ahne es aber, bis er es mir sagt. Bis dahin war der Abend wunderschön. Sie zieht es durch, glaube ich, das rationalisierte Verabschieden vom Leben. In ebenjener bereits beschriebener Wohnung mit beschriebener Deko und beschriebendem Duft und mit der bayerischen Weihnacht auf Ant*enne Ba*yern. Und mit den zwei zuckersüßen Katzen. Und dieser Mama. Dieser meiner Mama. Sie erzählt so witzige Anekdoten aus unseren Leben, aus unserem gemeinsamen Leben. Von meinem Bruder, von mir. Erzählt gestenreich, nein sie spielt es uns vor, uns stehen teilweise die Tränen vor Lachen in den Augen, und fragen uns danach: "Wie kann das sein?? Da scheint es ihr doch so gut zu gehen, in solchen Momenten?"
"Es wird kein nächstes Jahr geben", meint sie zu meinem Bruder. Kein nächstes Weihnachten. Denn sei es nicht besser auch Tiere einzuschläfern, die leiden, wenn es keine Chance auf Heilung gibt. Mein Bruder vereinbarte mit ihr, dass wir zu dritt darüber reden, am 2. Weihnachtsfeiertag.
Aber das ist schwer erklärbar. Wie sehr man so etwas spürt, als Kind. Und wie man sieht, dass sie das auf rationaler Ebene seit Wochen vorbereitet.
Du weißt, sage ich meinem Bruder später, dass das bedeutet, dass wir spätestens bei diesem Gespräch die Polizei und den Notarzt rufen müssen. Und ja, er weiß es, und allein die Vorstellung ist abartig. Und wir fragen uns, ob es nicht wirklich besser ist, einen Menschen von seinem Leiden zu erlösen, anstatt ihn für den Rest seines Lebens zu psychiatrischer und medikamentöser Behandlung zu zwingen, denn wollen wird er es nicht. Wogegen die winzige Hoffnung steht, dass das wiederum die einzige minimale Chance ist, dass sich doch noch etwas ändert. Aber diese Chance ist wie gesagt minimal. Und für mich persönlich läge aus ihrer Sicht der Suizid bei einem aufgezwungenen Leben in der Psychiatrie vermutlich genauso nahe. "Wie mans macht macht mans falsch."
Wir, also mein Bruder und ich, trinken bei meinem Bruder zu Hause Sekt, spielen mit seiner Katze, reden über Mama, und dann viel über Arbeit. Und hören Musik, wie dieses eine. Bis spät in die Nacht. Und fragen uns, ob wir doch bei ihr hätten übernachten sollen.
Es war ein sehr tränenreiches Weihnachten, für uns alle. Mein schönstes Geschenk ist ein Brotkorb. Sie überreicht ihn mir uneingepackt. Er hat eine Herzform und einen roten Boden. Das Holz ist hell. "Den habe ich damals geflochten. Bei meinem ersten Aufenthalt in der Psychia*trie. Ich wollte ihn dir schon die ganze Zeit schenken, und eigentlich noch eine persönliche Widmung hinten draufschreiben. Das hat mir Spaß gemacht, das Korbflechten." Die Widmung holt sie nach. Der Korb ist das furchtbar traurigste schönste Weihnachtsgeschenk, das sie mir jemals gemacht hat.
Als ich nun hier bei meinem Vater die Tür aufsperre, frage ich mich, ob das wirklich das letzte Weihnachten mit meiner Mama war.
Wir waren in dieser Kirche, die aussah, wie eine Bilderbuchkirche in einem Bilderbuchbayern. Klein, ländlich, sehr hübsch mit wunderschönen Gemälden, einer fantastischen Orgel, einem goldenen Kronleuchter und einem weißen Herrnhuter Stern. Diese für uns neue Kirche in einem für uns neuen Dorf, das erste Weihnachten seit 20 Jahren nicht in der altbekannten Wohnung, nicht in der altbekannten Gemeinde, weil meine Mutter vor knapp einem Jahr umgezogen ist. Ich versuche alles nicht an mich ranzulassen, während Mama bei "Stille Nacht, Heilige Nacht" und "Oh du Fröhliche" weint.
Danach wird es ein bisschen entspannter, nachdem sie in der Küche wieder weint und meint: lass uns einfach einen schönen Abend haben.
Und dieser Abend, für mich ist er nichts anderes als ein Abschied. Ich mag gar nicht so sehr ins Detail gehen, weil ich nicht will, dass ich am Ende hier wirklich das letzte Weihnachten mit meiner Mama beschreibe. Andererseits will ich es nichts lieber als irgend etwas anderes festhalten.
Ich erkläre ihr irgendwann, wie es mir geht, vor allem mit der Arbeit, und wie meine Psyche kaputtis ist, und frage sie, ob sie sich daran erinnert, wie sie damals, als ich das erste mal in meinem Leben eine Depression hatte, zu mir sagte: "Es reicht jetzt. Du versprichst mir jetzt, dass du morgen zum Psychiater gehst, dir Antidepressiva verschreiben lässt und eine Therapeutin suchst." Und dass es das Richtigste überhaupt war, was sie sagen konnte. Nein, sagt sie, daran erinnert sie sich nicht, dass sie aber schon immer aufgeschlossen war gegenüber therapeutischer Hilfe.
Stumm schüttel ich schon da den Kopf, also nur so leise in mir drin. Und sie weint und sagt, sie hatte ja keine Ahnung, wie schlimm es ist, und ich versuche ihr zu erklären, dass es jetzt nicht optimal, aber kein Weltuntergang ist, dass der Vorteil nun ja ist, dass ich einigermaßen weiß wie ich damit umgehen soll, und ich weiß, dass ich Hilfe brauche, und dass ich diese Hilfe bereits suche. Und sie weint: "Und dann komm ich da mit meiner Scheiße noch dazu." Ich sage: alles im grünen Bereich. Ja, es belastet mich, aber das ist halt so, und immerhin sei ja noch alles ok, in der Arbeit merke keiner was, und meine Wohnung sieht auch top aus. "Ja, meine auch noch. Noch." Sagt sie. Und ich bin hellhörig, und sie weint weiter, aber egal wieviel ich frage, sie hört an dieser Stelle auf, etwas dazu zu sagen. Ich fühle mich schuldig, sage: scheiße, ich hätte dir das nicht erzählen sollen! Und sie sagt: doch! Und jetzt frage ich mich, ob sie glaubt, sie würde eine Ballast von mir nehmen, wenn sie weg ist. Wieviel größer ist für mich die Ballast eines Suizids, frage ich mich. Und sie nimmt mir das Versprechen ab, dass ich mein Leben änder. Dass ich mir ein Leben suche, in dem ich keinen verspannten Kiefer habe. Ein Leben, in dem ich mich richtig fühle.
Wir sehen viele leere Pfandbierflaschen. Und viel Nachschub im Autokofferraum. Sehen einen Menschen, der ein schönes letztes Weihnachten mit seinen Kindern haben will. Dass es das letzte sein soll, erfahre ich erst von meinem Bruder auf der Rückfahrt. Denn während ich mich anziehe für die Rückfahrt, spricht sie leise mit meinem Bruder, eindringlich, und sie weint, und ich kenne diesen Blick, und ich verstehe nicht um was es geht, ahne es aber, bis er es mir sagt. Bis dahin war der Abend wunderschön. Sie zieht es durch, glaube ich, das rationalisierte Verabschieden vom Leben. In ebenjener bereits beschriebener Wohnung mit beschriebener Deko und beschriebendem Duft und mit der bayerischen Weihnacht auf Ant*enne Ba*yern. Und mit den zwei zuckersüßen Katzen. Und dieser Mama. Dieser meiner Mama. Sie erzählt so witzige Anekdoten aus unseren Leben, aus unserem gemeinsamen Leben. Von meinem Bruder, von mir. Erzählt gestenreich, nein sie spielt es uns vor, uns stehen teilweise die Tränen vor Lachen in den Augen, und fragen uns danach: "Wie kann das sein?? Da scheint es ihr doch so gut zu gehen, in solchen Momenten?"
"Es wird kein nächstes Jahr geben", meint sie zu meinem Bruder. Kein nächstes Weihnachten. Denn sei es nicht besser auch Tiere einzuschläfern, die leiden, wenn es keine Chance auf Heilung gibt. Mein Bruder vereinbarte mit ihr, dass wir zu dritt darüber reden, am 2. Weihnachtsfeiertag.
Aber das ist schwer erklärbar. Wie sehr man so etwas spürt, als Kind. Und wie man sieht, dass sie das auf rationaler Ebene seit Wochen vorbereitet.
Du weißt, sage ich meinem Bruder später, dass das bedeutet, dass wir spätestens bei diesem Gespräch die Polizei und den Notarzt rufen müssen. Und ja, er weiß es, und allein die Vorstellung ist abartig. Und wir fragen uns, ob es nicht wirklich besser ist, einen Menschen von seinem Leiden zu erlösen, anstatt ihn für den Rest seines Lebens zu psychiatrischer und medikamentöser Behandlung zu zwingen, denn wollen wird er es nicht. Wogegen die winzige Hoffnung steht, dass das wiederum die einzige minimale Chance ist, dass sich doch noch etwas ändert. Aber diese Chance ist wie gesagt minimal. Und für mich persönlich läge aus ihrer Sicht der Suizid bei einem aufgezwungenen Leben in der Psychiatrie vermutlich genauso nahe. "Wie mans macht macht mans falsch."
Wir, also mein Bruder und ich, trinken bei meinem Bruder zu Hause Sekt, spielen mit seiner Katze, reden über Mama, und dann viel über Arbeit. Und hören Musik, wie dieses eine. Bis spät in die Nacht. Und fragen uns, ob wir doch bei ihr hätten übernachten sollen.
Es war ein sehr tränenreiches Weihnachten, für uns alle. Mein schönstes Geschenk ist ein Brotkorb. Sie überreicht ihn mir uneingepackt. Er hat eine Herzform und einen roten Boden. Das Holz ist hell. "Den habe ich damals geflochten. Bei meinem ersten Aufenthalt in der Psychia*trie. Ich wollte ihn dir schon die ganze Zeit schenken, und eigentlich noch eine persönliche Widmung hinten draufschreiben. Das hat mir Spaß gemacht, das Korbflechten." Die Widmung holt sie nach. Der Korb ist das furchtbar traurigste schönste Weihnachtsgeschenk, das sie mir jemals gemacht hat.
Als ich nun hier bei meinem Vater die Tür aufsperre, frage ich mich, ob das wirklich das letzte Weihnachten mit meiner Mama war.
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