Dienstag, 25. März 2014
Stilles Staunen
Am Wochenende war ich zum Hospitieren bei einer Reittherapeutin eingeladen. Die Dame lernte ich vor einigen Wochen auf einer Jobmesse kennen. Dort hatte ich selbst Standdienst und in der Pause stromerte ich durch die Gänge und das eine führte zum anderen.. wie das eben manchmal so ist.

Erst finde ich den Betrieb nicht. Nicht weil er so klein ist (was er zum Glück ist. Hier gilt es nicht möglichs viele Patienten abzufertigen, sondern Zeit und Empathie mitzubringen), sondern weil er so idyllisch liegt, dass man ihn zwischen all den Weinanbauflächen und Obstbäumen kaum sehen kann.

Ich bin unglaublich aufgeregt wie ich da in meinem Auto sitze. Ist ja nicht so mein Ding, die Konfrontation mit einem Bündel an typsichen Oka-Ängsten. Neue Situation, neue Menschen, Unsicherheit. Schiss. Aber ich bin stolz, dass ich mich in die Situation wage.

Und: es tut so gut den Samstag mal um 9 Uhr an der frischen Luft zu starten, und dann auch bis 15:30 Uhr an der Luft zu bleiben. Regen hin oder her. Wir gehen mit geistig Behinderten spazieren (also sie reiten, wir laufen nebenher), longieren weitere Behinderte, und eigentlich fällt mir schon gar nicht mehr auf dass sie anders sind, der MS-Patient mit Sohn fällt heute aus, und am Ende kommen zwei kleine Knirpse, davon ein 5-jähriges Mädchen mit Posttraumatischer Belastungsstörung, das mitten in einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-OP (oder so ähnlich, bitte nageln Sie mich nicht fest - es sind unendlich viele neue Begriffe und Eindrücke an diesem Tag) aufwachte, weil der Anästhesist nicht ausreichend narkotisiert hatte.

Der Geruch nach Dung und Pferdehaaren. Der Regen auf dem frischen Grün. Das weiche Pferdefell. Weinreben und in Blüte stehende Obstbäume. Kleine Hände, die die meine greifen wollen. Kleine Geschöpfe, die langsam Vertrauen fassen und ihre Wangen an die weiche Pferdekruppe schmiegen. Die lachen und babbeln, und neugierig sind, und mutig und klug. Und Pferde, die sich ganz sensibel einfühlen und den unterschiedlichen Reitern anpassen. Ich bin völlig fasziniert. Und entschleunigt. Zwar auch angestrengt. Aber geerdet. Da.

Die Therapeutin sucht noch Helfer für die Gruppe psychisch Kranker. 10 Termine. Sie findet, ich habe mich gut gemacht, sowohl im Umgang mit den Menschen, als auch mit den Pferden, und kann sich vorstellen, dass ich weiterhin komme. Ob ich Berührungsängsgte mit psychisch Kranken hätte. Nein, sage ich, und frage, welche Krankheiten die Menschen denn hätten. Chronische Schizophrenie. Ich werde nachdenklich und lasse mit Zeit mit einer Antwort. Nein, sage ich, das ist kein Problem, und ich erzähle ihr von meiner Mutter. Auch sie wird nachdenklich. "Das hat natürlich 2 Seiten. Wenn du selbst dich mit dem Thema auseinandergesetzt, und es vielleicht sogar selbst in einer Therapie bearbeitet hast, du selbst also nicht instabil bist, dann könnte das eine echte Chance sein. Ansonsten birgt es natürlich ein Risiko." Ich berichte ihr von meiner Therapie, und dass sie abgeschlossen ist. Davon, dass ich eine für mich gute Distanz zu meiner Mutter gefunden habe. Sie erzählt mir von der psychischen Erkrankung in ihrer Familie, und von ihrer Therapie.

Am Ende einigen wir uns darauf, dass ich darüber schlafe und mich melde. Und schon im Auto weiß ich, dass ich mich melden werde und das versuchen möchte. Alles in mir weiß, dass es wichtig und richtig ist. Sollte es wider jeglicher Erwartung (ich möchte dem kleinen Arschloch in mir einfach mal den Fuckfinger zeigen, der Drecksack soll mich in Ruhe lassen. Der, der mich immer daran hindern will, dass ich mir endlich nen Palast aus Gold baue) nach hinten losgehen, kann ich es auch immer noch sein lassen.

Abends war ich bei Freunden zum Spieleabend. Nach ein zwei drei Sekt und ein zwei drei Schnapps falle ich zu hause in komatösen Schlaf. Obwohl nein, komatös ist er nicht.

Ich träume als würde ich viele Leben leben. Durcheinander, bunt und intensiv. Der einzige, der bis heute hängengeblieben ist, ist der von LeSchwe. Im Traum begegnen wir uns zufällig in einer großen hellen Shoppinghalle. Ich hasse Shoppinghallen eigentlich, aber diese ist nett, ruhig, gedämpft und nicht so viel Bling Blin, und wenig Leute. Wir umarmen uns und lachen und reden. Und nach einer halben Stunde sage ich ihr: du, jetzt hab ich echt ne halbe Stunde lang gebraucht um mich daran zu erinnern, dass wir eigentlich böse miteinander sind.

Am Sonntag habe ich einen Kater. Mit der Katze auf dem Schoß.

Ich bin gespannt auf alles weitere im Leben. Jeden Tag wieder, auch wenn mich die Arbeit richtig richtig ankotzt. Und ich oft wütend bin und mit mir selbst kämpfe und viel Selbstkontrolle brauche um nicht zu explodieren... bei all den Arschlöchern, den selbstgerechten, den Empörkömmlingen und Pimmelmackern...

Aber hey... schauen Sie mal, die Magnolienblüten da drüben! Und da, wie das Licht sich in den Regentropfen auf den Weinblättern bricht. Und wie sehr sich die Authistin über das Flugzeug am Himmel freut, ihre einzige Gesichtsregung in einer Stunde. Der lustige Spieleabend mit Menschen, die ich mag, und die mich mögen. Die Wolken, die über den Obstbäumen Gebirge spielen. Und der kleine Stinkbär, der mich immer freudig maunzend begrüßt und seine winzige feuchte Nase an meiner reiben will.

Die wirklich wichtigen Dinge. Die sind wunderschön. So klein sie auch sein mögen, manchmal auch versteckt, und oft gefährdet, empfindlich, schutzbedürftig. Schwer zu sehen unter all dem Alltagsrotz. Manchmal mag ich mich ihnen gar nicht öffnen, mag ich ihre Schönheit nicht erkennen, wenn meine Seele mal wieder in dunklem Teer zu ersticken droht. Als müsste ich mir selbst beweisen, dass das Leben einfach scheiße ist. So wird das aber nix mit dem Palast aus Gold. Deswegen mache ich mich jetzt - egal wie schwer es ist - daran die Pimmelmacker auszusperren, und mehr kleine Wunder, das Schöne, Zarte, Feine, Reine reinzulassen.

Eine gute Woche Ihnen allen.



~ Digitalism - Just Gazin'