Dienstag, 14. Juni 2016
"Was genau suchst du eigentlich???"

Zwischen den Stapeln meiner Tagebücher habe ich zuerst eine Mail von V. gefunden, die ich mir damals in Südafrika von meinem dortigen Uni-Mailaccount ausgedruckt hatte, damit ich sie behalten kann. Sie war mir wohl wichtig. Ich fotografiere sie vorhin und sende sie V. Weniger später finde ich in einem Tagebuch vom Jahr 2002 einen Eintrag zu unserer zweiten Begegnung. "Du fandest mich mal süß??? Ich bin erstaunt." "Ich auch... Scherz. ;-)"

Was genau suche ich eigentlich.
Zuerst habe ich eine Stunde im Keller diese ganzen Tagebücher gesucht. Dann hab ich angefangen zu lesen. Und zu schauen. So tolle Liebesbriefe, die ich bekommen habe. Wunderschöne Karten. Bilder, die nüchtern, Bilder die mit Drogen gekritzelt wurden. So viel Kummer, Ängste, Selbsthass, Wut, Verzweiflung, soviel "Ich hasse mich und mein Leben", und mindestens genauso viel "Ich bin glücklich, ich liebe mich und mein Leben." Letzteres muss mir in dieser Form irgendwann vor 10 Jahren verloren gegangen sein. Eigentlich pünktlich mit Diplomarbeit und Ende der Studienzeit.



Ich wollte sehen, was ich mit 17 in meine Tagebücher geschrieben habe. Ich schreibe Tagebücher, seit ich schreiben kann. Oder zumindest beinahe. Leider habe ich einige auch gar nicht mehr.



Ich wollte sie suchen, weil ich derzeit den Eindruck habe mich wieder zu fühlen wie mit 16, 17. Nicht, was die meisten jetzt darunter verstehen, sweet 16 und so. Eher tottraurig, einsam, ohne Orientierung. Eher den Punkt, an dem ich angefangen habe die Gefühle mit Drogen zu deckeln, weil ich nicht wusste wie ichs sonst aushalten soll.



Momentan fühle ich mich genau so, dass ich wieder nachvollziehen kann, warum ich damals zu Drogen gegriffen habe.



Es erstaunt mich wirklich extrem, dass da auch so oft "Ich bin glücklich, ich liebe mich und mein Leben." steht. Primär ist das dann nach der Drogen-Hochphase, und nach meinem Auszug von zu Hause. Ab ca. Ende 19, Anfang 20. Das war mir so gar nicht mehr bewusst, auch, dass das doch so häufig war. Diese Höhen sind nur noch eine vage Erinnerung, aber ich weiß, dass sie da waren. Ich lese von all den wunderbaren Begegnungen, die ich hatte, mit Männern wie mit Frauen, mit Freundschaften wie mit Beziehungen. Von Liebeskummer, Verzweiflung, Schmetterlingen im Bauch und der Euphorie der ersten großen, richtig großen Liebe.

Wo sind sie hin, die Höhen? Ist das der Preis fürs auspegeln? Warum sind dann die krassen Tiefen nicht ausgepegelt?

Wieso begegne ich heute nicht mehr so vielen Menschen wie damals? Ist es das Alter?

Wieso bin ich heute noch so viel befangener als damals? Damals habe ich einfach gemacht. Mich reingestürzt. In Städte, in Länder, in Abenteuer, in Männer. Hab mir dabei die Knie und Lippe aufgeschlagen, blaue Flecken und Narben geholt. Und bin trotzdem überglücklich barfuß auf Asphalt durch den warmen Sommerregen in München Schwabing getanzt.

Wenn das der Inbegriff der Jugend ist, die man irgendwann einfach abgibt, wieso habe ich es nicht geschafft mir etwas zu erschaffen, was den Verlust der Jugend ausgleicht? Was wäre das gewesen? Was hätte mir diesen Verlust ausgeglichen? Tatsächlich eine feste Partnerschaft, Familie? Oder vielmehr weiterhin konstante Veränderung, Abenteuer, Neues entdecken?

Mir fehlen diese Höhen. Wahrscheinlich fehlen mir sogar die aufgeschlagenen Knie. Vielleicht muss ich einfach anfangen wieder auf die Fresse zu fallen. Das Leben in vollen Zügen angehen. Pleite und glücklich. Verletzt, hysterisch, zufrieden. Lebendig.

Oder war es genau das, was mich an diesen Punkt gebracht hat, an dem ich jetzt bin? Oder bin ich an dem Punkt, weil ich das irgendwann aufgehört habe?