Samstag, 3. Februar 2024
Seit einigen Tagen, vielleicht auch seit der Weihnachtszeit, oder vielleicht seit der Situation mit meiner Mutter im November, oder vielleicht auch schon seit der Diagnose meines Vaters, vielleicht aber auch seit Corona, Kriegen, Klimakrise, Inflation und der ganzen wachsenden Rechtsextremenscheisse habe ich Angst. Sie sitzt auf meiner Brust, sie sitzt auf meinem Herz. Ich will das nicht recht wahrhaben, aber je mehr ich es vor mir verleugne, oder banalisiere, desto hartnäckiger sitzt sie da. Mit dickem Hintern, ruckelt hin und her, sitzt sich richtig schön breit, sagt demnostrativ: mich kriegste jetzt so schnell nicht mehr los.

Ich kanns ihr nicht verübeln. Es war viel. Es ist viel. Der Krebs, meine Mutter mit ihrer ewig währenden Erkrankung und der Suizid-Scheisse, Brustkrebs bei Katinka, der Tod von R., und dann noch die Arbeitssituation, bzw. nun die Kündigung und die Aussicht auf viele Wochen Krankengeld, gefolgt von Arbeitslosengeld (jeweils berechnet auf Basis eines Teilzeitgehalts). Ganz zu schweigen von den Zuständen im Land und in der Welt.

Eine Phase, versuche ich der Angst zuzuflüstern. Das ist nur temporär. Das wird schon irgendwie. Es ist immer irgendwie geworden.

Doch die Angst listet die in den nächsten Monaten anstehenden Sonderausgaben auf, grinst dann hinterfotzig, und holt das Mega-Brett hervor: ach ja, eine Phase? Interessant. Also wenn du bist Ende August deine Masterarbeit abgeben willst, dann hast du danach ja 2 Monate Pflichtpraktikum. Hoffentlich, nicht wahr, darum solltest du dich auch mal kümmern, vielleicht? Das brauchs du ja, für dein Studium, du erinnerst dich? Das ist unbezahlt, Mäuschen. Nach 3 Monaten mit ALG. Und dem nicht genug. In 2025 willst du dann in die Ausbildung. Von welchem Geld willst du die eigentlich bezahlen? Ganz zu schweigen von deinen laufenden Fixkosten? Von den nicht vorhandenen Ersparnissen?

Dann sitze ich da, glotze der grinsenden Angst dämlich ins Angesicht, oder vielleicht hocke ich auch eher wie das Kaninchen vor der Schlange, und habe keine Antworten. Ich werde 44 und schaue auf ähnlich prekäre Zeiten wie während meines Erststudiums. Aber immerhin gabs da noch Bafög und Kfw.

Und dann ist da der Teil, der nach den Erlebnissen im letzten Jahr sagt: das Leben ist wichtig, wir lieben es. Ich weiß, wie verschissen teuer die Ausbildung in unserem Wunsch-Institut ist. Aber das Leben ist so kurz, und wir sind nicht mehr Anfang 20. Es ist nicht unser Erststudium. Wenn es echt gut läuft, haben wir nur noch die Hälfte des Lebens vor uns. Dieses Institut ist alles, was wir uns wünschen, um diese lange und anstrengende Ausbildungszeit nicht wieder nur als Maloche und Ballast zu betrachten. MACH ES EINFACH MÖGLICH - EGAL WIE.

Die Angst kann über diesen Teil nur lachen, und schießt hinterher: ist doch vielleicht eh fürn Arsch. Wer weiß, wie lange wir überhaupt noch so leben können, wie wir leben. Was kümmert dich so ein Zeug? Mach einfach irgendeinen Job, hör auf zu jammern, und verdien Geld.

Mir geht die Kraft aus für starke Argumente, es reicht für ein: das ist das, was ich versucht habe, bevor ich mich mit Mitte 30 für diesen neuen Weg entschieden habe. Dass ich all das überhaupt noch mal auf mich genommen habe, rüht aus einem großen Leidensdruck. Nicht mehr für die Rendite und Boni von Arschlöchern, sondern für das Wohl anderer Menschen zu arbeiten, das war und ist mein tiefer Wunsch. Und die jüngsten Erfahrungen mit der Firma, mit Menschen, die mich seit 17 Jahren kennen und nun wie den letzten Dreck rausgedrückt haben, bestätigen mir, wie richtig und wichtig meine Entscheidung war. Ich wusste, dass es nicht leicht wird, aber es war mir nicht mehr möglich, diesen anderen Weg auszuhalten. Bei aller Anstrengung fühle ich mich so viel lebendiger, als vor 10 Jahren. Hänge so viel mehr am Leben.

Worauf wollte ich eigentlich hinaus? Keine Ahnung. Ich habe Angst. Angst davor, dass ich meinen Weg nicht wie gewünscht weitergehen kann, weil mir einfach nur Geld fehlt. Angst vor der Angst, und davor, wieder in eine Depression zu rutschen, weil alles zuviel wird und dann, ja, tja, dann tendiere ich dazu, alles runterzudrücken. Depressere. Damit ist dann auch keinem geholfen.

Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, die nicht mal ansatzweise abbezahlte Wohnung zu verkaufen. Aber das macht mir noch mehr Angst, abgesehen davon, dass der Zeitpunkt gerade nicht optimal ist. Die Wohnung ist so gut wie meine einzige Investition in eine (Rentner)Zukunft. Und zumindest in Städten würde ich für die gleiche Quadratmeterzahl niemals eine so niedrige Kaltmiete wie meine Kreditrate zahlen. Ich habe Angst, mir irgendwann in Deutschland keine Mieten mehr leisten zu können. Ist jetzt nicht so utopisch, bei der Entwicklung. Dann habe ich zumindest noch meine Wohnung. Auch rein betriebswirtschaftlich gesehen wäre ein Verkauf zum jetzigen Zeitpunkt einfach nur dumm.

Und manchmal sagt ein anderer Teil ganz leise: mein Gott sind das Luxusprobleme. Ja, vielleicht sind sie das. Aber der Job ist ein so großer Teil im Leben unserer Gesellschaft, ich mag nicht mehr für den Reichtum anderer buckeln und selbst dabei in irgendeinem Büro vor irgendeinem PC kreuzunglücklich sein. Und es ist das erste mal in meinem Leben, dass ich eine Vision habe, eine ganz konkrete Vorstellung und ein ganz konkretes Ziel, wo ich hinmöchte. Ich weiß, dass genau das, was ich tue, mein Weg ist. Ich hatte leider nicht das Privileg, das vor oder direkt nach meinem Abi zu wissen, da hatte ich ganz andere Probleme. So eine klare Vision kannte ich vorher gar nicht. Und es ist so toll, nun eine zu haben, denn das treibt an, gibt Kraft und Zuversicht und Lebenswillen. Aber ich merke nun auch, dass es beängstigend ist, wenn man realisiert, dass es vielleicht einfach nur bei einer Vision bleibt.

Und in manchen, ganz winzigen, seltenen Momenten sagt eine in mir ganz resolut und liebevoll: du hast dann zwei Studienabschlüsse. Du wirst auf die Füße fallen. Ich glaub an dich. Aber bitte kümmer dich vor allem um das, was das letzte Jahr mit dir gemacht hat. Das ist wichtiger als alles andere.