Dienstag, 20. Dezember 2022
Das Glatteis in Oberfranken wurde gestern meinem Vater zum Verhängnis. Einen Schritt raus zur Haustür, zack, Oberarmfraktur. Voraussichtlich heute Nachmittag steht die OP an. Ich hoffe, das klappt. Es stehen allein 17 Glatteis-OPs in dem Krankenhaus an. Und alle wollen vor Weihnachten zu Hause sein. Übermorgen wäre sein 71. Geburtstag, mit Feier in einem Gasthof im Umland. Wir sollen ohne ihn feiern. Etwas seltsam, aber irgendwie auch süß. Er möchte nicht, dass der Gasthof so kurz vor Weihnachten diesen Ausfall hat, da sie sich ja komplett darauf eingestellt haben.

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Ich bin so unsicher im Zwischenmenschlichen. Vermutlich war das schon immer so, ich konnte es nur nie so deutlich SPÜREN. Es ist sehr anstrengend, das zu lernen.

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Mutter-Front unverändert. Durch den Noah-Artikel wurde mir bewusst, dass wir wohl wirklich nicht mit allzu vielen darüber reden sollten. Heute Nacht geträumt, sie, mein Bruder und ich wären auf Sylt. Wir fuhren mit dem Auto über eine Straße zwischen den Dünen. Da kam plötzlich von vorne eine riesen Flutwelle. Voller Angst blickten wir nach hinten, um rückwärts zu fahren. Von Hinten kam aber ebenfalls eine riesen Welle. Es war gar nicht so sehr Panik. Einfach Angst, und die Hoffnung, es zu überstehen. Ich hielt die Luft an, Wasser umschloss mich von allen Seiten. Ich weiß noch, dass ich Luftblasen spürte, die aus meiner Nase aufstiegen. Mehr weiß ich nicht mehr.






Montag, 19. Dezember 2022
In der S-Bahn. Ein Typ, schätzungsweise in seinen Dreißigern, kommt in den Wagon, ohne Maske, rotzt und hustet wie bescheuert in sein Telefon. "Ja man, die Menschen sind krank, nur noch so Ich-Denker." Hust, rotz. "Wie Tiere." Hust, rotzehochzieh, "Schon in der Bibel steht, dass die Menschen am Ende wie Tiere sein werden." Hust.

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Gelesen: Noahs Tod (€). Noah ist 23, querschnittsgelähmt und möchte assistierten Suizid in Anspruch nehmen.

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Ich zähl die Stunden bis Weihnachten/ "Urlaub" (nennen wir es arbeits- und vorlesungsfrei)

Aus dem Leben ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment





Freitag, 16. Dezember 2022
Es ist alles gerade ein bisschen sehr viel. Zwischen dem Overkill an Arbeit und Uni lauert das Mutter-Monster (assistierter Suizid). Neulich bin ich im Gespräch mit einer Kollegin zufällig auf das Thema gekommen, und... wow. Dazu kommt momentan alles hoch, was das Jahr so gebracht hat. Die Katze, die Klinik, meine Beziehungsschwierigkeiten, der Uni-Start. Mein Nacken und die Schultern sind seit Dienstag sowieso schon nur noch aus Beton. Sonst gar nicht mein Problembereich.

Als ich mich heute Morgen an meinen "Schreib-" aka Wohnzimmertisch gesetzt und überlegt habe, wie ich das jetzt am besten alles organisiere, was da ansteht (von emotionaler Bewältigung ganz zu schweigen), merkte ich, wie ich starr werde, meine Finger versteifen. Ein Druck setzt sich auf Herz und Brust. Atmen.

Von Samstag Abend bis Sonntag Mittag will ich zu Rini in den Taunus. Eigentlich habe ich gar keine Zeit dafür, aber dann denke ich: genau für so etwas will ich Zeit haben. Wann der Rest geschehen soll - keine Ahnung. Texte wollen gelesen, Präsentationen vorbereitet, Hausarbeitet geschrieben, Inhalte gelernt werden. Am besten alles vor Weihnachten, zumindest zwei feste Termine stehen noch am Montag und Dienstag an. Außerdem einer Kommilitonin von der FernUni angeboten, ihre Bachelorarbeit Korrektur zu lesen. Da weiß ich auch nicht, was in mich gefahren ist. Also ich weiß, dass ich das wirklich sehr gerne mache, auch, weil mich ihr Thema interessiert. Aber ??? für wen halte ich mich? Diese Korrekturlesung wird wohl im Zug in die Heimat vollzogen werden.

Am Mittwoch gehts nach Franken. Vielleicht falle ich dort einfach in den hundertjährigen Schlaf, bis mich... am besten bitte die Katze wachküsst, und wenn es nur ein übers-Auge-lecken ist.

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Montag, 12. Dezember 2022
Bei der Entscheidung für ein Studium an der ältesten Uni Deutschlands hatte ich folgendes nicht berücksichtigt: dass auch die Gebäude sehr alt sein könnten, und der nächste Winter bestimmt kommt. Und was ich wirklich überhaupt gar nicht nach ca. 15 Jahren Rhein-Neckar-Region einkalkulieren KONNTE, sind Temperaturen unter 0 Grad, und das auch noch über mehrere Tage hinweg.

Ich kann nicht sagen, ob unser Institut beheizt wird. Die Einzelbüros vermutlich schon, aber Seminarräume und Hörsäle? Es fühlt sich nicht so an. Heute erstmalig meine Wärmflasche mitgenommen. Sie hielt sich tapfer, vom Verlassen des Hauses um 8 Uhr, über den Weg mit Rad - S-Bahn - Rad und mehrere Vorlesungen, bis ca. 14 Uhr, immerhin. Sie hat den Test erfolgreich bestanden und nun den gleichen Stellenwert wie der Laptop. Ich schließe zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus, dass die Wärmflasche im Verlauf des Winters unangefochtene No. 1 wird.






Sonntag, 11. Dezember 2022
Vielleicht sollte ich das Blog bald umennen in ein "Mom-Blog" der anderen Art.

Meine Mutter verfügt voll über meinen Bruder. Er weiß, dass er das nicht tun muss, was sie sich ständig alles einfallen lässt, ich weiß aber auch, wie schwer sie es ihm macht, wie schwer es sich für ihn anfühlt, wie schwer es ist, es dann nicht zu tun, weil man nicht weiß, ob es dann jemand anderes macht.

Es ist, als würde sich das, was sie damals mit mir als Kind gemacht hat, mit meinem Bruder als Erwachsenem wiederholen. Sein Vorteil ist, bzw. wäre: er kann entscheiden. Er ist nicht existenziell abhängig von ihr. Theoretisch und de facto auch praktisch hat er die Möglichkeit zu sagen: nein, ich springe jetzt nicht.

Aber wie gesagt - ich weiß auch, wie schwer sie es einem macht.

Auf der einen Seite tut sie mir unfassbar leid, wegen dem, wo sie herkommt, wie sie aufgewachsen ist, was sie als Kind erleiden musste, und wegen dem, wo sie seit ein paar Jahren steht, diese Schizophrenie, das, was sie als Erwachsene erleiden muss... ja, wegen dem, wie sie aus diesem Leben raus gehen wird. Andererseits finde ich es nach wie vor so grausam, was sie mit uns tut. Für mich ist es sehr viel leichter aus der Distanz heraus. Tatsächlich war das auch immer der allerwichtigste Grund, warum ich niemals mehr langfristig in der Heimat wohnen wollte, so lange sie noch lebt. Weil ich weiß, wie sehr sie über einen verfügen, einen beherrschen kann. Dazu das schlechte Gewissen meinem Bruder gegenüber, dass er alles vor Ort abfängt. Ich kann das aber, gerade mit der Historie, die meine Mutter und ich haben, einfach in dem Maße leisten. Ich würde meinem Bruder sehr wünschen, dass er sich mehr abgrenzt. Er könnte theoretisch auch wo anders wohnen. Es ist nicht unsere Schuld, dass sie kein Netz hat.

Es ist, als wären wir einfach unser gesamtes Leben lang für sie verantwortlich. Wirklich das gesamte.

Seelenheil ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment