Freitag, 21. November 2025
Heute habe ich etwas umstrittenes gemacht. Nach dem Gespräch mit dem Jugendlichen war ich gestern Abend in einem Schreibwarenladen mit umfangreichem Kartensortiment und suchte einige Postkarten aus. Eine davon wollte ich dem Jugendlichen mitgeben. Dabei habe ich mir 1000 Gedanken gemacht. Zum einen, ob bzw. unter welchen Bedingungen das ok ist, was mein Motiv ist, ob es zu nah oder übergriffig ist, ob es Druck auslöst, etc etc. Ich machte mir einen genauen Plan, wie es gut wäre es zu übergeben, behielt mir dabei aber vor die Stimmung im Raum abzuwarten und es ggf. doch zu unterlassen.

Letzendlich endschied ich mich gut begründet für eine der Postkarten. Auf die Rückseite schrieb ich nur "Für <Vorname>". Am Ende unserer Verabschiedung gab ich ihm die Karte, mit den Worten, dass ich ihm gerne etwas dalassen mag, wenn er das will. Dass ich an ihn denken musste als ich die Karte gesehen habe weil (Begründung die etwas Persönliches vom Patienten berührt). Ganz neugierig streckte er sich mit seinem Oberkörper entgegen, während ich sagte, also du kannst sie wohin legen oder auch nicht, ist ganz deine Entscheidung, wenn du es behalten magst. Er nahm die Karte, sah sie an, grinste übers ganze Gesicht und sagte: auf jeden Fall will ich das.

Dann kuckte ich nicht weiter was er mit der Karte macht, fragte ob ich trotzdem nochmal vorbeikucken soll, falls er doch noch da sein sollte nach dem 1.12., und er sagte: gerne, du kannst ja klopfen und fragen ob ich reden mag. So verblieben wir. Ich zog die Kleidung aus, die dort auszuziehen ist (das klingt jetzt sehr cringe, aber es war alles komplett professionell und korrekt, das müssen Sie mir glauben an dieser Stelle), sagte nochmal toi toi toi für die Reha, winkte ihm zu und Tschüss.

Und es war gut. Ich hatte große Zweifel vorher, und die waren angebracht, ich denke es ist sehr wichtig so etwas genau zu überlegen. Doch mein Bauchgefühl hatte am Ende recht, glaube ich. Bin froh es gemacht zu haben. Ich hoffe und glaube, er fühlte sich einfach gesehen.

Ψ ~ ... link (2 Kommentare)   ... comment





Donnerstag, 20. November 2025
Tag X + 2 Jahre.
Es jährt sich zum zweiten mal. Vor einem Jahr stand ich an diesem Punkt.

Heute war ich bei einem Jugendlichen. Ich habe ihn schon öfters gesehen, aber nicht so oft wie ich ihn hätte sehen können. Weil ich krank war. Weil er vormittags immer tief und fest schläft, dafür nicht in der Nacht. Und so weiter. Vielleicht wird er Ende nächster Woche entlassen. Das wäre schade. Das heutige Gespräch hat mir gezeigt, wie gut sich unsere Beziehung entwickelt hat. Das hätte ich am Anfang nicht für möglich gehalten. Ich sehe, dass er weiter dringenden Bedarf hat. Und sehe aber auch, dass es dafür jemanden braucht, der ihm auf Augenhöhe begegnet, mit echtem (professionellem) Näheangebot, das ihn gleichzeitig nicht überfordert. Das authentisch ist. Denn der spürt sofort wenns nicht so ist. Ich wünsche ihm, dass er so jemandem in in der Reha begegnet. Die wird er weit weg von hier machen. Das ist scheisse, aus vielen Gründen. Aber nicht anders möglich, aus anderen Gründen. Er hat so einen langen Weg hinter sich und ist komplett isoliert. Mehr kann ich dazu hier nicht schreiben, aber er sieht seit Monaten niemanden außer seine Eltern und das Personal. Und er hat noch einen so langen Weg vor sich. Ich selbst bin kommende Woche leider am Institut.

Ich hoffe, dass wir uns noch mal sprechen, sage ich als ich gehe. Das hoffe ich auch, sagt er, das fände ich sehr schön.

Danach habe ich mit der Ärztin gesprochen, wie realistisch es ist, dass er noch da ist wenn ich am 1.12. zurück bin, oder ob ich mich vorsichtshalber morgen von ihm verabschieden soll. Die Ärztin rät mir zu letzterem.

Diese Jugendlichen. Ach ach. Mein Herz. Auch mit diesem da würde ich so gerne weiterarbeiten.

--

Diese Begegnung mit ihm heute fällt auf das, was in mir ist, an diesem heute. Ich habe jetzt an dieser Stelle zig verschiedene Sätze angefangen, aber mit keinem kann ich ausdrücken, was ich meine. Als Wort bleibt dann nur LEBEN.

Ach nein, da ist noch ein anderes. LOSLASSEN.

[Edit] Momentan betreue ich einen Patienten in einem Klinikbereich, in dem ich selbst normalerweise nicht als Psychologin unterwegs bin, sondern manche Kolleg:innen. Auf den Fluren dort begegnet mir heute zufällig eine junge Patientin, die ich in "meinem" Bereich länger begleitet habe. Sie wurde volljährig in der Zeit unserer Gespräche. Sie strahlt, wie sie mir da entgegenkommt, muss aber zu einem Termin, und ich zu meinem Patienten.

Immer wieder habe ich auch Worte von Frau Croco im Ohr, bzw. vor Augen.

Lange Rede. Ich habe nun das Institut angeschrieben, ob es die Zusatzquali für KJP noch anbietet, denn auf der aktualisierten Homepage finde ich es nicht mehr. Da ich kommende Woche eh vor Ort bin, will ich mal die Ansprechperson aufsuchen und mich schlau machen, welchen Zusatzaufwand das denn konkret bedeuten würde und ob ich mir ggf. manche Tätigkeiten aus der aktuellen Klinik bestätigen und anrechnen lassen kann. Mal sehen. Man sagt mir in der Klinik immer wieder, dass das unüblich ist, sonst hätten sie nie so viele Konsile für Jugendliche. Vielleicht winkt das Universum echt mit dem Zaunpfahl.

Seelenheil ~ ... link (5 Kommentare)   ... comment





Mittwoch, 19. November 2025
Wenn mich nicht alles täuscht, hatte ich heute Vormittag so etwas wie einen Flirt mit einem jüngeren Arzt? Frage mich, ob er auch diesen plötzlichen Vibe gespürt hat. Was für ein schönes Gefühl, ganz vergessen wie das ist. Haben verabredet, dass ich mal bei einer OP dabei bin. Das will ich unbedingt noch machen bevor ich dort nicht mehr arbeite.

Als ich am Nachmittag nochmal ins Arztzimmer bin, um Rücksprache wegen einer anderen Patientin zu halten, war er auch noch da. Und es könnte sein, dass er ein bisschen rot wurde. Aber so ganz kann ich das eigentlich nicht glauben. Hihi.

Seelenheil ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment



Straßenbahnnotiz
Ich fühle so viel und so tief, in alle Richtungen. Manchmal fühlt es sich an als würde ich die ganze Welt im Herzen tragen. Schaue aus dem Straba Fenster, Ludwigshafen Innenstadt, Tristesse Deluxe. Im Betonmeer eine junge Frau auf der einen, der rotorangerosa Sonnenaufgangshimmel auf der anderen Seite. Vielleicht tragen wir ja alle die ganze Welt in uns. Höre das neue Album von der Eule (Dominik Eulberg - Lepidoptera) und fühle, dass seine Musik auch die ganze Welt in sich trägt, so ist das für mich.

~ Dominik Eulberg - Mittlerer Weinschwärmer



Seelenheil ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment





Donnerstag, 13. November 2025
Herber Rückschlag im Bewerbungsprozess. Hatte gerade Rückschlaf getippt. Das trifft es auch sehr gut. Diese ständige Unsicherheit und Abhängigkeit auf diesem Weg kostet mich unendlich viel Energie. Gestern spiegelte mir der Therapeut, dass ich das Problem immer bei mir suche und dabei völlig die Situation aus dem Blick verliere. Dafür habe er die Situation umso mehr im Blick. Und ja, er hat recht. Die Situation verlangt mir viel ab, und ich bin nicht mehr 25, und ja, ich habe ein Problem mit dem Älterwerden, auch weil es in unserem System nicht vorgesehen ist mit 45 eine solche Ausbildung zu machen und dementsprechend scheisse sind die Rahmenbedingungen dafür. But well. Alles was mir das bringt, ist mehr Nachsicht mit mir selbst. Die Situation bleibt die gleiche.

Ich weiß nicht, wie ich Energie für mehrere Bewerbungen zusammenkratzen soll und liebäugel mit dem Gedanken, wieder die Klinik im Landkreis meiner Heimatstadt zu kontaktieren. Im Frühjahr hatte ich die Bewerbung aus persönlichen Gründen zurückgezogen, sie hatten mich schon zur Hospitation eingeladen. Die Stelle ist immer noch offen, oder wieder.

Müde. Müde müde müde. Immerhin ist mir endlich klar, warum ich eigentlich ständig so krank und fertig bin.

Ψ ~ ... link (2 Kommentare)   ... comment





Freitag, 7. November 2025
It's novembering.
Mit dem November kommt auch in diesem Jahr die Erinnerung an den November 2023. Vor dem Tag X schrieb ich unter anderem dies: "Ich frage mich, was von dieser Zeit bleiben wird. Welche Erinnerungen, welche Gefühle, welche Wunden."

Heute kann ich sagen: bleibende. Es sind noch keine Narben. Wenn sich eine dünne Haut gebildet hat, reisst sie immer wieder ein. Die Wunden bluten immer mal wieder, wollen nur zögerlich zuwachsen. Das Verhältnis zu meiner Mutter ist nachhaltig beschädigt, noch beschädigter als vor Tag X. Gleichzeitig sehne ich mich so nach einer Mutter.

Inzwischen kann ich über diese Zeit und den Tag nachdenken ohne das Gefühl zu haben, den Verstand zu verlieren. Das war vor einem Jahr noch nicht so. Doch das Ritual, das meine Reha-Therapeutin mir letztes Jahr vorgeschlagen hatte, werde ich auch dieses Jahr durchführen.

Mein Entschluss, die PT 1 (Praktische Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung, 1 ist das psychiatrische Jahr) nicht in einer Akutpsychiatrie, einer geschlossenen Abteilung oder Forensik zu absoliveren, steht inzwischen felsenfest. Durch den Kontakt zu dem jungen "Schneewittchen" in der Klinik wurde mir klar, wie nahe mir das Thema geht. Das ist gut, also ich glaube dass es für Patient:innen sehr gut sein kann, sofern ich irgendwann ausreichend distanziert zum Thema bin. Momentan wäre es für mich gar nicht gut. Für ein Jahr geballt Schwerstfälle von psychischen Erkrankungen, dem mag ich mich nicht stellen. Ich bin froh, dass mir mein Ausbildungsinstitut aufgrund meiner Vergangenheit (ich musste ja den sehr persönlichen Lebenslauf schreiben, und ich hielt nicht hinterm Berg mit den tough shit) diese Tür so großzügig aufmachte: "Sie müssen sich das nicht nochmal so anschauen, Sie kennen es. Vielleicht, wenn es Sie interessiert, mal 1-2 Wochen, falls es dort die Gelegenheit gibt, ansonsten, aus unserer Sicht nicht nötig und vielleicht auch nicht gut." Das engt die Suche natürlich ein, aber es gibt ausreichend Optionen. Ich verlier grad den Faden, also kurzer Stop.

Wie kam ich da heute nun drauf, abgesehen davon, dass November ist. Dominik Eulberg hat heute sein neues Album released. Ohne seine Musik wäre ich vor 2 Jahren wahnsinnig geworden. Er hat mich da durch getragen. Ich hab ihm das auch mal geschrieben, also ohne Details, aber dass ich ihm für seine Musik danke, weil sie für mich Leben ist. Keine Ahung, ob er es gelesen hat, aber es wollte gesagt sein. Seitdem ist allerdings seine Musik bzw. bestimmte Klänge, und er hat einfach einen ganz bestimmten Sound, auch mit dieser Zeit verknüpft. Höret alle fleißig das neue Album.

Tiefer Seufzer. Jetzt ists bisschen besser.

Seelenheil ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment