Mittwoch, 6. Juli 2011
Brief an Frau W. II
Liebe Frau W.,

die vor langer Zeit programmierte und über die ganzen Jahre hinweg absolut optimierte Software auf der meiner Seele eigenen Festplatte wurde aktiviert.

Es ist wieder der Automatismus. Sobald der Knopf gedrückt wird. "Bindung" --> Verlustängste/ Angst vor Verletzung --> Stufe 1: Mauer hochfahren --> Stufe 2: Eisblock werden --> Stufe 3: präventives Partnerverletzen --> Stufe 4: Exit.

Noch konnte ich mich eben zurückhalten, so dass er es nicht gemerkt hat. Aber ich spüre es in mir. Viel zu deutlich. Und ich habe Angst. Ganz viel Angst.

Ich dachte ja immer, ich habe das nur bei Männern, die "schlecht" für mich sind. Bzw. habe ich das Programm deswegen geschrieben. Aber der kann nicht schlecht sein. Wirklich nicht. Umso schlimmer wird die Angst.

Frau W. Das wäre jetzt wirklich ein guter Zeitpunkt für eine Sitzung. Ich will es nicht wieder verkacken. Ich will nicht länger vor der Möglichkeit verletzt zu werden davon laufen und deswegen jemanden verlieren, den ich liebe.

Wie geht man damit um? Wie gehe ich damit um als jemand, der es hasst sich zu öffnen, der vielleicht gar nicht vertrauen kann, der aus Angst vor Ablehnung vor der Liebe wegrennt?

In den nächsten zwei Wochen ist er im Urlaub, weil er kurz vorm Zusammenbruch steht, und er hat ihn extra so gelegt, dass er nur die zwei Wochenenden in Anspruch nimmt, an denen ich eh keine Zeit hätte, weil ich an einem Wochenende arbeiten muss und am anderen in Ma*nnheim bin. Kein Zufall, sagt er. Er wollte den Urlaub auf gar keinen Fall auf das mir nächstmögliche Wochenende buchen. Dafür will er lieber nochmal mit mir gemeinsam in den Urlaub fahren, irgendwann in diesem Sommer oder Herbst.

Und trotzdem sterbe ich vor Angst. Wovor ich Angst habe? Dass er es sich anders überlegt. Dass dort lauter tolle Frauen sind, die auch ganz toll Ki*tesu*rfen können. Dass er zurückkommt und mir sagt, dass wir das lieber lassen sollten. Dass er mich fallen lässt.

Alles sagt, dass das niemals so sein wird. Und doch weiß mein Programm so sicher, dass es so sein wird, dass ich es glaube. Und dass mein Herz es glaubt, und dass es sich verschließen und all die Öffnung rückgängig machen will, die ich - wie auch immer, es grenzt an ein Wunder! - in den letzten Wochen so dermaßen vollzogen habe.

Ich habe das Gefühl, ich stehe nackt und mit hängenden Armen auf einem offenen Platz und warte nur darauf, dass jemand einen Pflock in mein Herz rammt. Das Programm will mich darauf vorbereiten, und es ist wie gesagt schon angelaufen. Nur für mich spürbar. Aber ich weiß, morgen spürt er es auch.

Was soll ich machen. Bitte. Frau W. Wissen Sie noch, wie Sie mit mir die Situationen beim kleinen Professor durchgesprochen haben? Wie ich mich da beruhigt habe? Das schlimme ist, dass ich damals recht hatte. Auch mit meinem Misstrauen. Das schlimme ist, dass ich meistens recht habe. Zum einen mag die sich selbst bewahrheitende Prophezeiung da eine Rolle spielen (weil ich mir immer nur solche Männer suche und das Programm ja auch nicht wirklich konstruktiv ist). Zum anderen - wenn ich mir nur immer solche Männer suche, wer sagt mir, dass es jetzt wirklich anders ist?

Die Zweifel nagen an mir, sie tropfen in mein Herz und bringen es zum wanken. Ich will nicht schon wieder alles mit Zweifeln und Angst kaputt machen. Und meine Erfahrung sagt mir, dass man da nicht drüber redet mit dem Betroffenen, weil er sonst nämlich ganz schnell weg ist.

Ich mein, ich selbst würd mich auch nicht als Partnerin haben wollen. Da sind Kilometer über Kilometer an neuem Weg mit mir zu gehen. Mir beim Laufen lernen helfen. Zusehen wie ich stolper, Verständnis haben, mir die Hand reichen. Geduldig sein. Und dabei nicht die Liebe verlieren, und das obwohl ich beständig daran zweifelt. Wie soll so etwas denn gehen?

Angst fressen Seele auf. Immer und immer wieder in einer Beziehung. Und das anscheinend auch, wenn weit und breit keine Bedrohung sichtbar ist.

Das alles ist Neuland für mich. Und ich komm nicht damit klar. Denn was ist, wenn ich einfach wieder recht habe. Oder ich es so lange mit Füßen trete, bis ich recht habe.

 
Ach Du...das kommt mir alles SO bekannt vor. Einfach mal prophylaktisch mit Taten und Worten um sich treten, immer noch besser, wenn man weiß, woher der Schmerz kommt.
Das Ding mit diesen Löchern, diesen blöden Zweifel-und Mangellöchern, ist nur, dass das kein anderer für einen stopfen kann.
Wie man selber stopft, weiß ich auch nicht, ich weiß nur, wie man allen Begegnungen aus dem Weg geht. Da bist Du schon einen großen Schritt weiter. Ich drück' Dich und halte Deine Tretefüße fest....

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@pandora: "Einfach mal prophylaktisch mit Taten und Worten um sich treten, immer noch besser, wenn man weiß, woher der Schmerz kommt."

Du sagst es! Lieber tue ich mir selbst weh (im Zweifel auch grundlos), als jemand anderes.

So viel weiter als du bin ich da gar nicht. Ich weiß sehr gut, wie man die Begegnung ganz schnell wieder los wird. Oder wenn nicht, wie man sich Monate selbst quält ;-)

Danke fürs Tretefüße halten - kanns so gut gebrauchen. Sei du auch gedrückt. Ganz ganz feste.

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Lieber tue ich mir selbst weh (im Zweifel auch grundlos), als jemand anderes.

Das tut so weh zu lesen, so vertraut weh. Möchte einfach mal eine Runde für Dich mitschreien.

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@pandora: frag mich immer nur, was uns soweit gebracht hat. und warum dieses programm einfach nichts vergisst.

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Ich frag mich eher immer: Wofür brauchen wir es NOCH? Jedes Programm war zu irgendeinem Zeitraum mal sinnvoll, sonst wäre es nicht enstanden.

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Ohne Kontext: Absicht, Heulschrecke? Hier darf man auch gern etwas löschen..

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Oh. Egal. Ist ja nur die emotionale Alter-Ego.

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Okavanga, dieses Verhalten kenne ich auch von mir selbst nur zu gut. Lange Zeit durfte niemand so nah an mich heran, als dass er mich möglicherweise verletzen, verlassen oder anderweitig aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Das Programm, das da abfährt, ist vor dem Hintergrund der erfahrenen Verletzungen der Vergangenheit ganz verständlich. Es ist absolut logisch, bedenkt man, dass wir mal in einem Alter waren, in dem wir solchen Situationen hilf- und machtlos ausgesetzt waren. Irgendwas innen sagt: "Das passiert mir nie wieder!" Der Unterschied ist: Heute haben wir die Macht und die Hilfe, die wir brauchen, um mit Verletzungen umgehen zu können. Sie gehören zum Leben und lassen sich nicht vermeiden, aber man kann den Umgang damit ändern. Klingt wieder nach Küchenpsycho, ich weiß... Aber so ist es auch meine eigene Erfahrung. Vertrauen tut weh - schon allein, weil das Terrain so erschreckend unbekannt ist, auf das man sich da begibt, und man immer berechtigte Zweifel hat, ob das Eis auch hält.

Ich habe einen Verdacht, wo der springende Punkt liegt. Darf ich?

Ich mein, ich selbst würd mich auch nicht als Partnerin haben wollen. Da sind Kilometer über Kilometer an neuem Weg mit mir zu gehen. Mir beim Laufen lernen helfen. Zusehen wie ich stolper, Verständnis haben, mir die Hand reichen. Geduldig sein. Und dabei nicht die Liebe verlieren, und das obwohl ich beständig daran zweifelt. Wie soll so etwas denn gehen?

Das ist, worin Liebe besteht. Wenn Du annimmst, dass der andere schon irgendwie irre sein muss, um es mit Dir aushalten zu wollen und im Grunde nur wartet, bis sich was besseres (z.B. eine schicke Kitesurferin) findet, gehst Du auch davon aus, dass er Dich nicht erst in der Zukunft verletzen wird, sondern schon jetzt unehrlich zu Dir ist. Annahme: Die Zuneigung, die er äußert, kann also nur vorgetäuscht sein. Denn jemanden wie Dich kann man ja gar nicht lieben...

Sei nett zu Dir. Viel wichtiger als die vielbeschworene Selbstliebe ist dabei die Selbstakzeptanz. Du bist, und Du bist, wie Du bist, und daran ist nicht das geringste falsch. Menschen stolpern, fallen hin, sind manchmal hilflos, traurig, irrational und total neben der Spur. Du auch, und es ist in Ordnung. Gib ihm eine Chance, Dich zu lieben. Aber vor allem gib sie Dir selbst. Ich wünsche Dir, dass es gelingt. Es ist ein unglaubliches, manchmal schmerzvolles Wagnis, aber der Gewinn ist sagenhaft.

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genau so, frau sturmflut.

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Ach Frau Sturmfrau. Das sind so wunderschöne Worte die du da schreibst. Und letztendlich weiß ich das auch alles, so irgendwo, im Kopf. Aber die Umsetzung ist so hart. Irgendwie hat einen darauf nie jemand vorbereitet. Alle fragen immer nur, ob man einen Kerl hat, und niemand fragt danach wie anstrengend es war, sich auf ihn einzulassen. Es kann auch kaum jemand nachvollziehen, wie unheimlich anstrengend das sein kann. Dass es weh tut. Dass es soviel Überwindung kostet. Dass man ständig zweifelt und verzweifelt, vor allem über sich selbst.

Früher dachte ich selbst das auch mal, als eine Freundin mir das erzählt hat: warum ist es für sie die Hölle sich auf ihn einzulassen? Ist doch toll! Jetzt hat sie endlich jemanden gefunden, der ihr gut tut und den sie liebt. Pha. Ich hätte nie gedacht, wie gut ich ihr nachfühlen kann. Wir sind uns da aber auch zu ähnlich. Nur kam ich bisher nie soweit, diese Barriere zum Mann durchbrechen zu wollen. Also wirklich zu WOLLEN und das Gefühl zu haben, es auch zu KÖNNEN, mit genügend Geduld (ich hoffe er hat sie, er behauptet es zumindest "ach an dein programm hab ich mich schon fast gewöhnt", ich hoffe ich habe sie)

Was ich nicht verstehe, und was mich fast bis an den Rand des Wahnsinns treibt: wieso werde ich nicht so von Selbstzweifeln und Unsicherheit zerfressen, wenn ich alleine bin? Was ist das? Nur die Angst vor dem Verletztwerden? Gaukel ich mir dann nicht die ganze Single-Zeit lang nur vor, es ginge mir gut? Ich habe nicht das Gefühl, dass es mir schlecht geht wenn ich alleine bin. Im Gegenteil. Es war alles top, bis das jetzt anfing. Das "mich schlecht fühlen" fängt immer erst in einer Beziehung an. Es schlägt mir auf den Bauch, auf die Energie. Und das, obwohl ich sehr sehr viel für ihn empfinde. Ich verstehe das alles nicht. Neuland.

Übrigens liebe ich deine Ibiza-Berichte. Ich hoffe, es werden noch ein paar!

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Es ist ja klar, dass solche Probleme erst in Beziehung zu anderen auftreten, denn dann erst entstehen Reibungspunkte, vor denen wir uns fürchten oder die uns an alte Geschichten erinnern. Je größer die Nähe (oder das Potential für Nähe), um so gefährlicher wird es auch, und um so mehr haben wir zu verlieren, um so mehr kann es uns verletzen. Allein sein, das ist in der Hinsicht nicht so schwer, weil wir uns selbst kennen und wissen, was wir von uns selbst zu erwarten haben. Auch, welche Verletzungen.

Ich wünsche Dir sehr, dass Du das Betreten des Neulands dennoch wagst. Das Wesentliche ist oft da, wo auch die Furcht und der Schmerz sind, und möglicherweise muss man diesen Weg gehen, um Vertrauen zu erlernen und sich zu ent-schmerzen. Das ging und geht mir mit meinem Mann so...

Danke für das Kompliment in Sachen Ibiza. Ich werde immer wieder einmal etwas nachschieben, es wartet noch viel Erzählstoff.

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