Samstag, 8. Oktober 2011
Fre*ito*d.
Ich wusste nicht, dass inzwischen (zumindest in der Schweiz) auch psychisch Kranken St*erbehi*lfe gewährt wird. Unter der Voraussetzung monatelanger Beurteilungsgespräche und dass der Sui*zid kein Symptom der psychischen Krankheit ist.

Ein bewegender Film:

DOK vom 17.02.2011

Zurück bleiben bei mir Fragen. Würde es meiner Mama auch bewilligt werden? Sie macht einen soviel fertigeren, kaputteren Eindruck als jener Herr Rie*ger. So.. so gänzlich kaputt. Sofern ihr Sui*zid kein Symptom ihrer Krankheit wäre, würde es ihr bewilligt werden, auch wenn sie nicht sieht, dass sie psychisch krank ist? Haben wir, wir als Kinder, alles getan was wir können? (die Antwort ist nein, so beantworteten wir es heute). Ist das wirklich der letzte Ausweg? Will sie diesen Fre*ito*d wirklich? Wie würde ich, wie würden wir damit umgehen? Ist es das, worauf jetzt alles hinausläuft? Was können wir denn verdammt noch mal tun? Wann weiß man, dass ein Kampf sinnlos ist? Wann gibt man auf? Mit wem spricht man? Und ist das nicht immer noch besser als die Bahngleise.

Mir wächst alles über den Kopf. Komm nicht mehr mit. Ich fühle mich nicht bereit. Für egal was.

 
Ich habe den Film auch gesehen und war in erster Linie entsetzt über den Begriff "austherapiert", wie es auch in der anschließenden Diskussion anklang. Ich habe auch lange mit meinem Gatten darüber diskutiert. Letzten Endes ist der Schluss, den ich zu dieser Sache aus eigenen Erfahrungen ziehen kann, dieser: Nicht, dass ich nicht mehr leben wollte, sondern dass ich so nicht mehr leben wollte. Ich denke, darum geht es wohl eigentlich.

Da psychische Krankheit aber auch immer ein Stück weit unbegreiflich bleibt für diejenigen, die außen stehen, ist es schwer, eine passende Antwort auf die Frage zu finden, wie es besser gehen könnte. Medikamente bringen nicht die Lösung, denn obwohl sie zumindest ansatzweise die Symptome lindern, hat man immer noch nicht so ganz verstanden, wie eigentlich das Gehirn funktioniert und was geschehen müsste, damit es besser liefe. Das hängt meiner Meinung nach eng damit zusammen, dass man den Menschen immer noch nicht als ganzen Menschen in den Blick nimmt. Klar stimmt auch mit meinem Gehirnstoffwechsel etwas nicht, depressiv wie ich bin. Aber man verwechselt Ursache und Wirkung, und die Chance zur Veränderung ergibt sich wohl erst, wenn man seitens der Medizin endlich die Seele des Menschen zu respektieren lernt. Das das natürlich nicht mit schnellen Besserungs-Resultaten einhergeht, ist auch klar.

Ob ein Selbstmord wirklich gewollt oder nicht gewollt ist, halte ich für schwer zu beurteilen. Denn auf der einen Seite geht es eigentlich um die Erlösung von Elend und nicht vom Leben, auf der anderen Seite finde ich es mehr als legitim, wenn jemand selbstbestimmt entscheidet, er leide zu sehr, um das so fortzusetzen.

Was mir allerdings auch klar wurde beim Ansehen des Films war, wie schwer es tatsächlich für diejenigen ist, die zurückbleiben. Darüber habe ich mir bislang wenig Gedanken gemacht, vielleicht, weil mein eigener Horizont nicht so weit gereicht hat, wenn es mir mies ging. Dabei ist das Schwierige nicht der Abschied an sich - das habe ich selbst auch schon erlebt, als ein lieber Freund elendig an Krebs verstarb. Das Schwierige ist das Gefühl, es sei nicht unvermeidlich gewesen, sondern da seien noch Chancen auf ein anderes Leben gewesen, die ungenutzt geblieben sind. Sah man ja auch immer wieder im Film, wenn jemand sagte "Mensch, Du musst doch nicht...!"

Ich schätze, die alles entscheidende Frage ist, wie man tatsächlich ganz praktisch das Leben lebenswerter machen kann. Dazu bräuchte man aber endlich eine undogmatische, offene Auseinandersetzung mit psychischen Krankheiten.

... link  

 
@Sturmfrau: dazu wollte ich dir eigentlich soviel sagen, aber letztendlich kann ich es auch kurz machen: ich sehe es wie du. Leider habe ich die Diskussion danach nicht gesehen. Mein Bruder hatte die Doku im TV gesehen und mir einen Tag danach davon erzählt. Daraufhin bin ich auf online-Suche gegangen.

Und auch als ich meine Mutter nach dem Wunsch zu Sterben gefragt habe, kam die Antwort, die du für dich auch gefunden hast: nicht, dass sie nicht mehr Leben will, aber SO nicht mehr, und sie sieht keine Alternative. Was ich sehr krass finde, weil es besagt, wie schlimm die Erfahrung sein muss, durch die der Betroffene gerade geht. Dass der T*od, den er eigentlich nicht will, der einzige Weg für ihn ist.

Mit dem Abschied - das ist wirklich die eine Sache. Die andere Seite sind die Zweifel oder (oder das Wissen) daran, ob alle Chancen wirklich bereits genutzt bzw. vertan wurden. Ich fand das sehr hart, diese Abschiedsszenen in der Doku. Auch wie er überhaupt noch am Leben teilgenommen hat. Er hat auf eine Art und Weise gelebt wo ich mir dachte: wow, meine Mutter wäre vermutlich neidisch. Das soll nicht heißen, dass ich sein Leiden unterschätze. Seine Krankheit war eben anscheinend zu diesem Zeitpunkt nicht "da". Was er in seinem Phasen erlebt, das ist sicher die Hölle, sonst hätte er diesen Schritt nicht getan.

Eine undogmatische und offene Auseinandersetzung mit psychischen Krankheiten wird glaube ich noch weit in der Zukunft liegen. Zum einen, weil der Mensch vermutlich immer das scheut, was er nicht versteht, zum anderen, weil es eben auch ganz schön Angst machen kann, und zum anderen: ich glaube, dass sich jeder, inklusive Ärzte, letztendlich genauso ratlos und überfordert fühlt wie Angehörige/ Freunde/.., nur eben auf einer professionellen Ebene, die es vielleicht auch gar nicht zulässt zu sagen: ich habe schlichtweg keine Ahnung. Ich weiß nicht weiter. Habe ich jedenfalls noch nie von einem Arzt gehört. Da geht es letztendlich immer um Medikamente.

Therapeuten, die gut geschult sind und sich mit dem Patienten als Individuum beschäftigen - Fehlanzeige. Da ist Fließbandarbeit angesagt.

Ich mag nicht alle über einen Kamm scheren, das ist sicher unfair, ich schließe nicht aus, dass mit in der ein oder anderen Klinik oder Praxis Ärzte bzw. Therapeuten findet, denen der Patient ansich wirklich am Herzen liegt, die neugierig sind, interessiert und vor allem: offen.

Nunja. Jetzt wurde es doch länger. Und ich will auch nicht den Ärzten die Schuld in die Schuhe schieben. Aber mir fehlt einfach eine (professionelle) Person, die sich meiner Mutter ernsthaft annimmt. Ohne sie in ihrem Wahn zu bestätigen.

... link  


... comment