Sonntag, 16. Oktober 2011
Brief an Frau W. IV
Liebste, allerliebste Frau W.

Haben wir eigentlich jemals darüber gesprochen, dass ich blogge? Ich erinner mich nicht. Wissen Sie, mein Blog war lange die Halde für meinen Seelenmüll. Egal was. Das ist jetzt anders. Das liegt vor allem daran, dass ich Sesamina nicht mehr so wirklich vertraue in dieser einen Hinsicht. Er hat mal, als ich in der Arbeit war und ihm meinen PC für Internetaktivitäten anvertraut habe, meine Sky*pe Cha*tpro*tokolle gelesen. Und was gefunden. Was total egal war für unsere Beziehung. Aber wie erklärt man das jemandem. Das ist schwer. Und wieviel schwerer erklärt man jemandem, dass es für mich genauso scheisse ist, dass er einfach in meine Intimsphäre eingedrungen ist.

Seitdem ist da der Wurm drin. Wir sind in einer blöden Spirale, das wäre jetzt zu ausufernd für hier, und außerdem, wie gesagt: ich vertraue nicht.

Sie fehlen mir so sehr, dass es mir das Herz fast zerreisst. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr in mich reinsehe, seit ich keine Therapie mehr bei Ihnen habe. Ich hab mal nachgesehen, von wann die letzten "Seelenheil"-Beiträge hier sind. Ein kurzer von vor kurzem. Und ein längerer, im Juli.

Es ist, als hätte ich keinen Zugang mehr zu mir, oder als hätte ich Angst davor ihn zu finden und zu nutzen, weil ich Angst vor dem habe, was ich dann vielleicht finden könnte. Deswegen brauche ich Hilfe.

Ich glaub, eigentlich bin ich in mir zur Zeit ziemlich außer mir. Das mit Sesamina machen wir mal kurz zu Ende: also seit dem Chatprotokoll läuft das immer mehr bergab, er drängt auf Nähe, und ich habe ein Näheproblem, und als jemand der ein Näheproblem hat, ziehe ich mich mit der Pistole auf der Brust immer weiter zurück, was dazu führt, dass er natürlich mehr Nähe einfordert. Ich dachte vor unserem Urlaub, dass es im Urlaub besser wird. Abstand vom Alltag und so. Das war nicht so. Es wurde so schlimm (ich durfte nicht lesen, weil ich "in fremde Welten flüchte" statt mich mit ihm zu beschäftigen. Wenn ich eine Katze streichelte, dann "für die hast du Zuneigung", und so weiter) dass ich nach zwei Wochen gegangen bin. Ich habe mich in ein anderes Hotel fahren lassen. Nach 3 Tagen kam er nach, aber wir hatten getrennte Zimmer. Der Einsamkeit, Abgeschiedenheit entronnen, war das dann irgendwie ok. Aber. Aber.

Aber. Frau W. Dann gibt es Abende an denen ich mich nicht innerhalb des Zeitfensters melde, das er für angemessen hält, und schon gibt es den totalen Terror. Er fickt sich dermaßen in den Kopf, es ist quasi unerträglich, weil ich dann mit dem Kopffickscheissdreck vollgekotzt werde, in einem respektlosen, unverschämten Tonfall. Bei all den Diskussionen. Da leidet meine Zuneigung. Obwohl er immer da ist. Immer. Wenn etwas ist. Und er ein ganz toller Mann ist. Aber ich weiß nicht, ob ich mich selbst verarsche weil es zum ersten mal in meinem Leben ernst werden könnte, und ich damit völlig überfordert bin und somit unmittelbar meine Fluchtreflexe aktiviert werden. Oder ob ich einfach wieder alleine sein will. WILL. Und überhaupt. Ich komme alleine gut klar. Ich weiß gar nichts mehr. Es ist auch so, dass jetzt diese paar Sätze in keinster Weise die Situation repräsentieren, weder die negativen wie die positiven Seiten. Dafür bräuchten wir mindestens ein paar Sitzungen. Sie kennen den Namen Sesamina ja noch. Wenn auch nur als eine kurze Episode, als die, die es damals war. Und insofern wüssten Sie auch ganz genau, welche Rolle ich denn in der ganzen Chose spiele, und wie gut (hahahahaaaa) ich mit meinen Päckchen zu der Scheisse beitrage. Sie kennen eben alles. Sie kennen mich.

Und dann die Arbeit. Scheisse wie lang muss manch Atem sein um das auszuhalten, und wie groß die Geduld, und wie dick die Haut.

Aber das schlimmste ist wohl meine Mama. Ich. Kann. Nicht. Mehr. Ich fühle mich gemeinsam mit meinem Bruder und meinem Vater so einsam. So hilflos. Mein Vater meinte gestern: du bist nicht geflohen, weil du es nicht aushältst (als ich jetzt die ganzen letzten Monate keinen Kontakt mehr zu ihr hatte), sondern weil du deine Hilflosigkeit nicht erträgst. Er hat recht. Diese Ohnmacht. Wenn ich mich mit Dingen beschäftige, dann möchte ich sie lösen. Helfen. Etwas tun. Nur dass die Art von Hilfe, die ich leisten KÖNNTE, niemals als Hilfe erkannt werden würde, und abgesehen davon, weiß ich auch gar nicht mehr, was wir tun sollen.

Und dazu kommt dann: was zum Teufel tue ich hier eigentlich? In dieser mir immer noch fremden Stadt? Wie konnte ich bloß mein Netz, mein Zuhause aufgeben. Meinen festen Rahmen. All das, was es irgendwie erträglicher gemacht hat. Meine Freunde, das Wissen, das mein Chef mir jederzeit 2 Wochen Homeoffice bewilligt hätte wenn was mit Mama wäre. Mein Monnem.

Stattdessen bin ich zerrissen zwischen einer Distanzbeziehung (krass. Ich wollte gerade "Fremdbeziehung" schreiben. Was sagt das wohl.) nach Be*rlin, meiner Familie bzw. Mama in der alten Heimat, meinem alten Zuhause Monnem, den Freundschaften die ich pflegen möchte, die weder hier noch im alten Zuhause sind, und dem hier und jetzt, das überwiegend aus Arbeit besteht (und eben jener Zerrissenheit).

Ich war schon sehr sehr lange nicht mehr so orientierungslos. WOLLEN. Was will ich. Und warum sind Sie denn nicht da, verdammte scheisse. Ich brauche Sie jetzt wieder. Ich wollt nicht dass das so ist. Aber ich habe keine Ahnung wie ich allein damit klarkommen soll.

Ich weiß, dass Sesamina für all diese Themen ein offenes Ohr hat - aber schwierig finde ich das, was ihn selbst betrifft. Sowie die Tatsache, dass er nunmal nicht mein Therapeut ist. Und ich möchte auch niemals nie, dass mein Freund eine solche Rolle einnimmt.

Frau W.! Können Sie mich eigentlich manchmal in sich hören? Das frag ich mich. Und ob Sie manchmal an mich denken. Und sich fragen, was ich jetzt wohl tue. Sie wissen ja gar nicht, dass ich jetzt hier bin und nicht mehr in Monnem. Ich habe nicht das Gefühl, dass unsere Beziehung beendet ist, meine Teuerste. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie wir das geregelt bekommen sollen. Geschweige denn, ob diese derbe Sehnsucht nach Ihnen überhaupt gesund ist.

Aber gesund. Das hab ich eh schon länger nicht mehr gefühlt. Ich bin so traurig, dass ich nicht mehr weinen kann. Ich weiß nur, dass ich mich bei Ihnen nicht länger vor mir selbst verstecken könnte. Bitte. Bitte tun Sie mir den Gefallen und buddeln Sie meinen Kopf aus dem Sand, vielleicht kann ich dann endlich wieder mein Herz hören.


 
Manchmal überlege ich mir, ein Buch über sie und uns zu schreiben. Und sei es nicht für uns, dann für all diejenigen, denen es genauso geht, die sich einsam und ungehört und hilflos fühlen. Denn ich weiß wie sehr es hilft, wenn man sich nicht alleine hilflos fühlt. Wenn man weiß da sind andere, mit denen man sich gemeinsam hilflos fühlen kann. Wenn man erfährt, dass es nicht an einem selbst liegt, dass man keine Schuld trägt. Sondern dass Hilflosigkeit die neue Normalität ist. Manchmal denke ich, es wäre die einzige Art, auf die ich selbst verarbeiten könnte, was hier mit mir, meinem Bruder, meiner Mama, und meinem Vater, ihrem ehemaligen Ehemann, passiert. Klingt blöd, nicht wahr, und ich müsste wohl anders schreiben, denn wer liest so etwas. Oder ich lasse es von jemandem schreiben. Aber mir selbst würde es unheimlich helfen, ein solches Buch in meinen Händen halten zu können. Es wäre wie ein Freispruch: Du. Bist. Unschuldig.

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Yann Tiersen - Comptine D'une Autre Été
Ich höre es, und alles ist da. Als ich damals mit dem kleinen Professor in einer Bar war, bevor wir zusammen gekommen sind. Und viel später, als mein Klavierengel mir das Lied auf dem Klavier gelernt hat. Kaum ein anderes Lied fasst Monnem für mich so gut zusammen wie dieses. Es begann damit, und endete damit. Und jede einzelne Note trifft mich bis ins Mark.

Es fehlt mir so sehr. So sehr. Ich muss zu Frau W. und meine Seele abholen. Ich bin dort einfach nicht weg. Und. Also. Nein. Ich will meine Seele nicht abholen. Ich will zu ihr zurück. Von ganzem Herzen zu ihr zurück.

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Ich wünsche Dir, daß Du zu Frau W. kannst. *drück*

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Ich bin gerade ein wenig um Worte verlegen, möchte aber dennoch gern zum Ausdruck bringen, dass ich dieses Gefühl gut kenne - mir ging es nach Ende meiner Therapie ganz ähnlich, und noch heute denke ich manches Mal: "Meine Güte, ich vermisse Mr.F.!" Ich würde wer weiß was dafür geben, einfach nur bei ihm zu sitzen und über meine Gefühle sprechen zu können. Oder auch nicht sprechen, sondern spüren, dass Schweigen okay ist. Einfach in diesem warmen Raum sein, der Orientierung vermittelt, ohne die eigene Persönlichkeit in Frage zu stellen.

Meine guten Wünsche sind bei Dir. Will heißen: Ich hoffe, dass Du Hilfe findest, dass sich zumindest ansatzweise ein Gefühl von zuhause einstellt, dass das Zusammensein mit anderen Dir mehr Halt als Sorge und Anspannung vermittelt.

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