Sonntag, 14. März 2010
Es muss eine Eingebung gewesen sein, dass mein Bruder und seine Freundin dahin gefahren sind. Als sie vor der Klingel stehen, ruft meine Mutter ihn an und sagt, ihr Analytiker (nicht der Therapeut, sondern der, bei dem sie früher jahrelang und in den letzten Jahren immer mal wieder war) und die Polizei seien da, es gäbe da ein Missverständnis, dass sie suizidgefährdet sei, er soll bitte vorbeikommen, denn sie lassen sie nur alleine, wenn jemand über Nacht bei ihr bleibt.

Mein Bruder ruft mich an und lässt die ganze Zeit das Handy laufen. ich höre die gespräche zwischen meinem bruder und dem analytiker. meine mutter war heute nachmittag bei ihm und hat gedanken derart geäussert, dass er, als sie aus der tür war, den notdienst angerufen hat. deswegen die polizei.

ich msus es jetzt schreiben, sonst werde ich verrückt.

mein bruder geht hoch in ihre wohnung. der polizist redet mit ihm. er erklärt warum er da ist, will wissen was wir wissen, und mein bruder sagt ihm, dass sie mir gegenüber gestern die suizidgedanken geäussert hat. der polizist meint, dass bei ihm nun die entscheidung liegt, ob jemand von uns (mein bruder) heute nacht bei ihr bleibt, denn alleine lassen können sie sie nicht, oder ob sie sie mitnehmen sollen in die nächstgelegene psychiatrie. mein bruder ist am ende seiner nerven. ich sage ihm, dass ich darauf bestehe, dass sie sie mitnehmen. "weißt du, wie das für mich ist", sagt er. "die stehen da und fragen, ob ich bei ihr bleiben will, oder ob sie zwangseingewiesen werden soll." lass mich mit dem polizisten reden, sage ich, und dann rede ich mit ihm, und erzähle von dem telefonat mit ihr, und er stellt mir die gleiche frage, und ich sage: ich bestehe darauf, dass sie sie mitnhehmen. mein herz zerbricht dabei und die tränen können das auch nicht heilen. alles klar, frau o., sagt der polizist, und mein bruder übernimmt wieder und sagt, er meldet sich.

seine freundin, die vor dem haus steht, ruft mich an. was sie tun soll. wraten, sage ich. mein vater ist auch auf dem weg. die freundin sagt, es wird und wird kein licht im treppenhaus. ja, sage ich, das dauert wohl, denn sie werden sie mit gewalt mitnehmen müssen. das kann dauern.

inzwischen ist mein vater dort. die freundin fragt, ob mein bruder bei mir ans telefon geht, denn sie drücke er immer weg. ich rufe ihn an, und mein bruder, der weint, und er weint so selten. und mein herz tut so weh. und er sagt, ja, papa soll kommen.

und ich sitze hier, und wär so gern dort.

und wiecder klingelt das telefon.

meinen vater und meinen bruder hat sie rausgeschmissen. nun ist nur noch die polizei bei ihr. gewalt müssen sie wohl keine anwenden. sie ist einfach nur sehr erbost und sehr erzürnt und hört niemanden und nichts mehr. ist nicht mehr zugänglich, aber anscheinend geht sie ohne größere gegenwehr mit.

in einer halben stunde dann familienkonferenz.

es ist auch eine erleichterung. weil endlich etwas passiert. und immerhin kam der notdienst nicht über mich und meinen bruder. auch wenn die entscheidung einer zwangseinweisung letztendlich bei mir lag.

gestern waren sie alle doch na, mein vater, seine frau, mein bruder, seine freundin, und alle engsten freunde, und feierten mit mir einen wunderschönen 30., was schon skurril genug war nach dem telefonat vom nachmittag, und der frage, ob man da überhaupt feiern kann/darf. und ich stand oft in meiner küche und hab sie alle angesehen, und war so froh.

komische zeiten, und das schicksal, das ist auch so eine sache. so ein bewegtes, anstrengendes jahr.




Tick. Tack. Tick. Tack.

Mein Bruder war in der späten Sprechstunde des Hausarztes. Ich habe mit ihrem Therapeuten telefoniert. Bei beiden hat sie bisher Suizidgedanken verleugnet.

Auf seinem Weg vom Arzt zurück tauschen mein Bruder und ich uns per Telefon aus. Es gibt Momente, da hasse ich es, nicht in der Heimat zu sein. Was sollen wir tun, fragen wir uns. Wenn wir jetzt jemanden alarmieren, die bei ihr vor der Tür stehen, sie alles leugnet, und die wieder gehen müssen, weil es sonst Freiheitsberaubung ist.

Er fährt an ihrem Haus vorbei, sagt er...

Da steht die Polizei vor der Tür, sagt er.
Ich ruf zurück, sagt er, und legt auf.

Man stellt sich das Grauen ganz anders vor. Momente wie diese. Als sollten sie sich stärker, krasser, intensiver anfühlen. Man hat das Gefühl den Verstand zu verlieren, und gleichzeitig ist man glasklar, während man so sehnsüchtig wie noch nie zuvor auf den Rückruf wartet, der nicht kommt und nicht kommt. Das Herz droht in der Brust zu zerspringen, während Emotionen über Emotionen unkontrolliert durcheinanderwirbeln und sich ihren Weg bahnen.

Warum dauert eine Sekunde so lange.




Tickende Bombe.
Jetzt hat sie es geäußert. Mehrfach, mir gegenüber. Am Telefon. Sie sieht keinen anderen Ausweg.

Der Rest sind Entscheidungen. Der Hausarzt zeigt sich zögerlich.

Ich befürworte prinzipiell, dass nicht einfach jemand "untergebracht" werden kann, weil jemand anderes behauptet, er sei suizidgefährdet. Wo kämen wir da hin. Aber. Aber! Wenn er es vor den Ärzten und Polizisten leugnet, und es doch vor hat. Was dann?