Samstag, 14. Januar 2012
04.-07.01.2012 - zensiert.
04.01.:
"Ich bins mal wieder", sage ich, und heule auch schon. "Sie werden es nicht glauben, aber ich habe tatsächlich Patienten, die öfters zu mir kommen", sagt der Hausarzt. Und ich weine und weine, und rede und rede, und er erzählt mir davon, dass er mal eine sehr schlimme Phase hatte, und was da war, und wieviel Halt ihm da seine Familie, seine Frau, seine Kinder gegeben haben. Und ich weine noch mehr.

Er schreibt mich bis 15.1. krank und will mich am Dienstag wiedersehen. Ich schäme mich für die Krankmeldung. Er sagt, wenn notwendig verlängert ers nochmal, und ich soll endlich mit diesem blöden Gerede aufhören. Und gibt mir Hausaufgaben: ich soll einen neuen Lebensplan machen. Nicht nur, was die Arbeit angeht. Außerdem soll ich zu Freunden fahren.

Zuhause fällt mir auf, dass das nicht geht, weil ich mit meinem Vater vereinbart habe, dass wir uns am Freitag Abend treffen um das, was da passiert ist und alles sonst zu bereden. Davor hab ich Angst. Vor dem Gespräch treffen mein Bruder und ich uns mit meiner Mutter. Davor hab ich auch Angst. Und am Samstag ist dann große Familienfeier, der 50. meiner Ami-Tante, und der 60. meines Vaters, sowie der 31. meines Cousins. Davor hab ich vor allem aufgrund der Ungewissheit, wie das Vatergespräch ausgeht, auch Angst.

Ich g**gle auf einer Jobbörse "unkonventionell". Es gibt echt Treffer. Das war aber auch schon anstrengend genug.

05.01.:
Ich schäme mich immer noch und habe immer noch Angst. Was macht man da? Notiere die vom Arzt erwähnten Prioritäten: "1.: Job suchen. 2.: Mann suchen." Toll, denk ich mir. Ich versuche meinen Lebenslauf zu schreiben. In meinem Gehirn sind einfach nur weiße Schneefelder. Ich schaue einen Film. "Kleine wahre Lügen." Ich mag den Film und mach mir was zum Essen. Überlege wie es am nächsten Tag wohl werden wird.

Versuche nochmal das mit dem Lebenslauf. Ich schreibe meinem alten Chef (HaGa, man erinnert sich) eine Mail mit einer Terminanfrage. Gehe kurz einkaufen. Telefoniere mit LeSchwe. Und mit meinem Bruder. Schleife mich wie den Tag wie ein Schluck Wasser in der Kurve, alles strengt so unglaublich an. Aber der Tag geht rum.

06.01. - Teil Mama:
Nachmittags komme ich mit zittrigen Knien in der alten Heimat an, treffe mich mit meinem Bruder. Streichel ausgiebig die Katze. Dann fahren wir zur Polizei. Dort warten wir erstmal ewig, und werden dabei immer nervöser, unsere Nerven sind sehr im Arsch. Die Polizisten sind sehr nett und unglaublich hilfsbereit. Ich kann bisher wirklich nix sagen gegen Polizisten wenn es um Anfragen zu bzw. zur Umsetzung von Zwa*ngsunterbringungen aufgrund Schi*zophrenie geht. Sie nehmen sich viel Zeit und uns ernst.

Gesprächsergebnis: aufgrund der von uns ausgedruckten und vorgelegten Mails sowie der (auch bei denen im PC hinterlegten) 1. Ein*weisung im Jahr 2010 würden sie zu einer Zwa*ngsunterbringung vorbeikommen. Möglich weil: Feiertag in Bayern. Ansonsten ist jemand anderes zuständig. Das wussten wir, was wir nicht wussten: das Ord*nungsamt ist für sowas zuständig, die das dann wiederum irgendwie mit dem Ges*undheitsamt regeln. Sie verstehen aber, warum wir v.a. den Hausarzt außen vor lassen wollen.

Überhaupt. Echt jetzt, die sind wirklich knorke. Sagen uns aber auch ganz klar: wenn wir bei dem anstehenden Gespräch mit unserer Mutter merken, dass es NICHT akut ist, dann würden sie uns schwer empfehlen, es nicht mit Zwang zu machen, sondern in der kommenden Woche das Ord*nungsamt aufzusuchen. Weil sie selbst es auch immer sehr hässlich finden. Überlassen uns aber die Entscheidung, der Polizist mit dem wir sprechen sagt, er ist bis 2 Uhr nachts im Dienst, wir sollen einfach anrufen, wenn wir es möchten. Ich könnte grad einfach wieder ins Bett gehen, aber wir fahren zu Mama.

Bei Mama. Alles sieht aus wie immer. Nur die leeren Bierflasche in der Leerguttüte werden inzwischen mit Handtüchern abgedeckt. Ich bin unendlich müde. Zur Begrüßung drückt sie mir gleich einen Infozettel von Dig*nitas in die Hand. Ihre Hände zittern, ihr Kopf ruckt hin und her, ihr Körper zuckt. "Heute ist es ganz schlimm", sagt sie.

Dann geht es einfach nur ums Sterben. Und während dieser drei Stunden zuckt, ruckt und zittert nichts. Ich frage mich, ob ihr selbst das bewusst ist. Auf Anfragen dieser Art kommt aber normalerweise immer die Antwort: "Ja wenn Zeugen dabei sind, ist immer nichts". Es gibt immer Antworten, immer, egal wie sehr die Argumentationskette hinkt. Das fällt uns auch wieder in dem Gespräch auf. Das ist eine Logik, da weiß man wirklich nicht mehr ob man Lachen oder Weinen soll.

Letztendlich dreht sich vieles um Selbstbestimmtheit und ob wir hinter ihr stehen. Ich weiß nicht, inzwischen glaube ich fast, dass es der richtige Weg ist. Denn das eigentliche Ziel von Dig*nitas ist der Weg zurück ins Leben. Sehr wenige der Angemeldeten ziehen das bis zum Ende durch. Und wie gesagt - ich glaub sie wird sich umschauen, wenn die sie auch für krank und nicht entscheidungsfähig halten. Wir rufen nicht die Polizei. Im Auto weinen wir. Bruder legt seinen Hand auf mein Bein und sagt: "Ist doch gut, dass wir uns haben."

06.01. - Teil Papa:
Zurück bei Bruder darf ich erstmal mit ihm und seiner Freundin Abendessen. Sie kocht sehr lecker und kreativ. Wir trinken Sekt Aperol. Ich bin froh, dass er sie hat und nicht mehr die blöde Schrapnelle, von der er sich 2010 vor Weihnachten getrennt hat. Um 20 Uhr kommt Papa zu ihm. Er spielt mit dem Kater. Wie er da so steht, und den Mausfaden schwenkt. Das muss alles wieder gut werden, irgendwie, denke ich mir.

Wir gehen in einer Kneipe, die ein paar Häuser die Straße rauf ist. Wir reden bis kurz nach Mitternacht und trinken zuviel. Was sich als fatal erweist. Denn eigentlich läuft das Gespräch ganz gut. Ich habe endlich gesagt, dass ich kündigen werde, und Papa meint, sag es der G.! (also meiner Chefin / seiner Frau). Du kannst mit ihr reden, und sie muss es wissen, sonst kann ich dich doch nicht unterstützen bei der Neuorientierung, sonst muss ich ihr was vormachen und sitze zwischen euch, und das kann und will ich nicht. Und auch ihr gegenüber ist es nur fair.

Wir reden viel über viel. Aber streiten immer wieder an dem Punkt, wenn es um mein Verhalten bei ihm zu den Weihnachtsfeiertagen geht. Irgendwie kratzen wir immer wieder die Kurve, um kurz nach Mitternacht aber nicht, und der Streit artet wieder völlig aus, ich stehe heulend auf und renne raus, es ist wieder wie ein Kurzschluss im Gehirn, die Sicherung brennt völlig durch, wie auch bei dem hysterischen Anfall. Ich steige in mein Auto. Ich fahre nie betrunken Auto! Da habe ich nicht mal drüber nachgedacht. Lasse den Motor an, plötzlich steht er vorm Auto, wedelt mit meinem Schal, den ich vergessen habe. Sagt: "Mach sofort den Motor aus, ich ruf sonst die Polizei". Er bewegt sich keinen Millimeter. Also steige ich irgendwann aus und renne heulen die Straße entlang.
[Am nächsten Tag macht mir das Angst. Auch heute noch. Diese Kurzschlüsse. Dieser absolute Overkill. Der absolute Kontrollverlust über mich.] Außerdem frage ich mich, was gewesen wäre, wenn der Polizist gekommen wäre, mit dem wir über die Zwan*gsunterbringung gesprochen haben. Ich muss hysterisch lachen.

Ich rufe Katinka an, sie ist bei ihrem Freund in einem Dorf in Stadtnähe. Ich nehme ein Taxi dahin. Und heule dort nur. Im Taxi. Der Taxifahrer kennt mich noch von Weihnachten. Der hat auch keine schöne Zeit hinter sich, wie er mir erzählt. Bei Katinka heule ich einfach weiter. Ich glaub sie kann nicht mal verstehen, was ich in ihren Schoss heule. Aber sie hält mich, und sagt ganz liebe sanfte Worte, und das hilft.

Wir fahren zu ihr, und reden bis nach 3 Uhr. Ich schäme mich ein bisschen vor ihr, und bin ihr unbeschreiblich dankbar. Dass sie keine Angst vor mir hat. Ich bin erstaunt, dass Menschen mich wirklich einfach so lieben wie ich bin.

07.01. - die ganze Familie:
Ich stehe mittags auf und fühle mich wie durch den Fleischwolf gedreht. Ich dusche, Katinka kocht, und wir reden über ihre Zukunftspläne. Ich wünschte, ich könnte ihr da mehr helfen. Ansonsten bin ich sehr ratlos. Was ich jetzt tun soll. Was ist mit diesem Familienfest. Trotz allem wäre es glaub ich das schlimmste für meinen Papa, wenn ich nicht kommen würde. Da ruft G. an. Sie fragt, ob wir nicht mal reden wollen. Und wir verabreden uns für einen Spaziergang. Mir ist schlecht. Aber ich fahre hin.

Und dann reden wir. Und es ist.. als würde jemand die Eisenkette um meine Brust wegsprengen. Es ist jetzt wirklich geklärt, und auch mein Bauch sagt mir, dass es nun für alle Beteiligten in Ordnung, verstanden und akzeptiert ist. Das liest sich hier jetzt sehr banal. Aber im Nachhinein muss ich sagen, es war der gordische Knoten. Ich könnte schon wieder nur schlafen, allein schon, weil soviel Druck und Anspannung abfallen. Aber wir fahren zum Familienfest aufs Dorf.

Papa weint als er mich sieht und nimmt mich fest in die Arme. Alle sind da, ich liebe diese Familie, auch meine Tante, meine Cousine und mein Cousin aus den Staaten sind da, und es tut unheimlich gut, alle auf einen Haufen zu sehen und ein Teil davon zu sein. Es ist ein so lustiger, lebensfroher, herzlicher Haufen. Und gerade wir zahlreichen Cousins und Cousinen mit Freund/Freundinnen verstehen uns wirklich bombig. Alle sind da, außer einer. Der, der mir der Liebste ist.

Von dem habe ich noch nie geschrieben. Er, wir nenne ihn nun B., ist der Sohn des Bruders meines Vaters. Er ist ein Jahr jünger als ich und wir haben uns schon immer gut verstanden. Vielleicht, weil wir uns sehr ähnlich sind. Ultrasensibel und irgendwie nicht immer mit dem besten Händchen fürs Leben, dafür mit einem Hang zu chemischen Substanzen.


Der sehr lange Rest ist zensiert, den habe ich nur für mich aufgeschrieben.

Aber seitdem geht es bergauf. Die Woche über war ich täglich spazieren, regelmäßig im Sport, in der Sauna, habe mit LeSchwe einen Kurz-Skiurlaub vereinbart, nach Jobs gesucht, eine Antwort von HaGa bekommen, viel nachgedacht, und auch wenn ich immer dachte, ich will zurück nach MA, so will ich vielleicht doch vorwärts, das wäre dann Berlin, aber das mag auch ein Hinterherjagen von Illusionen sein. Rein branchentechnisch wäre ich dort wohl ganz gut aufgehoben. Und ich würde, wenn meine allerbeste N. ein Kind bekommt, quasi mit ihm aufwachsen. Das wäre mir wichtig, irgendwie. Naja. Mal sehen was sich auftut, in nächster Zeit, und vor allem, was ich dabei fühle. Nichts mehr ohne mein Gefühl.

Seelenheil ~ ... link (2 Kommentare)   ... comment