Samstag, 23. Juni 2012
Tschüss Nü*rnberg...
Ich sitze auf gepackten Koffern, habe den Fernseher so gestellt, dass ich auf dem Balkon Fussball schauen kann und trinke Bier. Vom Public Viewing wehen die Stimmen des Kommentators und der Fans herüber. Die Vögel zwitschern, die Bäume wiegen sich im leichten Wind, ihre Blätter rauschen. Es klingt immer wie ein tröstendes Schlaflied, das Blätterrauschen. Ich liebe es, genauso wie Regen. Rechts von mir der Business Tower vor einem blass rosa-lila-blauen Himmel. In meinem Rücken das Altenheim.

Es ist Wehmut, immer wieder, bei Abschieden, aber diesmal eine, die sich in Grenzen hält. Wie ein Ziehaufmännchen habe ich die letzten Tage gepackt, Auto reparieren lassen,

Tor :-) 1:0, Die Public-Viewing-Leute ticken aus :-))

geschraubt, geschrubbt, gekauft, organisiert, telefoniert, hysterische Anfälle und Aggressionsausbrüche durchlebt, und mich immer wieder panisch daran erinnert, wie gerade das Geld zum Schornstein rausfliegt. Pro*vision, die ungeplante beschissene Autoreparatur, der Transporter für ein absolut ungeheurliches Geld, die Tankfüllungen, die zwei Mietstudenten und die Vermittlungsgebühr, der anstehende Kühlschrank, Unterbauschrank für Herd, Arbeitsplatte, Sofa, Getränke und Essen für die Helfer. Ich möcht mich bei dem Gedanken an mein Ko*nto gern einfach nur erschießen.

Da gehe ich also. Mal wieder. Mit Erleichterung, frohem Sinn und Aufregung, aber auch mit einem kleinen Karton Angst und Zweifel. Nichts, was man besprechen müsste, ich glaube, es ist normal.

Ich kann noch nicht glauben, dass ich in 24 Stunden in meiner neuen Wohnung in Monnem sitze. Irgendwie ging das jetzt doch alles sehr schnell.

Was mir fehlen wird, ja, das möchte ich gern festhalten, nicht, um melancholisch zu werden, sondern weil ich froh bin, dass ich der Zeit hier auch einiges Positives abgewinnen konnte. Und letztendlich könnte ich ohne meine Zeit hier in Monnem nicht da anfangen, wo ich dann demnächst anfange.

- Mein Balkon. Mein Balkon war mein Wohnzimmer, solang es eben ging. Er war riesig und mit Glas überdacht, der Blick davon war schön, auf einen begrünten Platz, hinter dem dann das Altenheim liegt, dazwischen und außen rum viele Laubbäume. Ich hatte nach dem ehemaligen Ausblick in Mannheim in einen engen Innenhof mal das Gefühl von einer gewissen Weite. Es war ein Südbalkon, ich hatte den GANZEN TAG Sonne. Es war das erste mal, dass ich Extrem-Bepflanzing betrieben habe, und die Pflanzen haben tatsächlich überlebt, bis ich 3 Woche auf No*rd-Zy*pern war. Mein Balkon, also ja. Den werd ich schmerzlich vermissen.

- Die Lage meiner Wohnung am Wö*hrder See. Das war fantastisch. Du gehst vor die Tür, läufst 500 Meter, und bist an einer grünen Lunge. Wenn man am See stadtauswärts gelaufen ist, war es, als wäre man meilenweit vom Städtischen entfernt. Manchmal konnte ich sogar abends auf dem Balkon das Wasser riechen, und das Grün der vielen Bäume. Ich mochte die vielen Schwäne und Enten, die Spaziergänger, Fahrradfahrer und Jogger. Das Gefühl von Entspannung und Erholung, sobald man sich auf den Weg dort begeben hat. Und ich mochte dieses Restaurant am Wö*hreder See, das mit den unschlagbar leckeren Marillenknödeln. Und mit der Wassermühle. Dieses Restaurant hat mir im Januar in so dunkler Stunde die Seele gestreichelt. Ich konnte dort sitzen, Marillenknödel essen und lesen, stundenlang, ohne mich einsam zu fühlen, ohne dass mich dort jemand blöd angeschaut hätte. Es war, als wäre es selbst ein Teil meiner Seele, in dem ich sein und mich ausruhen konnte.

- Das Altenheim. Jeden Tag hat man das Alter vor Augen. Ich habe gesehen, wie alte Leute in Krankenwägen geschoben wurde, habe gesehe, wie Familien ihre alten Angehörigen besuchen, habe alte Leute schreien gehört, einsam spazieren gehen gesehen. Einen Leichenwagen habe ich komischerweise nie gesehen. Die Pfleger/innen rauchen alle sehr stark, deren Balkon ist gegenüber von meinem ;-) Ich habe oft überlegt, mich dort ehrenamtlich zu betätigen, dachte mir dann aber - vielleicht eine faule Ausrede - was ist, wenn die Leute sich an eine Regelmäßigkeit und an mich gewöhnen, und dann gehe ich plötzlich, oder kann nicht mehr so oft. Ich habe mir sehr viele Gedanken über das Alter und den Tod gemacht, auch durch das Altenheim, aber natürlich auch bedingt durch meine Mutter. Es waren wichtige Gedanken, die mich letztendlich immer wieder zu dem Ergebnis führen, dass unsere Gesellschaft ziemlich beschissen umgeht mit denen, die "keinen aktiven Beitrag" mehr leisten in unserem tollen System.

- Der Weg zur Arbeit. Ja, anfangs war es ätzend. Eigentlich war es bis zum Ende ätzend, jeden Tag eine Stunde gen Norden zu fahren zur Arbeit, und eine Stunde zurück. Aber ich habe noch nie so viel Aufmerksamkeit für den Wechsel der Jahreszeiten gehabt. Die Strecke wird vor allem dann schön, wenn ich von der Autobahn abgebogen bin auf die Landstraße, die gar zur Firma geführt hat. Franken ist wunderschön, ich liebe Franken und es wird immer meine Heimat bleiben. Aber "heimisch" habe ich mich hier einfach nicht mehr gefühlt. Und ich habe den wilden Mohn am Straßenrand geliebt.

- Mein Verantwortungs- und Gestaltungsfreiraum im Job - wenn ich alle Begleitumstände ausblende. Das war wirklich gigantisch, und ich rechne nicht damit, weiterhin so weitrechend und autonom Entscheidungen treffen zu können. Damn, aber irgendwo muss man einen Kompromiss eingehen. Im Job selbst wird mir meine Kollegin fehlen, wir hatten wirklich vor allem in den letzten paar Monaten eine sehr witzige Zeit. Wir haben uns blind verstanden, konnten mit den Augen reden. Das war unerwartet, und sehr bereichernd. Ein paar Kollegen werden fehlen, und ich wünsche ihnen viel Glück, es sind mehr oder weniger "junge" Wilde, mit den mehr oder weniger gleichen Schmerzen wie ich in dieser Firma. Ganz zu schweigen von meinem Wer*kstudu*enten. DEN werb ich in einem Jahr doch noch ab.

- Es war gut, dass ich gelernt habe die Einsamkeit (ja, auch Einsamkeit, nicht nur Alleinsein) schätzen zu lernen. Dass ich nicht ständig feiern und unter Leuten war, sondern bei mir, ob ich wollte oder nicht, so ekelhaft es große Strecken war, so sehr hat es geholfen, hoffe ich, denke ich, glaube ich. Und ich hoffe, dass ich das beibehalte, mit einem bewussten Ausklinken ab und an. Es ist notwendig. Anders werden mir Misstände und Wunden nicht bewusst.

- Eigentlich könnte hier jetzt noch mein Therapeut stehen. Aber den werde ich weiterhin einmal pro Woche besuchen. Firmenwagen sei Dank.

- Es könnte hier noch mein Friseur stehen, der wirklich beste, den ich bisher gefunden habe. Aber auch den werde ich weiterhin aufsuchen. Firmenwagen sei Dank.

FUCK. Ausgleich. So war das nicht geplant.

Mehr gibts auch nicht zu sagen. TBC, das Spiel wie das Leben ;-)

Ha. 3:1... die Hoffnung stirbt zuletzt.

----------------------------------------------------

Seelenheil ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment