Samstag, 5. Juni 2010
Eigentlich wollte ich heute Abend vielleicht der Einladung des Klavierlehrers folgen, er ist mit ein paar Leuten am Neckarufer. Aber dann überkommen mich so alte Unsicherheiten. Was, wenn die mich doof finden. Und ich bin nicht gegangen. Ja, sagen Sie nichts.

Stattdessen habe ich mit meiner Mutter telefoniert. Zum ersten mal seit Wochen. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. Sie sieht keine Zukunft, fühlt sich perspektivlos. Will mir Links senden, die sie recherchiert hat, was heutzutage alles möglich ist, medizinisch. Zwecks anzapfen und so. Ich will sie nicht lesen, sage ich.

Ihr Hausarzt will sich bei seinem Bruder schlaumachen, der sei beim Militär. Das sei nun ihre letzte Hoffnung. Ich weiß nicht, was das soll. Was denkt sich dieser Vollidiot von Arzt dabei?? Dem möcht ich ja echt zu gern eins in die Fresse schlagen.

Wenn sie immer mit fester Stimme sagt: bitte, du musst mir glauben! Ich habe keinen an der Waffel, ich verliere auch nicht den Verstand! Ich habe keine Wahnvorstellungen, ich bin nicht paranoid! Bitte, du musst mir glauben!

Und dann folgt diese schwere Stille, hinter mir tickt die Küchenuhr, und ich fange an zu weinen. Deswegen rede ich mit dir gar nicht gern darüber, sagt sie. Weil ich zum einen fühle, dass du mir nicht glaubst, und zum anderen, weil ich merke, wie traurig es dich macht, wie sehr es dich belastet. Wann kommst du endlich mal wieder hier her?

Dass ich dir nicht glaube, hat nichts mit meiner Liebe zu dir zu tun. Ich werde immer hinter dir stehen, egal was ist. Das müsst ihr auch, sagt sie. Ihr müsst hinter mir stehen.

Ich liebe sie so sehr. Liebster Gott, du bist so unfair, sage ich zum Küchenfenster. So verschissen unfair. Ich will meine Mama zurück.

Warum finde ich keine verdammte Selbsthilfegruppe, die sich entweder an den Tagen trifft, an denen ich nicht in Bonn bin, oder in Bonn zu Zeiten, die Arbeitnehmer wahr nehmen können, die keinen 9 to 5 Job haben. Ich könnte kotzen. Rini habe ich auch schon auf die Suche angesetzt, aber sie findet auch nicht mehr.

Meine Frau W. meinte, dass das unabdingbar für mich sei, weil ich eben so gar nicht damit klar komme. Ich spüre mit jedem Tag mehr was sie meint. Am schlimmsten ist dieser Zwispalt zwischen: ich will ganz nah bei ihr sein, ihr helfen, für sie da sein. Bei Mama sein, und: geh weg. Ich will es nicht hören. Ich kann es nicht hören. Hör auf. Hör auf diese Scheisse zu labern. Verpiss dich, ich pack das nicht.

Heute Nacht werde ich wieder träumen, dass sie vor mir steht, und mich damit konfrontiert, warum ich sie öffentlich blossstelle. Das ist immer so nach den Blogeinträgen. Aber ich weiss sonst nicht wohin damit. Klar sind meine Freunde da, aber sie sind kein Ersatz für eine Gruppe. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Und ich weiß es auch nicht.

 
Oh Mann...
Ich finde nicht, daß Sie sie öffentlich bloßstellen. Sie schreiben nur über das, was in Ihnen vorgeht - eine Art Verarbeitung. Auch dazu hat man Blog.

Fühlen Sie sich mal feste gedrückt, mehr fällt mir leider auch nicht dazu ein. Bleiben Sie stark. Ich finde, Sie meistern das ganz toll.

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Danke Sid! Die Umarmung nehm ich zu gerne :-)

Klar meister ich das irgendwie. Das schwierigste ist eigentlich der Umgang mit ihr selbst, und das ist auch das, was mich am meisten belastet. Das ist irgendwie so ein gestörtes Verhältnis. So befangen. Unoffen. Weiß gar nicht wie ichs sagen soll.

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Nicht, daß mein Mamazwerg vergleichbar wär (nie nicht sind Mütter das) und auch nicht in der Situation wie die Ihre, aber von schwierigen Situationen - das versteh ich doch ein wenig... und so wie Ihnen die Worte zum Beschreiben fehlen (dies nicht braucht), fehlen mir zu Worte für Trost.
Aber Zuhören geht. Und das ist ja ein wenig was.

Ich finde gut, daß Sie neben dieser ganzen Situation trotzdem auch rauskommen (gut, heute nicht), und bisserl was unternehmen. Das ist wichtig fürs eigene Wohlbefinden & Ablenkung (= kurze Erholung). Denk ich.

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Liebe okavanga, ich kann nur wenig Tröstendes sagen, aber ich schicke eine Umarmung und ein Paket Mitgefühl.

Das Träumen kenne ich auch. Meine Mutter unterstellte mir einmal im Traum, ich redete im Internet schlecht über sie, und zur Bestätigung wies sie auf einen Bildschirm. Ich wurde dann laut und sagte ihr, das sei auch mein gutes Recht... Urplötzlich sah sie aus wie eine Hundertjährige, fiel einfach um und ich erwachte völlig verschreckt...

Ich glaube, die Loyalität zu unseren Müttern ist so tief verankert, dass sie uns bisweilen unsere eigenen Bedürfnisse vergessen lässt - bis hin zu dem Bedürfnis, von der Mutter auch mal wieder behandelt zu werden wie eine Tochter - gehalten, geliebt, bemuttert - anstatt für die Mutter nun immer selbst die Mutter sein zu müssen.

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@sturmfrau: Schon kurios. Das mit der Bestätigung-auf-Bildschirm-weisen kenn ich auch.

Du bringst es da wirklich auf den Punkt. Wieder Tochter sein, nicht Mutter für die Mutter.

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Och jee, da haben Sie es aber schwer zur Zeit.
Eine Selbsthilfegruppe wäre ideal.
Haben Sie mal der Rheinschiene entlang geguckt?
Siegburg, Köln, Koblenz?
In Andernach ist die Landesnervenklinik. Vielleicht weiß da jemand weiter.
Viel Glück...

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@croco: nicht, ich habe nicht weiter gekuckt. Ich habe kein Auto, und bin abends meistens so k.o. von der Arbeit, dass ich es nicht noch packe eine Stunde mit der Straßenbahn o.ä. irgendwohin zu fahren. Wenn ich es drauf anlegen würde, würde es sicher gehen. Aber der Preis ist mir zu hoch, das würde mich letztendlich tatsächlich mehr Kraft kosten als mir geben.

Ich werde es mal in einer Institution hier (also in meiner Basisstadt) versuchen. Die nehmen zwar normalerweise nur Menschen in Gruppen, deren Angehörige dort auch stationiert sind, aber ich hatte mal ein längeres Gespräch mit einer sehr netten Ärztin in der Psychiatrie. Sie meinte, im Notfall soll ich mich wieder melden, und das werd ich dann einfach mal tun.

Danke, Frau Croco :-)

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Immer wieder gerne ;-))

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