Montag, 31. Oktober 2011
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die ganze Zeit überlege ich, was ich schreibe, und wie. Ich hätte nie gedacht, dass das mal das Blog einer "Ange*hörigen Psyc*hisch Kr*anker" werden wird. Aber ich bin froh, dass ich es habe. Und dass ich euch habe, die das alles sogar manchmal lesen, und sogar kommentieren, was mich immer wieder überrascht, und sehr freut.

Das war ein sehr komisches Wochenende. Vermutlich allein schon deswegen, weil ich selbst das Gefühl habe mal wieder ein bisschen psy*chisch krank zu werden, aber nicht schlimmer als ichs schon kenne, und zumindest weiß ich ja auch, wie ich damit umgehe. Oder umgehen sollte. Jedenfalls.. es ging mir eh schon nicht gut, als ich in die Heimat gefahren bin.

Und dann war da das Gespräch mit meinem Bruder, unserem Bekannten S. (Stationsarzt einer Ps*ychia*rie) und meiner Mama. Mein Bruder und ich waren dermaßen angespannt, bevor sie kamen, dass wir gar nicht wussten wohin mit uns, und wir nur wie zwei nervöse Rehe in seiner Küche rumgestolpert sind.

Das Gespräch verlief dann sehr ruhig. Ich habe eine unheimliche Hochachtung vor S. und seiner ganzen Art, einem Menschen zu begegnen. Wie er ihr das Gefühl vermitteln konnte, dass er sie ernst nimmt, sie aber auch auf Dinge gestoßen hat ohne sie das Gesicht verlieren zu lassen. Ein Profi halt, und ich frage mich, ob sich schon mal ein anderer Arzt mit soviel Zeit und Ernst meiner Mama gewidmet hat.

Er stellte viele Fragen, machte quasi eine ganze Anam*nese. Schaute sich die Unterlagen an, die sie ihm gab. Hakte nach. Und als meine Mutter dann nach 1,5 Stunden meinte: jetzt will ich von dir wissen, was du denkst. Da sagte er (so in etwa, leider bekomme ich den Originalsatz nicht mehr hin): das, was du mir nun erzählt hast, das können durchaus die körperlichen Folgen einer Borrel*iose oder Neur*oborreliose sein, auch deine damaligen rheum*atischen Beschwerden können in solche Symptome münden. Aber mir ist völlig klar, dass dir das alles nicht erklärt, warum es dir so schlecht geht. Ich würde dir dringend anraten, Medikamente einzunehmen.

Am Gesicht meiner Mutter war natürlich glasklar abzulesen, was sie davon hielt. Sie schmunzelte und sagte: ja, so etwas hab ich schon vermutet. Dass du so etwas sagen würdest. Ich bin nicht verrückt. Kannst du dir vorstellen, dass du einmal über den anderen Weg nachdenkst, von dem ich dir erzählt habe (AdR: mi*nd co*ntrol).

Und S. sagte: ich kann mich gerne damit beschäftigen und mal recherchieren. Aber tu du mir den Gefallen, und denk du mal über den Weg nach, den ich dir gezeigt habe (AdR: ihre Beschwerden als Konsequenz früherer Erkrankungen mit einer guten Behandlungsmöglichkeit durch Neu*role*ptika).

Ich war ihm sehr dankbar. Dieses Gespräch war nicht so sehr für meine Mutter als viel mehr für mich und meinen Bruder, die wir uns die meiste Zeit über im Hintergrund gehalten hatten während des Gesprächs.

Als S. weg war, konfrontierten wir meine Mama mit ihrer Aussage, dass sie bereits seit einer Woche jeden Abend 6 Bier tränke. Während sie täglich die Benzo-Teile einnimmt. Sie meinte, sie wollte das eigentlich gar nicht sagen. Aber es sei nunmal die traurige Wahrheit. Sie wolle einfach irgendwie schlafen. Aber das hilft auch nichts. Und trotzdem tut sie es.

Am nächsten Tag trafen wir uns mit S. zur Nachbesprechung. Er sagt, was wir schon wissen: Medikamente, unbedingt und unbedingt und unbedingt. Und vor allem: konsequent. Er meint auch, dass sie aktuell kein Richter unterbringen wird, da sie nicht ausreichend fremd- oder selbstgefährdend ist. Daraufhin erzählen wir ihm von ihrem Kontakt mit Dign*ita*s. Und er meint: solche Aussagen, vor allem schriftlich, müsst ihr sammeln und nutzen. Umgehend. Das Beste sei allerdings, wenn wir sie in eine freiwillige Behandlung bekommen. Mein Bruder und ich sehen uns an. Viel Hoffnung kann ich in seinen Augen nicht sehen. Und er in meinen sicher auch nicht mehr als Verzweiflung. Meine Mutter kommuniziert das nicht schriftlich. Und freiwillig... da wählt sie lieber den Fre*it*od. Weiß ihre arme Seele allein, wieso.
Und er sagt, wie sehr wie mit dem Akohol aufpassen müssen. Dass sie sich einen Spiegel aneignen wird, wenn das so weitergeht, den sie dann schon beim Aufstehen vermissen wird. Und wie oft solche Erkrankungen mit Abhängigkeiten einhergehen, weil die Betroffenen meinen, sie müssten ihre Symptome betäuben. Was nicht die Spur funktioniert.

Am So*nntag war ich nochmal bei ihr. Ihr sitzen bei ihr in der Küche. Sie raucht wie ein Schlot. Anfangs zeigt sie mir noch vermeintliches Zu*cken von Nerven am Ha*ndgelenk. "Wie da von außen draufg*edo*ckt wird". Aber ich sehe nichts von außen, und in den folgenden zwei Stunden hat sie erstaunlich wenig Beschwerden.

Abgesehen von den 3 Bier, die sie in diesem Zeitraum trinkt. "Nur abends", sagt sie, und ich weiß, dass ihr "abends" 4 Stunden nachdem sie aufsteht ist. Und dass es nicht die letzten 3 waren.

Ich kann das nicht beschreiben. Wie wir eh schon mit der Situation kämpfen. Und dann sitzt man ihr gegenüber am Tisch und sieht ihr beim Trinken zu.

Kennt ihr das Gefühl, wenn einem alle Felle davon schwimmen. Wenn man alle Dinge glasklar vor sich hat. Und nichts tun kann, um sie zu ändern. Wenn man alles im Kopf begreift. Und sich fragt, wie weh das wohl tun wird wenn man wirklich versteht.

Und wenn man anfängt, es mit dem Herz zu begreifen und anfängt zu weinen. Dann muss man sofort aufhören. Denn der Schmerz, der da irgendwo in seiner Gesamtheit in mir wartet, ist so unerträglich, dass er sich von selbst verpisst, sobald mir das Ausmaß im Ansatz klar wird. Sobald mir meine eigenen Hilflosigkeit klar wird.

Denn sonst müsste ich in einen sehr einsamen Wald rennen, mir die Haare einzeln rausreissen und die Seele aus dem Leib schreien.

 
Kennt ihr das Gefühl, wenn einem alle Felle davon schwimmen. Wenn man alle Dinge glasklar vor sich hat. Und nichts tun kann, um sie zu ändern. Wenn man alles im Kopf begreift. Und sich fragt, wie weh das wohl tun wird wenn man wirklich versteht.

Ich glaube sagen zu können, es zu kennen. Die Herausforderung besteht immer wieder darin, mit der Hilflosigkeit klarzukommen. Mir half dabei irgendwann die Beobachtung, dass sich oft, wenn ich daran war, meinen Frieden mit dem status quo und notfalls auch mit dem worst case zu machen und zu sagen sch... drauf, das ist nicht mehr mein Bier, wieder irgendwas bewegte bei meiner Ex, irgendwas, was sie dazu brachte, einen eigenen kleinen Schritt zu gehen, ein Signal zu geben, das doch was ankommt bei ihr. Ohne diese kleinen, aber ultraharten Lernprozesse wäre ich irgendwann dran verzweifelt an der Geschichte. Für mich war die Lektion kurz gesagt, dem Schlimmsten ins Auge zu sehen - und es auszuhalten. Bis hin zu dem Punkt, mir zu sagen, okay, wenn ich der letzte bin, der sie lebend gesehen hat, dann ist das halt so, irgendwann werde ich damit klarkommen, weil ich muss.

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@Mark: ja, du kennst das. Leider, könnte ich sagen, und natürlich meine ich das auch, und dennoch, mir selbst hilft es gerade, weil du so Worte findest. Mir selbst war ja die ganze Zeit, oder lange Zeit, nicht klar, warum einen das Ganze so fertig macht.
Aber es ist genau das, was du sagst: die Hilflosigkeit. Einen Weg mit der Hilflosigkeit umzugehen zu finden, wie geht das? Leider sehen wir bei ihr überhaupt keine Signale in die "richtige" Richtung, sondern immer nur noch tiefer in ein Schlamassel hinein. Wie hast du es ausgehalten? Mit wem hast du gesprochen?

Diese Lektion ist so hart, und ich frage mich, wie man es nur aushält, aber du sagst es ja schon sehr wahr: weil man muss. Und doch habe ich Angst, dass ich selbst daran zerbreche, nicht endgültig, aber doch nachhaltig. Noch mehr einen Schlag wegzukriegen, weil es ein Verlust ist, der wie jeder Verlust die Themen Nähe und Loslassen anspricht, und überhaupt eigentlich vermutlich all meine Defizite und wundesten Wunden, von denen ich meinte, ich würde ihnen langsam auf die Spur kommen.

Wie schützt man sich selbst davor, ohne den anderen fallenzulassen und zu hart zu sich selbst zu werden? Ohne bitter zu werden? Wie sieht dieser Weg einer akzeptablen Hilflosigkeit aus?

Ich ziehe meinen Hut vor dir.

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Im großen und Ganzen
war ich auf mich allein gestellt. Ich habe anfangs natürlich viel mit Leuten gesprochen, die nicht mehr an sie rankamen, unter anderem natürlich auch ihre Eltern, zu denen sie ab einem gewissen Punkt jeglichen direkten Kontakt verweigerte. Aber das manöverierte mich mehr in eine Prellbocksituation als dass es mir persönlich weitergeholfen hätte dabei, mit der Situation umzugehen. Ein halbwegs hilfreiches Gespräch hatte ich mit dem Mitarbeiter des Sozialamts, der das Sozialgutachten erstellen sollte in dem ersten Betreuungsverfahren, das ihre Eltern angestrengt hatten. Sein Rat war, auch meine eigene Rolle in dem Spiel kritisch zu hinterfragen, wobei ich mir zumindest sicher war, kein Helfersyndrom zu haben. Aber ich habe mir daraufhin ein paar Dinge bewusster gemacht, etwa, worin liegt denn für mich der Anreiz, mich in dieser Sache so zu engagieren, ich war als Ex-Freund ja kein Familienmitglied, hätte es im Prinzip also auch lassen können. Dass ich sie damit zurückerobern will konnte ich irgendwann auch einigermaßen sicher aussschließen. Und so kam ich drauf, dass mich die Beschäftigung mit ihrem Elend immer wieder davon ablenkte, dass bei mir auch vieles suboptimal lief und ich selber in einer Krise steckte, auch wenn ich nicht so klassiche Symptome hatte wie sie und nach außen hin auch besser funktionierte. Oder um es positiv zu wenden: So hielt sie mich davon ab, mich allzu weit in mein eigenes Elend fallen zu lassen. Ja, irgendwie tat es mir auch gut, gebraucht zu werden. Wenn ich das alles nicht so akribisch nalysiert hätte, wäre ich wohl auch nicht darauf gekommen, irgendwann die Gesetzmäßigkeit in dem Spielchen zu entdecken, dass wenn alles festzustecken schien sich immer erst dann irgendwann wieder ein Türchen öffnete, wenn ich die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben hatte.

Das Komische ist auch: Ich habe mich natürlich oft gefragt, mache ich das richtig oder verkenne ich womöglich, dass ich mehr Teil des Problems bin als der Lösung? Und diese Frage ist mir auch von außen immer wieder gestellt worden. Bei allen temporären Unsicherheiten in diesem Fragenkomplex gab es aber auch immer wieder Momente der totalen Klarheit, dass es richtig ist, was ich mache und was ich bleiben lasse. Kann nicht sagen, woher ich das nahm. Aber irgendwann war ich mir auch sicher, dass ich dereinst meinen Frieden damit finden würde, auch wenn es keinen guten Ausgang nimmt.

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Was kann man sagen... Gut, dass S. Euch raten kann. Das macht etwas weniger haltlos, auch wenn es den Schmerz wohl nicht lindert.

Alkohol gegen die Schlaflosigkeit ist ein leider zu Beginn viel zu probates Mittel. Es ist bestimmt sehr schwer, da auch noch zusehen zu müssen. Wenn sie nur die Medis nähme.

Renn in den Wald und schreie, wenn auch nur der Hauch einer Chance besteht, dass Dir das helfen könnte. Es ist wichtig, damit nicht allein zu bleiben und all die widerstreitenden, schwierigen Gefühle nicht in sich abzuschließen. Sonst fressen sie von innen an Dir. Pass gut auf Dich auf!

P.S.: Wer verschreibt ihr das Bromazepam?

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@sturmfrau: das stimmt, es ist gut, dass da ein S. ist, er gibt zumindest eine rationale Sicherheit. Die Sicherheit die wir brauchen, wenn wir selbst überlegen, ob denn da nicht vielleicht doch etwas komisches ist. Und die Sicherheit, dass man etwas tun KANN, wenn sie es nur will. Und die Sicherheit, dass es Ärzte gibt, die so sind wie er.

Das mit dem Alkohol dachte ich auch. Aber das kuriose ist: es hilft ihr nicht, und das sagt sie auch selbst. Es hilft ihr kein Stück. Und deswegen macht es mich nur noch verrückter, warum sie ihn trotzdem konsumiert.

Ja, ich hab mir auch gedacht, ich brauche einen Kanal und muss es nach außen schreien. Denn ich habe Angst dass es mich zerfrisst, ich spür das ja schon, und das macht noch unglücklicher und noch schwächer und alles noch weniger tragbar.

Wer ihr diese Dinger verschreibt, das weiß ich gar nicht, da muss ich mal meinen Bruder fragen. Ich vermute aber, der Hausarzt. Und mit dem wollen wir eh sprechen, er ist diese Woche im Urlaub. Er muss das mit dem Alkohol wissen. Da die Benzos auch absolut gar nichts an ihrer Situation ändern (vermute ich - ich weiß natürlich nicht, inwiefern sie ihr tatsächlich die ein oder andere Angst nehmen), wäre es vermutlich besser, sie auszuschleichen und nicht mehr zu verschreiben. Vor allem da sie zu Selbstdosierung neigt. Vorschriften sind ja, ganz offensichtlich, überhaupt nicht ihr Ding.

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Ich lese immer noch und immer wieder und ziehe meinen imaginären Hut vor so viel Durchhaltevermögen und Kraft. So sehr du auch glaubst, Schwäche niederzuschreiben, so stark ist das... sage ich, inzwischen mit viel Abstand zu dem, was ich erlebt habe und von dem ich, im Gegensatz zu dir, ja 'fliehen' konnte, mich davon frei machen konnte.

Aber ja, ich kenne dieses Gefühl noch immer und wenn ich es jetzt wieder so deutlich lese, ist alles wieder da - mit dem Abstand und dem Wissen, das es braucht, um damit umgehen zu können. Und ich wünsche dir, dass du diesen auch irgendwann einmal haben wirst, ganz gleich wie, aber irgendwann...

Deine Hilflosigkeit... du tust genau das richtige, damit umzugehen. Sie loswerden und vielleicht auch schreien. Manchmal hilft nichts anderes.

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@neous: dass du das alles noch lesen kannst :-) ich stelle es mir grauenhaft vor, das zu lesen wenn man es selbst schon einmal hinter sich hat. Wie ein deja vu, ein schlechter Film. Es gibt mir aber, auch wenn das jetzt wirklich saudoof klingt, unglaublich Kraft dich da zu wissen. Als jemand der das "überlebt" hat.

Ich schäme mich fast, wenn du sagst, du ziehst deinen Hut vor mir, denn ich habe nicht das Gefühl, dass ich eine Wahl habe zu dem was ich tue. Zu fliehen wäre in diesem Fall ja fatal, denn wie würde ich an ihrem Grab stehen, wenn ich mich einfach abwende. An dem Grab meiner Mutter. Das würde mich in eine viel fatalere Lage versetzen als das alles irgendwie auszuhalten. Und ich schäme mich weil ich mich immer wieder frage: könnte ich nicht viel mehr tun. Sollte ich sie nicht öfters sehen. Sollten wir uns nicht viel mehr kümmern. Aber alles in mir schreit, weil ich Angst habe, dass es mein Leben auffrisst. Ich weiß nicht, wo für mich die Grenze ist, zwischen: was kann und darf ich wirklich tun, und was geht für mich überhaupt nicht, weil ich sonst selbst mit vor die Hunde gehe. Und trotzdem bleibt die Frage: wie oft müsste ich sie sehen, und auf sie einwirken, damit sie vielleicht doch noch krankheitseinsichtig wird.

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Das wird jetzt vermutlich fürchterlich hart klingen, aber:
Es ist wahrscheinlich nie deine Kraft, die auf sie einwirken wird, krankheitseinsichtig zu werden. Trotzdem wirst du es immer wieder versuchen, aber auch immer wieder diese eine Grenze finden, die sagt: Bis hier und nicht weiter.
Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem du zumindest für einen Moment fliehst, an dich selbst denkst, für dich handelst. Selbst wenn du diese Grenze nicht kennst, nichts anderes hast du in diesem Beitrag geschrieben: Der Moment, in dem du schreien willst.
Es ist sicherlich eine flexible Grenze, die mal enger und mal weiter gesteckt ist. Aber so schwer die Zeit auch war für mich, sie war immer da, auch wenn ich sie nicht wahrhaben wollte. Es ist also nicht wichtig, zu wissen, wo diese Grenze ist, sondern zu glauben, DASS sie da ist.

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