Freitag, 19. Februar 2010
Nein, ich vertrau euch nicht.
"Vertraust du mir nicht?"

"Tja was soll ich da sagen. Wenn ihr sagt dass ihr mir nicht glaubt. Nein, ich vertraue euch nicht. Und dein Bruder, der weiß auf jeden Fall etwas. "

"Mama.. nein, ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass der A. nichts damit zu tun hat."

"Da verbrennst du dir zu 100%-iger Sicherheit die Finger."

[... es folgt viel Dialog...]

Sie erzählt Pointen aus ihrem Leben, die lustig sind. Ich lache, während ich stumm verzweifelt vor mich hinweine. Am liebsten möchte ich schreien. Schreien vor Weinen. Weil ich nicht weiß, wohin mit all dem Schmerz. Es ist grauenhaft. Manchmal wünschte ich mir, meine Mutter wäre einfach nur tot, damit ich abschließen könnte. Aber sie ist es nicht. Sie ist Ende 50. Wie lange und wohin soll das alles laufen? Ich kann nicht mehr.

Telefoniere danach lang mit meinem Vater. Schreie, schluchze ins Telefon. Versuche, meinem Schmerz einen Kanal zu geben.

Scheiß auf zerbrochene oder unerwiderte Liebe. Scheiss auf alles, was ich jemals hatte. Kein Gefühl war jemals so schlimm wie dsa, was ich nun empfinde. Ich erwarte nicht, dass es jemand versteht. Ich erwarte nichmal Verständnis.

Aber bitte, seid doch zum Teufel einfach nur da!






Donnerstag, 18. Februar 2010
Eigentlich sterbe ich innerlich permanent vor Angst um sie. Sie geht nicht mehr ans Telefon. War verreist, keiner weiß wohin. Ist sie wieder da? Wie geht es ihr? Ich vermisse meine Mutter. In ihrer Rolle als Mutter. Als liebende Person. Die da ist, für mich, meinen Bruder. Und auch wenn sie nicht da sein kann. Sie fehlt mir.

Und wenn Leute fragen, auch wenn ich es nicht persönlich nehme, ob man ohne Paranoia oder Depris nicht bloggen kann, so bleibt mir nur zu sagen: gute Zeiten muss ich nicht dokumentieren. Die lebe ich einfach. Aber mit meinen Ängsten und Defiziten muss ich mich auseinandersetzen. Ob das nun jemand lesen will, das ist mir egal.

Derweil hat der heutige Tag in der Arbeit in Kombination mit den letzten Wochen das Fass nun soweit zum Überlaufen gebracht, dass ich ab sofort ernsthaft auf der Suche nach Alternativen bin. In diesem Jahr will ich auf jeden Fall kündigen. Der Final Call ward nicht erhört. Game over. Keinen Bock mehr.

Am Wochenende feiert Karotte seinen Geburtstag im Loft. Ich bin dabei. Paul Kalkbrenner dann im März oder April. Feiern Feiern Feiern. Mehr bleibt gerade nicht.

P.S. Note to myself: der kleine Prof und ich sind in Kontakt. Menschlich. Wir fehlen uns. Aber nicht als Partner. Und es tut gut.







Donnerstag, 4. Februar 2010
Das Gefühl, keinem einzigen Anspruch, keiner einzigen Erwartung, ob in der Situation mit meiner Mutter, in der Arbeit, im Freundeskreis, oder Sesamina, gerecht werden zu können. Alle nur enttäuscht. Sich erklären müssen. Geben sollen. Nichts mehr geben können. Mein Licht ist aus, ich geh nach Haus, Rabimmel Rabammel Rabumm.






Mittwoch, 3. Februar 2010
Ich liege mit drei oder vier anderen in einem Zelt. Wir sind eine Gruppe von eigentlich gegenseitig Unbekannten, in einer Art Spiel, so ähnlich wie Big B*rother, wir werden immer weniger.

Es ist mitten in der Nacht, ein einsamer, gruseliger Ort. Grabesstille um uns rum. Wir legen uns zurecht zum Schlafen. Plötzlich klingelt mein Handy. M. ist dran, und sagt nur: Oka, ich hab Angst.

In einem Tonfall, der mir die Gänsehaut über den Rücken jagt. Urplötzlich kriecht mir die gleiche Todesangst den Nacken hoch, wie M. es gerade empfinden muss. Unbeschreibliche Angst. Und sie wieder, am anderen Ende der Leitung, deren Verbindung immer schlechter wird: Oka, ich hab Angst!

Um unser Zelt herum plötzlich merkwürdige Geräusche. Rascheln, und Wind. Die Kamerateams machen nicht den Eindruck, als würde das zur Show gehören. Mein Herz ist kurz vor dem Zerspringen, die anderen blicken mit Panik in den Augen um sich. Was geht vor sich. Plötzlich dellt sich das Zeltdach ein, als würden fremde, bösartige Hände nach uns greifen. Todesangst in uns allen.

Ich wache auf, mein Puls kurz vor der Explosion. Mit schreckstarr geweiteten Augen starre ich in die stille Nacht, das Gefühl böser Hände durch Leinenstoff noch auf der Haut. Bis ich merke, meine Hand krallt sich fest in das Fleisch um mein Herz.

Die Spieluhr in ihr ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment



Nachts.
Tagsüber ist es okay, irgendwie. Tief vergraben. Bei Licht betrachtet.

Aber nachts, wenn ich da liege, und mir vorstelle, wie sie allein in ihrem Bett liegt. In ihrer Wohnung, sich bedroht fühlend, verfolgt, vielleicht verängstigt, verrückt werdend /und das schlimmste ist, ich weiß gar nicht was wirklich noch alles in ihrem Kopf und Herz abläuft, wie viele Stimmen, Ängste, Nöte/ ... - und, das allerschlimmste, von uns allen im Stich gelassen. In ihrer Realität. Da zerreisst es mich fast.






Samstag, 30. Januar 2010
Weißes Rauschen.
Sie steht gestern im Treppenhaus, als mein Bruder nach Hause kommt. Hält ihm, zwischen Aggression und Auflösung, einen leeren Briefumschlag vors Gesicht, den sie mit Hand beschrieben hat:

Wer steckt dahinter?
a) <Klinik A>
b> <Klinik B>
c) <Klinik C>

Und ruft die ganze Zeit, Wer steckt dahinter?
Er nimmt sie mit hoch zu seiner Wohnung, aber rein geht sie nicht. Welcher Teil ihres Gesprächs vor einigen Tagen, in dem sie sich ihm anvertraute, mitgeschnitten wurde? Oder ob die komplette Unterhaltung aufgezeichnet wurde?
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Nur wenige Stunden davor hatten wir einen Termin beim SPDI vor Ort. Wir schildern unserer Ansprechparterin die Situation, wie sie sich zuspitzt, informieren uns über unsere (so gut wie nicht vorhandenen) Handlungsmöglichkeiten, über den Verein für Angehörige Psychisch Kranker, über Betreuungsverfahren, über Zwangseinweisung. Immerhin haben wir, v.a. mein Bruder, nun eine informierte Stelle vor Ort, die für uns da ist.

Sie empfiehlt uns, mit dem Hausarzt zu sprechen, sofern sie dort noch ab und zu in Behandlung ist. Wir bekommen sofort einen Termin.

Dieses Gespräch dürfte ich nun nicht ausführlich schildern. Ich vermute, er verletzt seine Schweigepflicht und mit den Vorschlägen, die er hat, wagt er sich an den Rand eines Zulassungsentzugs. Ihm ist die Situation bekannt, sie kommt ab und zu zu ihm. Aus ihm spricht die gleiche Verzweiflung wie aus uns, ebenso die Ohnmacht, gebundene Hände, solange Fremd- oder Selbstgefährdung fehlen, und zugleich dieser große Wunsch, endlich handeln zu können. Wir tauschen Telefonnummern aus.

Ein weiterer Verbündeter, Mitwisser. Ansprechpartner im Notfall. Was ist ein Notfall?
Alle sind sich einig: ohne Medikamente wird das nichts.
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Vorhin. Es klingelt Sturm bei meinem Vater. Er ist nicht da, ich schlafe. Mein Handy klingelt. Meine Mutter. Ich habe Angst. Ja! Ich habe Angst, wenn meine Mutter oder das, was sie gerade ist, klingelt. Beschämend, nicht wahr. Ich torkel schlaftrunken zur Tür, während der Puls bereits jenseits von gut und böse ist.

Kein Hallo, kein nichts. Wir hatten seit 3 Wochen keinen Kontakt, seit sie einfach aufgelegt hat. Hast du deinen Laptop dabei, fragt sie. Ihr Tonfall ist fordernd, aggressiv. Ich bejahe. Mach ihn sofort an, ich brauch ein paar Telefonnummern. Nein, sage ich, so geht das nicht, was ist denn los? Das Gespräch dreht sich im Kreis und endet damit, dass sie meint:
wie zu erwarten, auf euch ist nicht Verlass.

Du machst mir Angst, sage ich. Angst, schnaubt sie, ja, das kann sie sich vorstellen. Was ist los? Frage ich zum hundertsten mal. Und: soll ich einen Arzt rufen? Da wird sie wirklich aggressiv: Ich kann dir gleich eine scheuern! Das einzige, was mich das letzte halbe Jahr hat durchstehen lassen, war der Glaube an euch beide [mich und mein Bruder]. Lasst euch beide nie, nie mehr bei mir blicken!

Sprichts, und knallt die Tür hinter sich zu.
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Vor dem Fenster versinkt die Welt immer tiefer in Schnee. In mir auch. Alles ist taub und stumm und weißes Rauschen. Was, wenn sie sich nun doch etwas tut, und wir haben nicht gehandelt.

Ich kann den Schmerz, die Ohnmacht und auch die Wut, nicht beschreiben, die Gefühle, die man in solchen Situationen empfindet. Doch vor allem dieses weiße Rauschen: wo läuft das hin? Angst. Es ist die Angst. In mir steckt inzwischen eine permanente Grundangst vor meiner Mutter. Und dem, was sie tut. Und dem, was sie tun könnte.






Mittwoch, 20. Januar 2010
Müdigkeit.
Das ist alles ... anstrengend. Immerhin ist sie tatsächlich bei dem Bekannten von uns in psychologischer Betreuung. Mein Bruder und ich haben Kontaktadressen bekommen, an die wir uns für persönliche Gespräche wenden können. Derweil erzählt sie meinem Bruder eine Horrorgeschichte nach der nächsten, und ich werde von einem schlechten Gewissen geplagt, weil er den direkten Kontakt ganz allein abfangen muss. Und ich muss zusehen, dass ich wieder in Kontakt mit ihr komme.

Mir fehlt langsam die Puste. Wie hält er das nur aus.
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Letzten Termin bei Frau W. gehabt.
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Die Spieluhr in ihr ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment





Sonntag, 10. Januar 2010
Ratlosigkeit.
Das neue Jahr begann so anders als erahnt. Allein schon, dass N., M. und H. meinten, schreib Sesamina, dass du dann bei ihm vorbeikommst, und auch er tatsächlich der Meinung war, das sei eine gute Idee. So kam es, dass ich mich nach unserem köstlichen Menü in dem schnuckeligen Restaurant und einer fröhlichen Begrüßung des neuen Jahres in einem Taxi auf den verschneiten Straßen Berlins wiederfand.

Es hat sich in keiner Sekunde falsch angefühlt bei ihm zu sein. Wir hatten so wunderschöne gelöste Stunden, bevor es mir am 2. dann den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Aber er war immer noch da, und nahm es wie es ist, auf eine Art, die so für sich sprach, und mir so gut tat.

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Er fehlt mir. Ich bin inzwischen wieder in Man*nheim. Meine Mutter spricht seit vorhin nicht mehr mit mir. Seit ich meine Überzeugung geäußert habe. Dass ich es nicht glauben kann, was sie sagt.

So skurril, das alles. So surreal.

Sie hatte einen Unfall, heute, auf dem Weg von der Klinik, in der sie (aus körperlichen Gründen) behandelt wird. Sie wollte über das Wochenende nach Hause. Der Unfall passt nur in ihre Theorie. Die Landespolizei, die steckt vermutlich auch mit drin. Und es gab ja schon mehr Ungereimtheiten mit ihrem Auto in den letzten Wochen. "Du meinst, der Unfall ist auch nur provoziert?" "Das sage ich nicht." Aber nein sagt sie auch nicht, "lassen wir es so stehen", kommt stattdessen, und ob ich schon wüsste, dass sie auch ihr Handy und Festnetz angezapft haben, ebenso wie den Rechner.

Da kann ich nicht mehr anders. "Das erinnert mich alles so an Oma", sage ich verzweifelt. "Glaubst du mir nicht? Der Arbeitgeber ist doch auch schon involviert. Was meinst du, warum dich die Kollegin angerufen hat?"

"Aus dem gleichen Grund, warum ich sage, dass ich dir nicht glauben kann. Wir machen uns alle Sorgen. Mama, du brauchst Hilfe."

Gestern meinte sie, dass sie bereits bei jemandem ist. Es ist ein langjähriger Bekannter unserer Familie. Vorhin konnte ich nicht mehr anders. Ich musste ihn anrufen. Ich muss wissen, ob sie wirklich bei ihm ist. Ich habe ihn nicht erreicht.

Meinem Bruder hat sie eine sms geschrieben, sie waren für morgen verabredet: "Ich habe morgen andere Pläne und keine Zeit."

Sie macht die Schotten dicht. Die Eisscholle treibt mit ihr allein immer weiter aufs Eismeer hinaus. Während wir anderen alle am Ufer stehen und wie wild rufen, weil wir ihr helfen wollen. Doch sie paddelt weg. Weit weg......

So viele Gespräche, mit dem Rest meiner Familie, mit ihrem ehemaligen Analytiker, mit meiner Therapeutin, mit meiner Mama. Und doch drehen wir uns irgendwie im Kreis.

Wie jemanden per Zwang in Betreuung überstellen, der für sich und andere keine Gefahr darstellt? Müssen wir zusehen, bis es eskaliert? Sie ist so clever zu sagen: "Das habt ihr alle missverstanden. Das habe ich alles nie so gesagt." Aussage gegen Aussage. Und was dann?

Sie ist ja nicht dumm. Sie ist nur... paranoid.

"An einem Verrückten erschrickt uns am meisten
die vernünftige Art, auf die er sich unterhält.

Anatole France






Mittwoch, 6. Januar 2010
Die Angst hat sich inzwischen wie eine Kralle um das Herz geschlossen und ist ständiger Begleiter, bewusst und unbewusst.

Wir haben mit ihrem ehemaligen Analytiker gesprochen und ihm die Situation geschildert. Was für eine schreckliche Situation, meint er, ja. Er hält die Lage für sehr sehr ernst. Und ich glaube, er hält sie auch für eine Gefahr für sich selbst. Wir müssen sie unbedingt dazu bringen, sich freiwillig in Behandlung zu begeben. Sei es, weil wir sie doch dazu bringen, uns alles zu erzählen, oder weil wir sie andernfalls mit all unserem Wissen konfrontieren müssen. Und wenn das alles nicht hilft, dann den Notdienst rufen. Immerhin Anweisungen aus berufenem Munde. Und trotzdem.

Ich kann nicht mehr. Diese ständige Angst macht mich fertig. Ich weiß nicht wohin mit ihr. Wohin mit mir.






Montag, 4. Januar 2010
Ohnmacht.
Uns gegenüber rückt sie nicht mit der Sprache raus. Als wir meinen, ob sie mit uns über etwas reden will, sammeln sich sofort Tränen in ihren Augen. Im Nachhinein stellen mein Bruder und ich fest, dass wir beide den gleichen Eindruck hatten: da kämpft etwas in ihr. Da war so eine Verzweiflung und Traurigkeit in ihren Augen, dann folgte ein gequälter Ausdruck, und dann .. mit viel Energie wüste Andeutungenm, da ist viel Kraft und Wut (das zieht Kreise in den höchsten Gremien; ich hab da in was reingestochen; ich lass die Bombe platzen wenn ich dadurch meinen Job verliere; ich tausche mein Schloss aus.) Aber sie wird nicht konkret. "Ich will euch nicht belasten, aber das ist alles höchst kriminell." Wir sollen uns einfach keine Gedanken machen. Das müssen wir ihr versprechen. Sie will "das Geheimnis mit ins Grab nehmen."

"Ich bin nicht anders als sonst, hört ihr! Ich bin nicht anders!"

Wir haben es nicht geschafft sie mit dem zu konfrontieren, was wir über sie von anderen wissen. Wir sind restlos überfordert. Und irritiert. Warum spricht sie nicht einfach mit uns. Warum erzählt sie allen alles, und uns nichts. Wie groß muss ihre Angst sein.

Wir sollen ihr versprechen, nie den Glauben an sie zu verlieren.

Über Patientenverfügung hat sie gesprochen. Und Vormundschaft im Notfall.

Vielleicht weiß sie im tiefsten Inneren, worauf das alles hinausläuft.

Aber ich selbst trau mich keinen einzigen Schritt mehr ohne professionellen Rat zu gehen.

Mein Bruder und ich sind ihr letzter Fitzel heile Welt.

Scheisse. Scheissenfuckmistwichsdrecksscheisse.
Beschissene Situation erscheint mir noch als die Untertreibung des Jahrhunderts.