Sonntag, 2. Juli 2023
Meiner Mutter geht es sehr schlecht. Außerdem hat sie am Mittwoch das nächste Gespräch mit jemandem aus dem Sterbehilfeverein. Mein Vater startet voraussichtlich diese Woche mit der Chemo. Es ist kaum zu ertragen, beide Elternteile gleichzeitig so existenziell bedroht zu erleben. Immer wieder pendel ich zwischen hohen Mauern und offenem Herzen, aber das offene Herz, das tut wirklich sehr weh.

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Dienstag, 27. Juni 2023
Von guten Mächten wunderbar geborgen.
Letztes Semester habe ich eine junge Frau kennengelernt, wir waren im selben Seminar. Irgendwie waren wir uns sympathisch und irgendwann wagte sie es danach zu fragen, ob wir mal Kaffee trinken gehen wollen. Das klingt vielleicht komisch, aber ja, doch, auch in Freundschaftanbahnung tastet man sich date-mäßig voran. Jedenfalls war es sehr nett und ich freute mich sehr über den seither wachsenden Kontakt mit dieser humorvollen und intelligenten Frau, die ihr Herz auf der Zunge trägt.

Nun trafen wir uns vorletztes Wochenende mal wieder in Heidelberg und stellten fest, dass ihre Mutter in der selben Woche wie mein Vater eine Krebsdiagnose erhalten hat. Brustkrebs bei ihr. Wir unterhielten uns an diesem Samstag sehr lange, erst spät in der Nacht nahm ich eine Bahn zurück nach Mannheim. Es gibt manchmal schon sehr spannende Zufälle, da mag ich gar nicht an Zufall glauben. Ich danke meiner Höheren Macht, was auch immer sie sein mag, dass sie uns einander gegeben hat.

Apropos Höhere Macht. Letztes Wochenende fand das offizielle Ehemaligentreffen der Klinik statt, im Allgäu. Es gab ein Rahmenprogramm, an dem man aber beliebig teilnehmen konnte. Es war wie ein Familientreffen mit einer Familie, die man von ganzem Herzen mag. Von einigen wusste ich, dass sie kommen werden, wir hatten uns bewusst verabredet. Meine damalige Zimmergenossin kam leider nicht, ihr war das alles zuviel. Die Frau, mit der ich mit eine Ferienwohnung gebucht hatte, fiel leider wegen sehr kaputtem Fuß aus. Spontan sprang ein Mann ein, der auch in unserer "Klinik-Gruppe" ist. Einige von uns wollten nach der Klinik monatliche (online) Meetings beibehalten, wir halten regen Kontakt über eine Messenger-Gruppe, und treffen uns größtenteils tatsächlich einmal im Monat online.
Es fühlte sich gar nicht komisch an, mit dem Mann ein Doppelbett zu teilen. Alles in diesem ganzen Kontext fühlt sich so sicher und geborgen an.

Seit mehreren Wochen warte ich auf abgrundtiefe Tränen. Vom ersten bis zum letzten Tag hätte ich dort durchweinen können. Es überkam mich auch eine sehr große Müdigkeit am Samstag, ich schlief sie am Nachmittag aus. Es war, als würden sich Körper und Seele daran erinnern, dass ich dort, in dieser Umgebung, mit diesen Menschen, sein kann, wer ich bin, dass ich dort abschalten, runterfahren, rauslassen kann. Es war so nährend. Stärkend, und gleichzeitig machte es mich ganz weich. Ich hatte vergessen, wie toll das ist.

Auch gab es unerwartete Begegnung dort. Ganz verrückt. Entzückt. Ansonsten redeten, lachten, weinten wir, wanderten, aßen, tranken, teilten. Es ist ein Zuhause. Ich wünschte, alle Menschen könnten so etwas erfahren. Die Welt wäre eine andere.

~ Andachtsjodler, gesungen vom irchenchor St. Martin, Unterwössen.

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Freitag, 9. Juni 2023
L<3ben.
Nach einem schlumblbumbl-Tag auf Balkonien sind Energie und Fröhlichkeit zurück. Schon verrückt, wie gute Laune und Traurigkeit oder Sorge nebeneinander stehen können. Ich will noch so viel vom Leben. Also nicht im Sinne von "bitte bekommen", sondern... ich will noch soviel Leben leben. Ich hab Lust auf Leben. Ich wiederhole mich. Aber es ist für mich so ungewöhnlich, das so sagen zu können... es ist herrlich, mich da zu wiederholen.

Momentan kucke ich zwischendrin nach möglichen Ausbildungsinstituten. Für mich ist klar, dass ich eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapieausbildung möchte. Für mich persönlich hat die Verhaltenstherapie ganz viel bewirkt, um damals meine Diplomarbeit fertig zu bekommen, während ich in meine ersten depressiven Episode steckte, oder um aus dem tiefsten Tief während und nach dem kleinen Herrn Professor zu gelangen und irgendwie zurück zu Struktur und Dingen, die ich mag, zu finden. Doch tiefgreifende Heilungserfahrung habe ich erst im Zuge der tiefenpsychologischen Therapie gefunden, mit einem richtig krassen Schubser in der Klinik, und dort war es die Kombi verschiedenster Verfahren, auch systemischer. Auch spannende Kombi, tiefenpsychologisch und systemisch. In Heidelberg wäre man da einigermaßen nah dran. Doch ich habe ein anderes Institut ins Auge gefasst. Lustigerweise eines, mit dem ich bereits liebäugelte, als mein Therapeut darauf zu sprechen kam. Deren ganzer Ansatz, das Menschenbild, die Umgebung sprechen mich sehr an. Freue mich auf den Informationstag im Herbst. Freue mich auf alles, was da kommt!

Manchmal denke ich: wie schade, dass ich 42/ 43 Jahre alt werden musste, um all das erfahren zu können. Und dann denke ich: was ein Glück, dass ich das schon jetzt und überhaupt noch erfahren darf.

~ Herbert Grönemeyer - Sekundenglück
Dieses Video! <3



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Donnerstag, 1. Juni 2023
Ich bin unendlich dankbar dafür, dass er erst jetzt krank wird. Dass ich inzwischen so gut aufgestellt bin, mental, emotional, mit tollen Menschen in meinem Leben. Vielleicht auch schon etwas leiderprobt, so bescheuert es klingt. Die bisherige Erfahrung im Umgang mit einer schweren Erkrankung eines Elternteils hilft. Es macht die Sache ansich nicht weniger beängstigend oder traurig. Aber es hilft.

All das trägt. So kann das Schöne neben dem Argen stehen, und daneben die Hoffnung.

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Mittwoch, 17. Mai 2023
Mein Vater hat ein Karzinom am Mageneingang.

Hat inhaltlich nichts damit zu tun, aber lief eben auf Dlf Nova während ich über all das nachdachte, und ... Mogli holt mich einfach immer ab.
~ Mogli - Mirror



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Mittwoch, 26. April 2023
Vorhin hat unser Chef offenbart, dass er uns abgibt. Es wird eine (absolut unterirdische) Interimslösung geben. Danach sollen wir, HR und Recruiting unter jemandem, den es noch einzustellen gilt auf Cxo Level, zusammengeführt werden.

Ich bin fix und fertig. Mir wurde bewusst, dass ich die ganzen letzten Jahre nicht für die Firma, sondern für diesen Menschen gearbeitet habe. Dass er mein Chef war, hat es mir überhaupt möglich gemacht, bei der Firma zu bleiben, nach der Historie, bei der ich sowieso schon soviel Scheiße diesen Firmenfluss hab runterlaufen sehen, ist mir auch schon ins Gesicht geschwommen, diese Scheiße. Und jetzt widmet er sich anderen Dingen, ab dem 1.6. Weiß nicht, wie ichs aushalten soll. Das eine ist die menschliche Ebene. Das andere die fachliche. Was ich mit diesem Interimsmenschen in den wöchentlichen Jour Fixen besprochen soll, das ist mir ein absolutes Rätsel. Aber auch das zeigt einmal mehr, dass es so scheissegal ist, welchen ahnlungslosen Arsch man auf die Personalentwicklung setzt. Mach sie effizient und billig.

Ich kotze im Strahl. Und weine ein bisschen, tatsächlich, ja. Und meinen gebeutelten Körper muss ich nun noch schneller durch dieses Studium tragen.

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Samstag, 25. Februar 2023
Bald ist mein Aufenthalt in der Klinik ein Jahr her. Am 15. März war meine Aufnahme. So anstrengend das Wintersemester auch war, so stellt sich doch immer stetiger ein bestimmtes, ungewohntes aber angenehmes Gefühl ein. Ich habe vorhin lange überlegt, wie ich das nennen könnte. Befriedet, trifft es vielleicht ganz gut. Mein Leben befriedet sich allmählich, ich befriede mein Leben. Meine Beziehungen, meine Tätigkeiten, meine Sicht auf Menschen, Vergangenheit, Umstände. Gerät leider oft ins Schwanken bei einem Blick in die Nachrichten und so gut wie immer in der Kommunikation mit meiner Mutter. Doch grundsätzlich... ja. Zumindest für den Moment, für die Betrachtung der letzten Monate. Andere Phasen sind kürzer, vielleicht auch nicht mehr so intensiv in ihrer Verzweiflung. Keine Ahnung ob das so bleibt, derweil genieße ich es sehr.

Diese Entwicklung verleiht mir auch etwas Zuversicht für die Reise zu N. auf die Philippinen. Wir telefonierten heute länger, und sie nahm noch mal Bezug auf meine Bedenken (ich habe Angst unsere Beziehung zu schädigen), und wie wir damit umgehen könnten. Das hat mich sehr berührt. Es ist schon erstaunlich, wie sehr die 8 gemeinsamen Wochen in diesem Kliniksetting uns verbunden haben. Diese Verbindung ist mir sehr wichtig, diese Person ist mir sehr wichtig. Das ist etwas ganz Wertvolles, was wir da haben. Ich möchte sie und uns unbeschädigt halten. Und ich weiß mit absoluter Gewissheit, dass es ihr umgekehrt genauso geht. Das sind die besten Voraussetzungen, denke ich, und wenn wir uns noch an das erinnern, was wir in der Klinik über achtsamen Umgang und Kommunikation miteinander gelernt haben... das wird schon. I want to believe.

Diese Klinik ist das Beste, was mir passieren konnte. Es ist unglaublich, wieviel Heilung da auf einer tieferen Ebene angestoßen werden und stattfinden konnte. Der Prozess wird noch lange anhalten und nachwirken. Mit einigen anderen Ehemaligen haben wir eine gemeinsame Messenger-Gruppe und einmal monatlich ein Online Treffen. Auch das - so wertvoll.

Sobald ich an die Zeit dort denke, an die Begegnungen dort, mit anderen Patient:innen, mit Therapeut:innen; an die Wanderungen, Spaziergänge, Gespräche. An das gemeinsame Weinen, gemeinsame Lachen, gemeinsame Essen. An die geteilten Gedanken, Emotionen und Erfahrungen. An die entstandenen Verbindungen. Dann bin ich einfach nur randvoll mit Freude.

Ich bin sehr dankbar.

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Dienstag, 24. Januar 2023
Bei einem Berufstätigen-Netzwerk gesehen, dass jemand, mit dem ich vor ca. 20 Jahren in München ein Techtel-Mechtel hatte, und immer mal wieder, ich glaube, man kann sagen, ich war verliebt, mein Profil angesehen hat. Totaler Flashback, ich habe ewig nicht mehr an ihn gedacht. Sofort fällt mir sein guter Freund ein, mit dem ich damals auch etwas hatte. Also nicht gleichzeitig. Aber .. ja wahrscheinlich recht nah beieinander. Ich google ihn. Es gibt sogar ein Foto im Netz. Immer noch die gleichen weichen, braunen Augen. Das war vielleicht eine hotte Affäre. Er war glaub ich sehr verliebt in mich, ich habe alle Liebesbriefe, die ich in meinem Leben erhalten habe, aufgehoben, seinen auch, mag aber gerade nicht danach suchen.

Ich schaue mich in meinem Erwachsenen-Wohnzimmer um. Wie viele Welten liegen zwischen damals und heute. Es macht mich oft melancholisch, an diese Zeiten, insbesondere die in München, zu denken. Ich war so wild, vermeintlich frei, immer nur im Hier und Jetzt, und oft berauscht: von Liebe, Sex, und bestimmt auch Alkohol. Ich trank gerne an den Abenden. Manchmal denkt mein Ich, das heute auf der Psycho-Couch sitzt: warum habe ich nur so spät damit angefangen, den Schmerz anzukucken und auszutrauern? Und das jüngere Ich hat heute zum ersten mal sehr klar und deutlich gesagt: weil wir dann all diese Erfahrungen nicht gehabt hätten. Und klar waren die nicht immer schön - aber es war AUCH schön, den Schmerz wegzudrücken und sich mit voller Wucht ins Leben zu schmeissen. Und was soll ich sagen. Das stimmt. Ich bin die Summe meiner Erfahrungen. Je ne regrette rien.

Und ich sehne mich danach, mich mal wieder ein bisschen mehr ins Leben zu werfen.

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Montag, 23. Januar 2023
Ein friedliches Gefühl trägt mich durch den Tag.

~ Dominik Eulberg - Set "Tüpfelsumpfhuhn"


Mumzi Wumzi. <3

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Dienstag, 17. Januar 2023
Schon ein Stückl gegangen jetzt, ohne dich. Hätte nicht gedacht, dass es nach einem Jahr noch so weh tut. Gar nicht so oft trau ich mich an die ganzen Wochen und Monate vor deinem Tod zu denken, immer noch nicht. Probiere es häppchenweise. Tut weh, ist eigentlich kaum auszuhalten. Weiß gar nicht, wie ich es damals ausgehalten habe. Weil ich musste, wohl. Frage mich, wie es dann bei Mama wird, wenn es bei dir schon so arg ist, aber vielleicht ist es auch einfach ganz anders. Manchmal versuche ich mich auf Mamas Tod vorzubereiten, so wie sie es ja scheinbar auch macht. Aber es bleibt so, irgendwie, auf den Tod kann man (ich?) sich (mich?) nicht vorbereiten. Dachte damals, ich hätte schon soviel geweint in der Zeit vor dem 17., als hätte ich vorgetrauert. Aber das ist nicht so. Und eigentlich ist das bestimmt auch nicht sinnvoll, denn in der Zeit warst du ja noch da, so wie Mama noch da ist. Aber es ist schwer Wesen dabei zuzuschauen, wie sie gehen. Mir fällt es sehr schwer.

Naja ja, und jetzt bist du eben schon weg, eigentlich, so sagt man, aber ich glaube, auch das stimmt nicht. Ich weiß noch, wie oft ich während der Klinikzeit am Baumkreis saß, auf dem Hügel, auf der Bank, und immer, wenn ich dachte: so, jetzt denke ich ganz bewusst an dich, und lass die Trauer zu, dann ist der Wind in die Bäume gefahren, und es war ein großes Gerausche. Dann konnte ich weinen, und du warst da.

Ich höre manchmal immer noch deine Pfoten auf dem Laminat. Kucke, ob du in der Nähe bist, bevor ich hämmer oder sonst einen Krawall mache. Achte darauf, deine Wasserschüssel nicht umzustoßen, wenn ich zur Tür reinkomm. Und sehe dein lustiges Gesicht vor mir, du konntest so unglaublich fröhlich kucken. Vielleicht interpretieren wir Menschen aber auch einfach nur viel zu viel Menschliches in Tiere. Trotzdem könnte ich einen Riesenpack Lieblingsfutter darauf verwetten, dass du eine fröhliche Katze warst, und es ganz sicher auch noch bist.

~ Dirk Maassen - The Unforgettable




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