The guilt, the pain, the hurt, the shame
The founding fathers of our plane
That's stuck in heavy clouds of rain."
~ Wankelmut - One day
Das Bett hält mich bis 11 Uhr fest, obwohl ich mir auf 8 den Wecker gestellt habe. Eigentlich will ich in die Heimat, Mama besuchen. Aber es fällt mir schwer, immer wieder. Das Telefon klingelt, es ist mein Bruder. Er meint, ich soll doch mit Mama zu ihm und seiner Freundin kommen, wir können auf der Terrasse sitzen und Kuchen essen, bei dem tollen Wetter. Dann kommt Mama auch mal wieder raus. Mama ist nicht überschwenglich begeistert, sie sagt, heute ist es wieder ganz schlimm, aber sie freut sich dass ich komme und sie mich endlich wieder sieht. Mich selbst versieht der Vorschlag meines Bruders mit einer ordentlichen Portion Motivation und gute Laune. Also ab auf die Autobahn.
Bei ihr tolle ich mit den Katzen im Garten, während sie sich zitternd und zuckend fertig macht für unsere kleine Exkursion. Aus dem Tiefkühlfach holt sie Streuselkuchen mit Pflaumen, den hat ihr mal die Nachbarin gebacken.
Mein Bruder ist neulich mit seiner Freundin zusammengezogen, gemeinsam in eine neue Wohnung. Die Wohnung ist wunderschön, lichtdurchflutet und mit toll geschnittenen Räumen. Am meisten mag ich das helle Wohnzimmer, das direkt auf die Terrasse und zum kleinen Garten führt. Die Katze meines Bruders wirbelt um uns rum, der kleine Stinker. Ich bin so froh meinen Bruder zu sehen, und seine Freundin V. Bei den beiden fühle ich mich immer wohl.
Mein Bruder buddelt im Garten, V. kocht Kaffe und steckt den Kuchen in den Backofen. Mama sucht einen Schattenplatz und raucht. Ab und zu legt sie sich auf das Sofa im Wohnzimmer. "Das entschärft die Situation", sagt sie. Von Momenten wie diesem Nachmittag und speziellen Szenen macht mein Gehirn Schnappschüsse, völlig unbewusst, aber sie sind da und brennen sich in die Hirnhaut. Wir alle nehmen Abschied, die ganze Zeit, und das ganz automatisch, schon seit Monaten, wenn nicht Jahren, und wer weiß, für wie lange noch. Manchmal bin ich froh, dass ich diese Möglichkeit überhaupt habe, so quälend sie manchmal (nein - meistens) ist.
Auf dem Rückweg möchte Mama einen Zwischenstop beim Dis*counter machen. Ich muss auch noch Futter besorgen. Während wir uns einen Wagen holen, entdecke ich meine Tante H. väterlicherseits. Als ich auf sie zugehe merke ich, dass ihre Augen sehr verweint sind. "Wie geht es Oma?", frage ich besorgt. "Da komme ich gerade her. Ich hab die ganze Strecke hier her geweint". Meine Oma ist gerade auf Reha. Sie hatte aus dem nichts mehrere Schlaganfällge, war drei Wochen im Krankenhaus und ist nun in der 3. Reha-Woche. Papa klang das letzte mal optimistisch.
Doch als ich nun H. vor mir sehe, wird mir klar, dass der Optimismus schwindet. "Sie lag im Bett, ein Bein draußen, die Windel auf dem Fußboden. Sie war von oben bis unten mit Kot vollgeschmiert." Ich bin entsetzt. "Als die Schwestern und ich uns gefragt haben, warum denn ihre Unterlippe so dick ist, haben wir festgestellt, dass da auch Kot drin war, innen, unter der Unterlippe." In ihren Augen sammeln sich Tränen. Mama kann nicht mehr stehen, und geht schon mal in den Dis*counter. "Was ist eigentlich mit deiner Mutter?", fragt H. In der Familie wissen alle, dass es ihr schlecht geht, aber keiner weiß die Diagnose. Jetzt schon. Nun ist es an H. entsetzt zu sein.
Wir reden weiter, über unsere Mütter, über Mama und Oma, dabei geht H. langsam Richtung Eingang. Irgendwann stehen wir vor den Backwaren. "Ich weiß gar nicht, was ich hier gerade soll", sagt sie, "Mir ist gerade alles so egal." Wie auf Automatik steuert sie eine Packung Buttercroissants an und schmeißt sie in den Wagen. "Geh zu deiner Mutter", sagt sie. Ich umarme sie fest.
Auf der Autobahn. Ich fahre nach Hause. Höre Kla*ngkarr*ussel und Hel*denklang, Musik, die ich zur Zeit sehr mag. Ich liebe es im Sonnenuntergang durch das Frankenland zu fahren. Es ist zauberhaft. Die sanften Hügel, im Hintergrund einige Bergchen. Grüne Wiesen, Bäume mit grünen Blätterknospen, dazwischen immer wieder Nadelwälder. Die Sonne küsst diese Landschaft und taucht sie in ein bleiches Gold.
Zu Hause rufe ich Mama an und sage ihr, dass ich gut angekommen bin. Sie erzählt mir etwas über eine Ste*rbehilf*eorganisation in der Schweiz, das mich sprachlos und rasend vor Wut macht. Das passt nicht hier her, vielleicht passt es morgen, oder übermorgen, oder überübermorgen..
Mama hat mir heute nachträglich zum Geburtstag eine Uhr geschenkt. Und den signierten Korb. "Für Oka. Alles alles Liebe, Glück, Gesundheit, Freude, Freunde, Zufriedenheit. Deine Mama".