Donnerstag, 7. Mai 2009
Kotzen ist auch eine Lösung.
5.00 Uhr. Irrtum ausgeschlossen. Dank dem inzwischen viertätigen Nikotinentzug beschissen geschlafen, aber immerhin nicht mehr das ganze Bettzeug nassgeschwitzt. Vielleicht war ja auch zu wenig Zeit um richtig in Schwitz-Fahrt zu kommen. Immerhin bin ich erst um 23 Uhr aus der Arbeit raus.

Bis 6.08 Uhr läuft alles gut. Der Taxifahrer zum Bahnhof will nicht reden. Dass er dafür ausgerechnet Lionel Richie im Radio lauter dreht, kann ich ihm nur aufgrund seines Schweigens verzeihen.

Um 6.08 Uhr fragt er: Zug fährt um 6.18? Jo. Schaffen Sie das? Muss, muss! Und könnten Sie bitte bei dem Geldautomaten 50 Meter vorm Bahnhof halten? Dann kann ich Sie danach auch bezahlen…

6.10 Uhr. Das Taxi hält vor dem Automaten. Der Automat ist ein Arschloch und vorübergehend außer Betrieb. Der Taxifahrer flucht und rollt mit den Augen. Ich rede mit Engelszungen auf ihn ein. Schließlich kann ich ihn davon überzeugen, dass mich das Taxiunternehmen kennt und ich ihm hoch und heilig verspreche, dass er sein Geld sieht. Er gibt nach und schlägt sogar aktiv vor, mich die letzten 50 Meter zum Haupteingang des Bahnhofs zu fahren. Er erinnert sich wohl an die große Tüte im Kofferraum.

Vorm Haupteingang hieven wir gemeinsam eben jene große Tüte, in der gefühlte 5 Millionen Papiertüten und Schlüsselbänder unserer Firma sind, aus dem Taxi. Das Teil wiegt locker 8 Kilo. Ich habe noch 4 Minuten. In der einen Hand Laptoptrolly und Handtasche. Und kaum halte ich diese beschissene Tüte in der anderen Hand, reißt der eine Schnurhenkel. Ich kotze. Der Engelstaxifahrer verknotet die gerissene Schnur mit dem anderen Henkel. „Können so tragen!“ Genau! Danke!

Gleis 8 ??? Ich wetze los. Fahrkarte muss dann wohl im Zug. Die Rolltreppe runter, durch die Schiebetür, ich passiere den Aufgang zu Gleis 1. Die Henkelkonstruktion reisst. Ich möchte mich augenblicklich auf den Boden schmeissen, mit den Füßen strampeln und meine Verzweiflung in die Welt brüllen und heulen! So verlockend diese Vorstellung ist - die Umsetzung muss warten.

Ich versuche mir die monströse Tüte mit den Tüten unter den Arm zu klemmen. Drei Schritte. Wieder hochklemmen. Drei Schritte. Ich merke wie mir der Schweiss runterläuft. Ich seh wohl aus wie so ein gehetztes Tier. Die prima Fönfrisur besteht nun aus wilden Schweissnaturwellen, ich kann regelrecht fühlen wie sie sich um meinen Hals ranken. Und ich möchte kotzen, aber das ist eh klar.

Irgendwie schaffe ich es zum Aufgang von Gleis 8. Noch eine Minute. Wie komm ich mit der Tüte die Treppe hoch. Rolltreppe ist bei diesem Aufgang nich. Verzweifelt schau ich mich um. Eh klar, Oka. Da fällt jetzt der Schutzengel vom Himmel, der deine Tasche in den IC da oben beamt...

Als der Schutzengel mit dem beamen fertig ist, erntet er meinen wohl dankbarsten Blick. Keine 15 Sekunden später schließt die IC-Tür. Ich schwitze. Ich stinke. Ich rufe denjenigen an, der mich als Hostess geordert hat, und schnauze ihm auf die Mailbox. Abholservice am Bahnhof in Darmstadt mit den beschissenen Tüten. Und überhaupt. Hätt ja auch mal einer mit Auto den Scheissdreck transportieren können.

Darmstadt…. Vielleicht konnte das alles gar nicht anders laufen, schimpfe ich vor mich ihn, als ich aussteige. Laut. Die Leute glotzen. Was nun mit der drecks Tüte. Wie zum Auto des Abholers bringen. Ich brauche einen Gepäckgully. Ich lasse die Megatüte direkt am Bahnsteig stehen, wo ich aus dem Zug gestiegen bin, fahre mit dem Fahrstuhl nach oben und suche ein geeignetes Transportmittel.

Fündig geworden will ich meine Tüten einsammeln. Und finde sie nicht mehr. Wie eine Bekloppte laufe ich den Bahnsteig rauf und runter. Die Tüte ist weg. Auch das noch. Bombenalarm wegen der Dreckstüten, und ich hätte mir den ganzen Stress sparen können. Die im Zug Sitzenden beobachten schadenfroh meine einsame Neverending-Catwalkschleife mit Gepäckgully. Heidi hätte heute sicher leider kein Foto für mich.

Verzweifelt rufe ich den Kollegen an. Such weiter, bis ich dich abhol. Das ist in einer halben Stunde. Witzbold. Ums kurz zu machen: ich suchte die ganze Zeit am falschen Gleis. Um 7.45 Uhr stöckel ich in meinem Tussioutfit mit Gepäckgully und Tüten zum Auto vom Abholkollegen. Die dann folgende Bewerbermesse war mein Tod.

Scheisse und wisst ihr was? Ich hab vergessen den Taxifahrer anzurufen. Erinnert mich morgen daran! Der Tag war einfach zu lang.

 
Oh. Mann. Das klingt nach echten Leben.

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Aua... Ich hätte da zumindest auf Firmenwagen bestanden.


PS: Vergiß nicht, den Taxifahrer anzurufen ;o)

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klar...alles doof gelaufen, aber SUPER geschrieben :-)
Wirklich und wahrhaftig!
Diesen Erlebnisbericht ausdrucken und dem Taxifahrer als Andenken zukommen lassen. *g*

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