Montag, 5. April 2010
Glaube, Hoffnung, Liebe.
"Sie hat einen Osterhasen gebastelt", sagt die Stimme meines Bruders aus der Freisprecheinrichtung, 100 km bevor ich in der Heimat ankomme. "Ich hab irgendwie Berührungsängste mit ihr bekommen", weine ich in den Innenraum. "Hab keine", sagt er. Es ist meine kleine Mama, sie sitzt in der Geschlossenen, und bastelt Osterhasen. Für mein Herz ist das immer noch zuviel.

In der Zeit, die ich nicht in der Heimat bin, baue ich ein Bild von ihr auf, dass es so gar nicht gibt. Die letzten (wenigen) Telefonate waren geprägt von der Forderung "Hol mich hier raus", der Konfrontation mit unserer Überzeugung, dass sie Wahnvorstellungen hat, anhaltender Krankheitsuneinsichtigkeit, und ihr Aufknallen des Hörers.

Dazwischen zahlreiche gespräche mit Pflegern, Schwestern, der Stationsärztin. Debatten über Ausgang. Medikation. Und schwindende Hoffnung.

Am Karfreitag besuchten wir sie. Sie wirkte matt. Freudlos. Doch kaum verlassen wir die Türen und sie kann ihr Gesicht in die Sonne halten, wird sie munter. Wir bemerkten Veränderungen. Sie dreht sich nicht mehr nur um sich selbst. Stellt Fragen. Geht auf Gespräche, auf uns ein. Lässt sich ablenken. Dann erzählt sie uns aus ihrem Leben. Es ist so grauenhaft. Ich kenne vieles schon. Aber mein Bruder, so denk ich mir, der muss zur Zeit ganz schön viel auf einmal einpacken. Und wo ich das alles hinstecke, das weiß ich auch noch nicht.
Sie zurück zu bringen ist jedes mal kurios.

Als ich dann am Wochenende ihre Wohnung putze und ihre Wäsche wasche.. Gibt es Worte für diese Gefühle? Gibt es Ausdrücke für all das, was in meinem Herz und in meinem Kopf abläuft? Oder sind es tatsächlich Dinge, die sich einfach nicht beschreiben lassen. Ihre Katzen zu streicheln, die die ganze Zeit alleine sind. Die Wohnung ist unbelebt. Mama fehlt. Sie fehlt überall. Als ich das Klavier abstaube und die alten Bilder sehe, von ihrer Mutter, ihrer Familie, möchte ich sie einfach in die Tonne schmeissen. Ich bekomme so einen Hass. Wie kann sie diese Bilder dort stehen lassen. Warum quält sie sich so. "Haut ab ihr alten Geister", höre ich mich sagen.
Beim Essen weine ich und sage ihr, wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich ihr eine schöne, neue Kindheit wünschen. Sie weint. Wir weinen alle ein bisschen mehr, zur Zeit. Wobei, ich sehr wenig, für meine Verhältnisse. Meine Tränen sind kurz und wenig und tun sehr weh. Mehr geht gerade nicht.

Am Samstag bringe ich ihr Tulpen, ihre Lieblingsblumen, und ein Osternest, und eine sehr persönliche Karte. Ich streichel ihren Rücken, während sie leise weint. Wolle habe ich ihr gekauft, weil sie stricken will. Und ihre Englischbücher hat sie sich bringen lassen. Um es aufzufrischen.

In diesem Blog ist kein Platz für all die Dinge, die waren und sind. Logisch betrachtet absoluter Schwachsinn. Hier habe ich unendlich viele Seiten. Platz für so viele Zeilen. Und doch haben die Intimität und das Gewicht keinen Platz. Und meine Worte wollen hier nicht raus, nicht einmal ein Hundertstel derer, die sich in meinem Kopf formen, permanent, Tag und Nacht. Das hier sind Fragmente, die für Außenstehende sicher nicht einmal im Ansatz ein rundes Bild dessen liefern können, was ist. Das ist ansich nicht schlimm. Für mich selbst aber schon. Denn ich würde das alles gerne.. so festhalten, wie ich es erlebe, wie mein Bruder es erlebt, und wie meine Mutter es erlebt. Warum weiß ich auch nicht.

Ob ich wusste, was da kommt, in 2010, als ich mir ausgerechnet "Glaube, Hoffnung, Liebe" für 2010 ausgesucht habe. Mehr braucht es gerade nicht. Aber jedes einzelne davon verdammt arg.

 
Zwischen den Zeilen ist viel Paltz, für die, die es lesen wollen. Und mehr braucht es nicht. Außer Sie wollen das.
Viel Kraft wünsche ich.

Ich hab gestern erst wieder ein Stück Familie nach 12 Jahren zurückbekommen. Für wie lange, weiß man nicht. Aber es zählt sowieso nur das Jetzt.

Wir sind im Jahr des Tigers. Das bedeutet viel K(r)ampf. Sie machen das ganz toll. Halten Sie durch und wenn es nimmer geht, sind wir da und fangen Sie auf.

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@sid: vielen vielen Dank für alles!

Ihnen wünsche ich, dass das "neue" Stück Familie so lange wie möglich erhalten bleibt. Es ist schon merkwürdig, wenn man jünger ist, möchte man meistens so weit wie möglich von ihr weg, und irgendwann realisiert man, dass Familie so ziemlich das kostbarste ist, was man hat. Blut ist letztendlich doch dicker als Wasser. Man merkt es nicht immer, und sicher auch nicht in allen Familien, dafür wenn man Glück hat auch in einigen Freundschaften. Ich wünsche Ihnen, dass Sie das alles ordentlich genießen können, und freue mich von ganzem Herzen für Sie :-)

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Vielen Dank.
Das Wochenende brachte seelentechnisch wirklich extrem viel (unerwartete) Erholung. Zumal ich ein extremer Familienmensch bin. Aber so stückerlweise krieg ich die grad wieder zusammen.
Ich trau mich gar nicht, mich wirklich zu freuen - irgendwo lauert dann der nächste Hund...die nächste Katrastrophe, Verletzung ect.

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@sid: kann ich sehr gut nachvollziehen, das mit dem "sich nicht trauen sich zu freuen". aber ich glaube Sie wissen das auch.. letztendlich ist es all das Risiko wert! Wie Sie in dem anderen Beitrag so wunderschön gesagt haben: die kleinen Momente achten, und ein bisschen von dem Glück konservieren für dunkle Tage (die halt einfach dazu gehören, und ohne die das Glück vielleicht auch gar nicht so hell wäre). Familien. Tja. Wirklich. So viele Mikrokosmen. So viele Geschichten.

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Oh Mann...
Die Daumen sind gedrückt, auf dass das alles wird!

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Danke Ref!

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Was gar so weh tut ist glaub ich auch die Trauer um ihre Lebenswunden, und das Realisieren der Vergänglichkeit. Der Verfall. Krankheit. Wahnsinn. Verrücktsein. Älterwerden. Und dass man nicht alt sein muss, um so etwas zu erleben. Jahrgang 1952. Und sind Eltern nicht auch irgendwie unsterblich, bis ... es soweit ist? Ich hätte mir so gewünscht, dass sie wenigstens glücklich und in Ruhe altern kann. Hoffnung, Hoffnung, Hoffnung. Ich bau auf dich.

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ich wünsch dir von herzen zuversicht, kraft und dass sich alles zum guten wendet. denk an dich und bin & bleibe da. *umärmel*

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Möglicherweise kann die Weiche jetzt neu gestellt werden.

Hoffnung stirbt zuletzt. Klingt abgedroschen, ist aber so.

Gestern meinte mein Onkel auch wie unfair es ist, daß meine Großmutter schon so lange tot ist (und ich das das manchmal auch - es wär so sehr vieles in meinem Leben ganz anders gelaufen und mir erpsart geblieben... aber darüber zu weinen bringt nichts).

Nach vorne sehen, das Beste hoffen und die Hoffnung nicht aufgeben. Und auch bisserl selber was dazu tun... und manchmal auch die kleinen Momente achten und das Glück ein wenig konservieren für die dunklen Tage.

(Jahrgang 52 ist kein Alter - das stimmt...
An die Unsterblichkeit glaub ich nimmer, seit eine Schulkollegin vor über 10 Jahren beerdigt wurde. Da wird man ganz schnell in die Realität zurückgeholt.
Ich wünsche Ihrer Mutter, daß die Steine kleiner werden und sich mehr Wege öffnen.)

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am ende weiss mann, nur die hoffnung währet.

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@pappnase: indeed, indeed. und die liebe in dem fall wohl auch.

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Nach langer Zeit wieder reingestolpert und dann so viel. Zuviel manchmal, als das einer allein es stemmen könnte. Wünsche dir ganz viel Kraft und Rückhalt und Aufgefangen werden. Fühl dich ganz arg gedrückt!

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@sternchen: danke dir :-) derweil funktioniert das alles ganz gut. zum glück. fühl auch du dich feste gedrückt :-))

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die liebe gibt dir die kraft, wenn es um glaube und hoffnung mal dunkel wird. die kraft ist immer in dir, nur manchmal ist die zufuhr gestört. verzweifle nicht. am ende wirst du aus der sache gestärkt hervorgehen, weil sie von dir verlangt, dass du deine eigenen grenzen überschreitest.
wenn du jemanden brauchst, der dir zuhört, ruf an oder schreib mir. ich werde da sein.

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@c17: in der tat, die liebe. wer hätte gedacht dass ich das mal sage ;-) in dem fall ist sie aber einfach da, bedingungslos, und unerschöpflich. schon merkwürdig, ich spür die stärke schon jetzt, und viele andere dinge nehme ich soviel gelassener. es relativiert sich vieles, und ... das klingt jetzt wirklich strange.. das leben sieht soviel schöner aus. so voll. lebendig. hach vielleicht ist das auch der frühling ;-)

danke für dein angebot, ich weiß es sehr sehr zu schätzen! am liebsten würde ich dich einfach mal treffen. vielleicht schaffen wir es ja doch irgendwann. zur zeit sind halt die wochenenden so gestopft, und unvorhersehbar, vor allem die nächsten wochen. aber vielleicht in der zeit danach. das wär schön.

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im sommer ist es eh schöner. ;) da bin ich dann auch mal wieder ein bisschen länger im süden, denk ich.

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Dann machen wir nen leckeren Sommerumtrunk ;-) Sag einfach bescheid sobald du weißt, wann das in etwa sein wird.

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