Dienstag, 22. Oktober 2013
Surreal.
Surreale Momente, Gespräche und Gedanken, die mich bewegen, mir nachhaltig im Kopf rumspuken und nahe gehen, und es mag sicher merkwürdig sein, beide im gleichen Post zu erwähnen, aber vielleicht sollte ich auch mal wirklich aufhören darüber nachzudenken, was andere so alles merkwürdig finden könnten. Konventionell können die anderen. Meine Stärke ist es wohl nicht, und das muss ich auch einfach mal akzeptieren.

Das eine ist: es ist wirklich sehr surreal tagtäglich eine Stelle zu passieren, an der jemand gewaltsam sein Leben verloren hat. Früher war das meine Haus- und Hofhaltestelle, auch heute keine 500 Meter von meinem zu Hause. Aber seit ich den Firmenwagen habe, benutze ich kaum mehr die Straßenbahn, und innerstädtisch laufe ich oder fahre Rad. Zugegeben bin ich durch diese kleine Anlage schon früher nicht gern gelaufen, aber richtige Angst hatte ich nicht.

Es war nun seit diesem Vorfall schon sehr merkwürdig, täglich mit dem Auto unter dieser Brücke durchzufahren und aus einiger Entfernung die Kerzen zu sehen. Es macht mich nachdenklich, ängstlich, traurig. Jeden Tag aufs neue frage ich mich Dinge, die ich hier jetzt nicht fragen will.

Heute habe ich das Auto in die Werkstatt geben müssen, Abholung morgen. Also nahm ich die Bahn nach Hause, bis zu eben jener Haltestelle. Und es ist sehr surreal diese Schriften und Kerzen zu sehen, und zu sehen, wie alle - in der Bahn Sitzende wie Aussteigende - ihren Kopf hin zu dieser Stelle drehen. Es ist nicht so, dass es ein Grauen ist, aber es ist schon etwas sehr Greifendes, das einen dann aber doch nicht erreicht, weil es eben so... surreal ist.


Das andere ist: es ist wirklich surreal mit meiner Frauenärztin und auch mit N. über Fruchtbarkeit zu sprechen. Über die Schallmauer 35. Über Kryokonservierung von Vorkerneizellen. Darüber, dass Samenspende ja immer noch geht ("in Dänemark ist das ganz einfach", O-Ton Ärztin). Darüber, dass ich das nicht kategorisch ausschließe. Dass ich mir vieles vorstellen kann. Dass ich mir vorstellen kann auch ohne Partner ein Kind zu kriegen. Nicht jetzt. Nicht heute. Ich habe noch keinen Alarm, halte es aber für notwendig, dass ich mich ganz bewusst auseinandersetze. Damit ich nicht plötzlich mit 50 anfange zu realisieren, was ich früher hätte überdenken müssen.

Ist es jetzt soweit?, denke ich mir. Bin ich tatsächlich 33 und rede über Kinder? Wann ist das passiert? Ich fühle mich noch nicht so. Und doch ist es da. Es. Die Gedanken. Zarte Gefühle. Ängste. Bedenken. Zweifel.

Wir können uns Optionen schaffen, heutzutage. Wir haben in manchen Dingen eine manchmal mir geradezu unbegreifliche Freiheit. Ich bin froh, dass ich im heute lebe. Wir sind [Ergänzung: im Alltag!] nicht mehr angewiesen auf das andere Geschlecht [Ja klar - für Samen spenden (Mann) und empfangen (Frau) schon.] Natürlich möchte ich einem Kind nicht bewusst den Vater vorenthalten, mein Wunsch wäre es aus einer belastbaren Beziehung heraus schwanger zu werden - aber kann nicht auch ein anderer Freund männliche Bezugsperson sein? Und wieso sollte ich kein Kind haben dürfen, nur weil ich keinen Mann habe? Ich muss nicht mehr die klassische Beziehung leben mit Ehe und Monogamie. Wir sind frei! Wenn wir es wollen, und wenn wir die finden, die genauso denken. Auch ist ein Vater kein Garant für Glückseligkeit - auch nicht für das Kind. Es gibt sicher das ein oder andere Kind, dem es womöglich besser ergangen wäre, wenn es ohne Vater aufgewachsen wäre.. Aber da lehne ich mich aus Fenstern, die vielleicht auch ein Stockwerk zu hoch für mich sind.

So sind sie, diese Dinge.
Sie passieren, einfach so, auch wenn wir uns nicht bereit fühlen. Sie fragen nicht danach. Sie sind einfach. Sie schleichen sich leise rein und setzen sich fest, und manchmal beanspruchen sie dabei unglaublich viel Platz. Da zwickt es dann, sind wir doch nicht vorbereitet. Wollen doch gar keinen Raum schaffen. Und dann quetscht sich das da so rein. Unpraktisch. Ungefragt, manchmal auch völlig unerwünscht. Aber wichtig ist, dass wir den Dingen Raum geben, wenn sie so hartnäckig - wenngleich oft sehr sehr leise - anklopfen. Hinsehen. Nicht wegschauen. Hinhören. Nicht wegdrücken. Vielleicht gehen sie dann auch ganz von alleine wieder. Oder finden ihren Platz in uns.

 
"Wir sind frei."

Und damit auch ein Stück weit haltlos. Vieles ist wenig dicht, aber mit den Räumen, die entstehen, wissen wir wenig anzufangen.

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@pandora: so ist es. kenne ich selbst nur zu gut. aber es lohnt sich, sich zu trauen. hinzukucken. zuzulassen. zu wagen. zu träumen. sich nicht einreden zu lassen, dass ehe, baum, reihenhaus die erfüllung sind und keine alternativen zulassen. sich zu trauen sich selbst zu entdecken.

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Natürlich. Ich frage mich nur, was wir dann weitergeben, wenn wir uns dazu entschließen.

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@pandora: mit sicherheit andere dinge als die menschen mit ehe, baum, reihenhaus. aber wer entscheidet, was gut oder besser ist? können wir das überhaupt werten? wir können trotzdem die wichtigkeit von beziehung und bindung mitgeben - die bindung zu meinen freunden ist sicher inniger als manche ehe. vielleicht geben wir mit, dass ein kind/ ein lebewesen selbstbestimmt sein sollte. und nicht erfüllungsgehilfe für die erwartungen anderer. vielleicht geben wir ganz viel freiheit. und träume. und mit sicherheit auch liebe.

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@pandora: du glaubst jetzt aber nicht wirklich, dass wir weniger oder schlechter geben können als andere? ich bin felsenfest davon überzeugt, dass dem nicht so ist.

die ehe, baum, reihenhaus fraktion kann (auch) unreflektiert sein. unsicher, genau wie wir. oder unsicherer. es gibt dort genau die gleichen probleme. nur in einem anderen kosmos. und vielleicht mit mehr (gesellschaftlichen) zwängen.

ich weiß nicht. vielleicht ist es der wein. ich sehe gerade nicht, warum wir weniger halt geben sollten als andere. es ist eben nur ein anderer kontext.

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Mit Sicherheit nicht schlechter. Eben anders mit allen Vor-und Nachteilen und einer gewissen Arroganz, denn “so wie ihr wollen wir nicht sein “. Wer auch immer “ihr“ konkret ist. Die Frage, ob weitergeben oder nicht, wird mit nochmal drei Jahren mehr auf dem Buckel dann doch schon erschreckend konkret und nicht unbedingt leichter zu beantworten :O

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@pandora: verstehst du das als arroganz? ich wollte ganz lange so sein wie "die", und habe dann verstanden, dass ich das einfach nicht kann - egal wie sehr ich will. ich möchte mir nur nicht einreden lassen, dass ich deswegen schlechter/ ungeeigneter/ unpassender/ weniger liebe fähig bin. anders. leben und leben lassen. ich finde, arrogant sind die, die einem suggerieren, dass es eben doch so sei: dass man gestört sei/ einen schaden hätte/ beziehungsunfähig/ nicht lebefähig/ nicht liebefähig. nur weil man "deren" ideal/ vorstellung nicht entspricht. weil es für "die" daneben nichts gibt. ich finde das schade. ich frage auch nicht jedes verheiratete paar, wann die scheidung kommt. ich freue mich. wenn sie glücklich sind, das ist doch toll. aber für mich funktioniert es eben nicht. und ich wünsche mir nichts anderes als die gleiche akzeptanz - nicht arroganz.

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Sich abheben und daraus eine Tugend machen... Dieses “nirgendwo reinpassen“ kann auch jetzt noch ungeahnte Spitzen entfalten, obwohl ich weiß, das Passform längst nicht alles ist. Und wenn mir einer völlig dumm kommt und so gar nix akzeptiert...ja, dann werde ich wohl auch mal arrogant.

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@pandora: magst du das genauer erklären? ich glaube, so ganz verstehe ich es nicht.

wenn du mich als arrogant bzgl. der fraktion ehe, baum, reihenhaus verstehst: es verletzt mich, dass diese fraktion mir oft das gefühl vermittelt, unvollständig, unzulänglich, fehlerbehaftet zu sein. das trifft mich.
ich denke, emotionale wie geistige armut gibts überall. egal wie groß oder klein familien sind. eine ehe macht mich nicht zu einem besseren menschen. und ich glaube, dass ich durchaus in etwas passe. das treffe ich aber eben vielleicht nicht in der it unternehmensberatung oder deren umfeld.

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Nein, bitte nicht falsch verstehen, ich verstehe nicht andere als arrogant, sondern sehe bei mir selbst eine gewisse Arroganz, weil ich inzwischen meistens recht gut damit zurecht kommen kann, irgendwie anders zu sein und mich von der Ehe-Reihenhaus-Baumpflanz-Fraktion deutlich abhebe. Abheben im Sinne von gar nicht mehr unbedingt dazu gehören wollen, was oft als Arroganz ausgelegt wird. Aber warum sollte man irgendwo zugehörig sein wollen, wo man so oft als kaputt, unzulänglich, minderwertig, nicht richtig funktionierend betrachtet wird.... Dabei sieht's bei denen hinter den Kulissen doch oft auch gar nicht anders aus, nur die Fassade glänzt halt schöner.
Da bin ich dann gerne anders und umgeben mich lieber mit anderen Andersseienden.

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der einzige kontext, in dem ich an kinder denke, ist der der altersvorsorge. ehrlich.

so vom hach-ist-das-toll-leben-zu-schenken her denke ich nur: ohgottohgott. wenn das kind mal so unglücklich wird wie ich (was bei den genen und der es erwartenden verkorksenden erziehung mehr als wahrscheinlich ist), dann wird es mich dafür hassen, dass ich es nicht abgetrieben habe. und das möchte ich nicht. es reicht, wenn ich daneben gegangen bin. das muss nicht noch ein wesen erleben, wie das ist, wenn die welt nix für einen ist.

heute oder gestern. das ist scheißegal. obwohl ich mich anschließe und sage: väter sind entbehrlich. oft ist es besser, sie sind nicht da.

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@c17: ich kann deine gedankengänge nachvollziehen. ich selbst bin sehr unentschlossen ob ich kinder möchte - ich möchte nur gerne optionen haben und nicht irgendwann bedauern müssen. die altersvorsorge ist mir egal. das kann ich selbst (oder auch nicht).
ich glaube (außer in wenigen pulsadernaufkratzenden momenten - und die haben auch viele reihenhaustussis) daran, dass ich nicht daneben gegangen bin. genauso wenig wie du. und du weißt, dass das stimmt.

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Was das Thema "eventuell Kind" angeht, les ich grad ein bisserl Thrill zum Thema Samenspender.

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@sid: wow -ich wusste gar nicht was beckett alles so geschrieben hat. auf basis der inhaltsangabe würde ich sagen: ich bevorzuge dann wohl die anonyme samenspende ;-))))

ist das buch gut?

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Das ist eins der Bücher, die er (fast 10 Jahre) vor der Hunter-Serie geschrieben hat.
Hmm... ob das Buch gut ist, ist schwer zu beantworten.

Ich finde die Hauptfigur etwas platt und auch die Nebenfiguren sehr durchschaubar. Ich hab mich die letzten fast 200 Seiten so sehr gelangweilt, daß die letzten Tage sehr oft - statt ins Buch - einfach aus dem Fenster gesehen hab.
Aktuell kommt bisserl was in Gang. Ich wills nicht schlecht reden, aber ich denk mal: würde ers heute schreiben oder überarbeiten, hätte es hoffentlich mehr Biß.

Auf Amazon halten sich die Sterne 1-5 ziemlich die Waage, wobei die 1 Stern-Aussagen nicht von der Hand zu weisen sind. Aber ich hab ja noch paar Seiten "to read".

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Ich wusste gar nicht, dass die 35 eine Schallmauer darstellt. Ja, klar, in den gängigen Analysen ist dann von abnehmender Fruchtbarkeit die Rede, von Risikoschwangerschaften und was einem sonst noch so an die Wand gemalt wird an Menetekeln. Es mag natürlich auch an meinem fehlenden Kinderwunsch liegen, dass ich die besagte Schallmauer sehr gelassen durchbrochen habe und das berüchtigte Ticken der biologischen Uhr überhaupt nicht höre. Da ich vor keiner Entscheidung stehe, macht sie mir das Leben auch nicht schwer.

Aber ernsthaft, lass Dir noch ein bisschen Zeit. Ich weiß, wie viel Unterschied zwei, drei Jahre auch im Bezug auf das Seelenleben machen können, und mit 35, 36, 37 bist Du immer noch nicht zu alt für Kinder, ganz egal, was Dir Gynäkologen einreden. Manchmal klingen deren düstere Prognosen ja beinahe so, als mache man sich fahrlässig strafbar, wenn man einen Tag nach seinem 37. Geburtstag ein Kind empfängt, weil sie der Auffassung sind, das wird dann definitiv ein Trisomie-21-Kind oder wie auch immer. Das ist ein künstlich erzeugter Druck, den Du Dir auch nicht antun solltest.

Die Diskussion um den fehlenden Vater: Ich finde es zumindest wichtig, dass ein Kind in seinem Leben männliche Bezugspersonen hat, an denen es sich auch orientieren kann. Ob das jetzt gute Freunde, der Lebensgefährte, der Ehepartner, ein Onkel, ein Opa ist, halte ich für egal. Andererseits, wenn der Vater feststeht, dann tut man glaube ich auch gut daran, den Kontakt zwischen ihm und dem Kind zu fördern. Dazu muss man aber nicht zusammen leben. Ich glaube nur, wenn man den Vater ganz ausklammert, erlebt das Kind schon auch Defizite.

Unkonventionell zu leben, birgt natürlich immer das Risiko, dass Angehörige des Mainstreams sich daran stoßen oder einem erzählen, wie man es bitte besser machen soll. Was als unkonventionell gilt, ist dabei lediglich eine Frage des Standpunktes. Wenn die Reihenhaus-Muster-Kernfamilie in der Überzahl ist, dann ist eine freiwillig alleinerziehende Mutter sicher in der Rechtfertigungsposition (und das auszuhalten, erfordert manchmal ganz schön viel Kraft, denke ich). Umgekehrt kann es einem natürlich auch ganz schön auf den Keks gehen, wenn man zwischen den Unkonventionellen die einzige ist, die einen klassischen Weg gegangen ist. Da ist immer der Druck der Mehrheit. Entscheidend ist dabei wohl nicht, was man macht, sondern wie gesellschaftlich akzeptiert das ist.

Ich merke das immer wieder wegen meiner bewussten Entscheidung für Kinderlosigkeit. Erst am Montag fragte mich am Telefon eine andere Teilnehmerin meines Niederländisch-Kurses, ob ich denn Kinder habe, und als ich gestand, dass der Gatte und ich keine wollen, da konnte ich das Unverständnis auf der anderen Seite förmlich greifen (wenngleich besagte Frau eine ganz liebe Person ist). Da kam dann auch schnell das Argument mit der biologischen Uhr ins Spiel, aber wie erkläre ich das? Dass ich die nicht ticken höre? Dass meine Entscheidung mir weder schwer fiel noch ein flauer Kompromiss ist noch zuliebe des Gatten getroffen wurde noch irgend etwas mit Kinderhass zu tun hat? Und muss ich das überhaupt erklären?

Wichtig ist doch, herauszufinden, was für einen passt. Außerdem denke ich, sobald ein Kind im Spiel ist, ist es wichtig, zu verstehen, was für das Kind passt, denn ab dann ist man nicht mehr allein auf der Welt, sondern trägt Verantwortung. Alles bekannte Floskeln, ich weiß. Ich glaube, Kinder kommen ziemlich gut mit unkonventionellen Lebensumständen zurecht, solange man in ausreichendem und liebevollem Maß für die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse sorgt und keine komischen Geheimnisse hütet.

Ich stimme Pandora und Morphine aber auch insoweit zu, dass es wichtig ist, sich ins Bewusstsein zu rufen, was man weitergibt. "Väter sind entbehrlich!" bietet ein großes Potential an Problemen, wenn es beispielsweise irgendwann um das Selbstverständnis eines kleinen Jungen geht, der herausfinden muss, was er sein kann und will. Bis hin zu unbewusst empfundener Ablehnung Männern gegenüber, die der kleine Mann dann auch spürt. Mag sein, Väter sind entbehrlich für Mütter, aber vielleicht nicht so sehr für Kinder. Das schreibe ich jetzt nicht, weil ich so furchtbar viel halte von einem traditionellen Familienmodell (wer mich kennt, weiß das), sondern weil ich weiß, wie wichtig das Männerbild ist, das Eltern ihren Kindern vermitteln (natürlich auch das Frauenbild, aber Mütter sind ja zumindest in der Regel nach wie vor präsenter als Väter). Ich bin groß geworden mit der (meist nonverbalen) Aussage "Dein Vater ist ein Arschloch, so wie alle Männer. Aber wir brauchen ihn, denn ohne Mann kann eine Frau nicht leben!" Ich bin mir sicher, dass meine Mutter niemals die Absicht hatte, mir das zu vermitteln, aber sie hat es dennoch getan. Mit sowas sollte man sehr vorsichtig sein und unbedingt prüfen, wie die eigene Einstellung ist, ehe ein Kind kommt.

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