Montag, 7. November 2011
Milchglas.
That´s me in the corner,
that´s me in the spot-light,
losing my religion.
Trying to keep - up - you
and I don´t know if I can do it.
Oh no ,I´ve said too much,
I haven´t said enough.


Die Sonne scheint in das Sprechzimmer, ein milchiges Licht, es gleicht der kühlen Blonden mit Ra*y Ba*n Hornbrille, die uns dort empfängt. Wir sitzen in der H*N*O-Klinik Wü*rzburg, die nächste Klinik, in der Mama sich den oder die vermeintlichen Mi*kroch*ips, die da angeblich jeweils in ihren Ohren verbaut sind, entfernen lassen will.

Der Fußboden ist hässlich, alter Linoleum der sich vom Wartesaal bis durch alle Sprechzimmer zieht. Es gibt mehrere Sprechzimmer, 9 in etwa. Es hat über eine Stunde gedauert, bis unsere Nummer auf der Anzeige im Wartesaal geblinkt hat und wir zu der kühlen Blonden durften.

Sie ist jung, hat aber einen Dr., ich weiß nicht, ist sie die Assistenzärztin? Meine Mama erzählt ihr eine wilde Story von einem Klinikaufenthalt in Po*len, bei dem es Ärger gab, und seitdem "läuft das Spektakel". Sie erklärte mir vorher, dass sie das sagen würde, weil man ihr geraten habe, nicht zu erwähnen dass sie sich mit Ärzt*en in Deutsc*hland angelegt hat (was sie hat, ging ja bis vors Gericht, aber so ganz hab ichs nie verstanden). Ich schäme mich für ihre Lügen, denke mir aber, dass es auch schon egal ist, denn WODURCH das alles so ist wie sie sagt, wird für die Ärzte keine Rolle spielen.

Die Skepsis ist der kühlen Blonden ins Gesicht geschrieben. Sie sieht mich an: "Haben Sie dem etwas hinzuzufügen?" Ich lächel traurig und schüttel den Kopf. Die Unterlagen samt Dün*nschicht-C*T wird sie dem Oberarzt geben. Ich hege den Verdacht, dass sie ihm noch mehr sagen wird. Ich würde das auch.

Dann warten wir. Ich bin müde und fühle mich fiebrig. Verlebe den Tag hinter einer Milchglasscheibe, habe das Gefühl ich bin in einem Traum. Als ich das Handy aus dem entfernt geparkten Auto holen will, spüre ich, wie schwer mir das Laufen fällt. Wie schwer mir alles fällt. Wie schwer ich mich fühle.

Ich erinner mich an die Worte von Frau W. Sie meinte immer, sie kann schon daran, wie ich die Treppen zu ihr hochsteige, erkennen wie es mir geht. Sie würde jetzt wohl schon die Taschentücher richten, denke ich mir, und waber weiter hinter der Milchglasscheibe zum Parkplatz. Der Akku ist leer. Jeder.

Zurück im Wartesaal schlafe ich neben Mama ein.

Zweieinhalb Stunden später blinkt unsere Nummer erneut auf der Anzeigetafel. Wir gehen in ein neues Sprechzimmer, das genauso aussieht wie das alte.

Es sind immer alle Türen offen. Sämtliche Besprechungen und Untersuchungen mit Patienten finden bei geöffneten Türen statt. Auf dem Flur ist die Hölle los, Schwestern und Ärzte laufen umher. Irgendwo brüllt ein Kind. Gegenüber befasst sich ein Arzt umringt von 3 Arzt-/Schwesternfrauen mit den Nasennebenhöhlen eines Mannes.

"Das befremdet mich", sage ich Mama. Sie auch, sagt sie. Bisher wollte kein Arzt sich an die gewünschte OP machen. Es sei zu riskant, sagen sie.

Wir sollten hier nicht sitzen, denke ich mir. Immer wieder. Wir sollten hier einfach nicht sitzen. Wie konnte das alles passieren. Wer bin ich, und was passiert da mit meinem, unserem Leben.

Es kommt ein relativ junger Arzt zu uns ins Zimmer, gefolgt von der kühlen Blonden. Der Arzt ist attraktiv, ebenfalls mit Brille, und sehr direkt.

Er höhrt sich die Geschichte eine Weile an. Und sieht immer zu mir. Und ich kenne diesen Blick, und erwider einen, von dem ich genau weiß, dass auch er ihn erkennen wird. In stillem Einvernehmen, der Blickkontakt von zwei Menschen, die sich mit einem Schi*zophre*nen unterhalten. Mein Herz zittert, und meine Augen auch.

Er wird nicht operieren, sagt er. Das wäre Kör*perverletzung, und es wird Ihnen nicht helfen. Er schaut immer wieder zu mir, will in meinen Augen lesen, wie offen und direkt er sein darf, und ich lächel so gut es geht ermutigend.

Er sagt auch: "Sie sind krank. Aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ihre Symptome weisen zum Teil auf eine Aut*oimm*unerkrankung hin. Und zum anderen rate ich Ihnen dringend einen Ps*ychia*ter. Die Hilfe, die Sie von mir wollen, wird Ihnen nicht helfen. Egal welches Risiko mit der OP ansich einhergeht. Es wäre ein sinnloser Eingriff und somit Kör*perverletzung."

Für den Bericht an den Hausarzt befiehlt er irgendwelche Tests (im Kontext Au*toimm*un..).

"Sie will diese Hilfe nicht", sage ich ihm. Mama schaut mich an. "Das kann ich mir vorstellen", sagt er. "Weil es sinnlos ist", sagt sie.

"Ich spreche nun vor allem zu Ihnen als Tochter", sagt er, während er mir die Hand gibt, "es ist die falsche Hilfe." Ich lächel traurig. "Alles Gute", sagt mir die kühle Blonde.

Mama weint. Sie weint und sagt, dass sie so verzweifelt ist. Und ich sage: warum bist du auch so stur. Warum probierst du nicht wenigstens für ein zwei Jahre eine medikamentöse Behandlung. Weil es sinnlos ist, sagt sie wieder, aber ich beharre. Was hsat du zu verlieren, frage ich sie. Aber es ist sinnlos, sagt sie, und ich sage: wir geben die Hoffnung nicht auf, dass du irgendwann verstehst. Erwarte nicht, dass mein Bruder und ich zuschauen, wie du dir lieber das Leben nimmst, als diese eine Möglichkeit zu probieren, die einzige die dir WIRKLICH helfen kann. Was hast du zu verlieren. Was haben wir zu verlieren.

Im Auto zurück. Sie weint wieder. Im Radio läuft "Lo*sing my reli*gion". Ich fühle ihre zerbrochene Hoffnung und muss mich zusammenreissen. "Dass ihr mir nicht glaubt, macht alles noch schlimmer", sagt sie mit einem Blick wie ein verzweifelter Hund, dem man seit Jahren in den Bauch tritt.

"Das lässt mich kalt, Mama", sage ich ihr. "Du hast mir schon soviel an den Kopf geworfen."

Ich streichel ihren Oberschenkel, während ich fahre. Drücke ihre Hand. Ich fühle mich so wund. Und wünsche mir nichts mehr als endlich aufzuwachen.

[Edit] Der Arzt war Leiter eines re*nomm*ierten Im*lantatzentrums, und zeigte ihr auf seinem Monitor das Bild eines im K*opf implemen*tierten Chi*ps, das Taube wieder zum Hören bringt. Der Ch*ip war so groß wie ein Euro.