Mittwoch, 20. Dezember 2017
Vater und Tochter und Bruder und Schwester.
Auch dieses Jahr fahre ich über Weihnachten nicht in die Heimat. Vielleicht werde ich mit E. einen Tee trinken gehen, er ist Moslem und seine Familie ignoriert dieses Fest. Somit ist er einer von wenigen, der sehr flexibel Zeit hat über die Feiertage. Das mit E. ist eine Geschichte für sich, irgendwie schleicht er sich langsam in mein Herz, als ein Freund, vielleicht, ein ganz besonderer Freund. Aber ja... Weihnachten... ansonsten werde ich es alleine verbringen, und mir graut so gar nicht davor, anders als letztes Jahr.

Dennoch mache ich mir seit einigen Wochen Gedanken über Geschenke für die Familie. Also: schenke ich überhaupt? Und wenn ja, wem und was? Meine Mutter hat bereits zu ihrem Geburtstag Anfang Dezember ein Päckchen von mir erhalten. Bei ihr ist es irgendwie einfach. So wie es kurioserweise in der Gesamtsituation relativ einfach mit ihr ist.

Ich schreibe ja wenig darüber, aber es bleibt vertrackt mit der Familie, primär bzgl. meines Bruders und meines Vaters. Vielleicht, weil ich bei meiner Mutter im Zuge ihrer Krankheit viel aufgearbeitet und losgelassen habe, ganz abgesehen von den früheren Auseinandersetzungen, Reibereien und (er)klärenden Gesprächen.

Direkte Auseinandersetzungen dieser Form hatte ich mit meinem Vater und meinem Bruder nie. Im Gegenteil. Nachdem mein Vater und ich ein beschissenes Verhältnis hatten, habe ich irgendwann, vermutlich getrieben aus der Sehnsucht nach Familie und Verbundenheit, einfach beschlossen es ad acta zu legen. Es gab manchmal noch Krach oder es kam was an die Oberfläche, aber das konnten wir dann auch einigermaßen gut klären.

Seit diesem Weihnachten 2015 passt aber gar nichts mehr. Seitdem bröckelte Sandkorn für Sandkorn aus meiner so sorgsam gebauten Sandburg. Ausgerechnet eine Sandburg. Ein Wunder, dass sie überhaupt so lange gehalten hat. Eigentlich rieselt es auch nicht. Es ist eher, als käme ein anderes Kind mit Bagger und Förmchen und würde sich an der Burg vergreifen.

Was genau da passiert, und warum, das kann ich nach wie vor schwer ausmachen. Auch überrascht mich die Wucht der Emotionen meinem Bruder gegenüber. Anstoß mag sicher der Therapiestart bei meinem jetzigen Therapeuten ca. im Oktober 2015 gewesen sein. Und der macht deep dive. Sehr behutsam, mit Sorgfalt und Einfühlungsvermögen, und doch reisst es mich phasenweise von den Füßen.

Hm ja. Das ist ein ganz schön komplexes Thema, merke ich gerade. Wie komme ich jetzt zu dem was ich eigentlich schreiben will.

In der letzten Sitzung fragte mein Thera, was ich denn schenke. Ich ratlos. Setzte er mir einen Floh ins Ohr: für meinen Vater wäre doch ein Buch gut. Sowas wie: "Wo sind die Väter?" Keine Ahnung ob er das ernst gemeint hat. Aber das hat sich festgezeckt.

Da ich seither mit meinem Geschenke-Überlegungen keinen Schritt weiter gekommen bin, habe ich vor einigen Tagen angefangen Bücher zum Thema "Geschwister-" und "Vater-Tochter-" Beziehungen" zu suchen. Das erweist sich als unerwartet schwierig.

Bei den Geschwisterbüchern finden sich zum Großteil Ratgeber für Eltern, die sich mit (erwarteter oder bereits bestehender) Eifersucht zwischen ihren Kindern beschäftigen wollen. Alternativ Kinderbücher, die kindgerecht entsprechende Situationen und die damit verbundenen Emotionen thematisieren. Oder Bücher über ungleiche Geschwisterpaare, in denen z.B. ein Geschwister mit Behinderung oder schwerer Krankheit lebt.

Bücher über die Beziehung erwachsener Geschwister konnte ich bisher kaum entdecken. Die Tatsache, dass sich auch die Psychologie erst seit kurzer Zeit intensiver mit dem Thema beschäftigt mag dazu beitragen. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass es auf den ersten Blick kein riesiges Problem gibt bzw. gab in der Geschwisterbeziehung, abgesehen von einer wirklich massiven Eifersucht im Kindesalter (Kampf um echt sehr knappe Ressourcen). Und dass mein Thema vielmehr aus der damaligen Depression meiner Mutter rührt und ihrem emotionalen Missbrauch, den sie an mir ausgeübt hat und von dem mein Bruder weitestgehend verschont geblieben ist. Ich habe aber durchaus als Kind diese Ungleichbehandlung deutlich gespürt. Er vermutlich auch, wenn auch anders. Aus seiner Sicht war ich immer Mamas Liebling. Das mag auf eine Weise gestimmt haben. War aber genauso förderlich wie der Liebling des Vaters zu sein, dessen Lümmel man streicheln darf. Und das ist der Grund, warum ich nach wie vor so extrem eifersüchtig auf meinen Bruder bin. Warum sich da ein.. ja, ein Hass wieder hochgefressen hat. Weil er dieses Scheiss Päckchen so nicht mitbekommen hat. Und mir wurden diese Gefühle nie zugestanden als etwas, das natürlich und legitim ist. Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen diese Gefühle dann auf die schwächste Person zu verschieben, und nicht auf die eigentliche Quelle. Mein Kopf versteht das. Mein Herz (noch) nicht. Und mein Bruder versteht nicht, was da eigentlich los ist seit einiger Zeit.

Das einzige, das mir einigermaßen treffend scheint, wäre von Susann Sitzler - "Geschwister: die längste Beziehung des Lebens.
Allerdings lassen mich die Kritiken daran zweifeln, dass mein Bruder ein solches Buch lesen und auch durchhalten würde. Ich habe es nun gekauft und werde es selbst querlesen. Empfinde ich es als passend, wird es eben ein verspätetes Geschenk.

Ähnlich verhält es sich bei den "Vater-Tochter" Büchern. Die Suchergebnisse erschlagen einen mit „Tipps für den werdenden/ frisch gebackenen Vater“. Das ist halt ein bisschen spät, und mag zwar der Reflexion dienlich sein, aber absolut nicht das was ich suche. Noch umfangreicher sind die Suchergebnisse zu Büchern, die sich mit der Reflexion der Tochter beschäftigen. Es erscheint mir schon logisch, dass es die betroffenen Töchter sind die irgendwann aus Gründen so wie ich das Verhältnis zum Vater hinterfragen. Klar, der (abwesende) Vater hat in seinem Leben diesbezüglich ja keinen offensichtlichen Leidensdruck (außer er sucht den Kontakt und er wird ihm immer wieder verwehrt, aber diese Konstellationen lasse ich hier jetzt außen vor). Die Tochter hingegen wird spätestens dann wenn eine Beziehung nach der nächsten scheitert – hässliches Wort in dem Kontext, aber auf die Schnelle fällt mir kein anderes ein – anfangen zu suchen, woher das eigentlich kommt. Und von dort aus ist es nicht weit zur Beziehung zum Vater.

Heißt: ich mutmaße dass es so wenig Bücher darüber gibt, weil es diese abwesenden/schwachen Väter selbst eben nicht wirklich beschäftigt oder beschäftigen will, zumindest scheint kaum einer von ihnen darüber schreiben zu wollen oder solche Bücher nachzufragen. Psychologen thematisieren diese Beziehungen zwar immer wieder, aber selten aus der Perspektive Erwachsener, die sich vielleicht beide annähern wollen aber nicht wissen wie, oder mit der Frage wieso es überhaupt soweit kam. Und ob das Ende des Annäherungsprozesses dann vielleicht doch die „Trennung“ ist. Oder ein Buch das Vätern anhand unterschiedlicher Beispiele erläutert, warum sich die erwachsene Tochter nach vielen Jahren der Annäherung plötzlich sukzessive abwendet. Und was er dazu beigetragen hat. Sieht so aus als müsste ich das selbst schreiben.

Sehr spannend finde ich, dass das Thema "Mütter-Töchter" sehr viel öfter in der Literatur behandelt wird. Oder nein, nicht öfter, aber sehr viel öfter aus anderen Perspektiven oder mit anderen Ansätzen. Dieses Buch hier beispielsweise würde ich mir für Väter und Töchter wünschen, ohne es nun gelesen zu haben, aber rein von der Inhaltsbeschreibung her. Wenn doch die Relevanz der Beziehung Vater-Tochter so sehr betont wird, wieso wird diese Beziehung nicht auch auf solche Aspekte hin beleuchtet? Oder finde ich einfach nur nicht die entsprechenden Bücher?
Ich glaube mir ist nun der springende Punkt eingefallen, der mich so stört: in den Mütter-Töchter-Büchern scheint durchaus der Punkt der "Gegenseitigkeit" betrachtet zu werden. Eine gemeinsame Aufarbeitung, gegenseitige Annahme. Keine einseitige Aufarbeitung, wie sie in der Väter-Töchter-Büchern vorherrschend zu sein scheint. Liegt der Dialog mit der Mutter vermeintlich näher als der mit dem Vater? Das ist äußerst interessant, denn entspräche das ja auch dem, was ich persönlich empfinde in diesen Beziehungen. Ich schätze das Thema wird mich noch eine ganze Weile umtreiben, auch aus wissenschaftlicher Neugierde.

Tja. Mag ja auch ein doofes Geschenk sein, so ein Buch für den eigenen Vater. Aber. Einen Handkehrbesen fänd ich blöder. Und unpersönlicher.

Seelenheil ~ ... link (2 Kommentare)   ... comment