Freitag, 15. Oktober 2021
Sky and Sand.
Gestern den Abend bei Katinka gebracht. Wir redeten und redeten, die Zeit verging wie im Flug. Sie wird mir sehr fehlen, wenn ich wieder in Mannheim bin. Es ist großartig, eine so enge und langjährige Freundin direkt um die Ecke zu haben. Kennengelernt haben wir uns mit 12 Jahren, als unsere Klassen zusammen gelegt wurden. Kurz danach gingen wir gemeinsam zum Präparanden-/ Konfirmandenunterricht. Sie wohnte im Hochhaus direkt nebenan. Es entwickelte sich daraus eine innige Jugendfreundschaft, die allerdings pausierte, als ich auf die Suchtbahn rutschte. Katinka wusste damals nichts von den Drogen, wir drifteten einfach auseinander. Weil mich das Thema Sucht so beschäftigt hatte in den letzten Tagen, sprach ich es auch gestern an. Den Alkoholkonsum während der Pubertät, das was wir so erlebten. Wieso wir überhaupt Alkohol tranken, welche Funktion er für uns erfüllte (primär Schüchternheit überwinden und lustig sein wollen).

Und sie fragte nochmal nach der Zeit, in der wir getrennte Wege gingen. Sie sagte, sie wirft sich manchmal immer noch vor, dass sie damals in der Schule nicht auf mich zukam, als ich so unglaublich dünn geworden war. Sie hatte sich immer gefragt, was los ist, wollte da sein, hat sich aber nicht getraut. Das hat sie mir schon einmal erzählt, und auch gestern meinte ich, dass es vielleicht für unsere Freunschaft besser war, dass sie damals nicht den Kontakt gesucht hat. Wer weiß, wie ich reagiert, wie ich geantwortet hätte. Auf vermeintliche Hilfsangebote reagierte ich extrem allergisch, und ich konnte auch mit der gesamten Situation, in der sich unsere Freundschaft befand, überhaupt nicht umgehen. Es gibt einen Tagebucheintrag aus meiner tiefsten Drogenzeit, in dem ich über sie schreibe und wie sehr sie mir fehlt. Es war wie Liebeskummer. Doch ich war nicht in der Lage, das irgendwie zu äußern oder Handlungen daraus abzuleiten. Ich steckte mitten im großen schwarzen Loch, das ich so verzweifelt versuchte zuzuschütten.

Erst nach dem Abitur, als ich das schlimmste der Drogenexpisode hinter mir hatte und unsere Klasse an den Gardasee fuhr, fand eine winzige, leise Annäherung statt. Heute bin ich so unfassbar froh, wie sich unsere Freunschaft weiterentwickeln konnte. Es gibt neben ihr nur einen Menschen, der mir so nah ist, und das ist die N. Jugendjahre verbinden doch sehr, wenn man es schafft auch im späteren Leben den Weg gemeinsam fortzusetzen, und liegen noch so viele Kilomenter dazwischen.

Was mir, angestoßen durch das Feature, jetzt erst, nach so vielen Jahren, richtig bewusst wird, nicht nur rational, sondern auch ein Begreifen im Herzen, ist, wie krass ich russisches Roulette gespielt habe. Damals war die Schizophrenie meiner Mutter noch nicht ausgebrochen. Die Prädisposition bestand vermutlich, insofern - wer weiß? Es klingt pathetisch, doof, man möchte vielleicht die Augen rollen. Aber ich wünschte zum ersten mal, ich könnte zu meinem kleinen Ich damals reisen, es in den Arm nehmen und sagen: hey, du brauchst das nicht. Du schaffst das anders. Du bist toll, du bist stark. Leider war das Thema psychische Gesundheit damals noch nicht so präsent und die Hilfsangebote bei weitem nicht so verbreitet wie heute. Manchmal frage ich mich, wieso meinen Eltern eigentlich nichts einfiel, außer mich zum Analytiker meiner Mutter zu bringen, und das auch erst, als die Schule mit rauswurf drohte. Waren sie so überfordert? Wenn ich so darüber nachdenke, ich glaube meine Mutter hat sich einfach nur ohnmächtig gefühlt. Einmal erzählte sie mir, in einer Diskussion mit meinem Vater hätte er gesagt, ich wäre sowieso kein Suchttyp, und dass sich das von selbst regeln würde. Sie hat diese Reaktion damals ganz krank gemacht.

Seit der Drogenkonsum ans Licht kam, fragte meine Mutter jedes mal wenn ich wegging, ob ich Drogen nehmen werde. Ich antwortete immer ehrlich. Ein Schlüsselmoment war sicher, als mein Bruder mal zu mir ins Zimmer kam und fragte, wie das überhaupt sei, wenn ich Drogen nehme. Wie das ist, was da in mir ist. Nicht, weil er auch Interesse daran hätte. Sondern weil er verstehen wollte, was mit seiner Schwester passiert.

Es ist zum ersten mal in meinem Leben, dass ich von ganzem Herzen begreife, was ich mir selbst und nahen Menschen angetan habe. Auf dieser Ebene und in dieser Intensität habe ich mich mit dem damaligen Konsum nie auseinander gesetzt. Eben, weil er einfach irgendwann aufhörte, weil ich ihn nicht mehr brauchte. Es ist gut, was da jetzt gerade passiert.

Im Radio nach Hause, nichts hätte passender sein können:
~ Paul Kalkbrenner - Sky and Sand.


Seelenheil ~ ... link (2 Kommentare)   ... comment