Sonntag, 10. Oktober 2021
Triggerwarnung!

"Sie trinken, als wollten sie raus aus ihrem Leben, fliehen, wegtauchen, bloß alles vergessen. [...] Unter dieser dünnen Glitzerschicht Spaß lauert eine riesen Leere, ein Seelenloch, das vielleicht nur auszuhalten ist, wenn man es zuschüttet, sich betäubt, ausknipst, abschießt, sich die Lampe ausbläst, total entschlossen, als wenn es kein Morgen gäbe. Jedenfalls keines, das lohnt."

Gestern vorm Einschlafen (kein guter Zeitpunkt) das Deutschlandfunk Kultur Feature Koma Kicks angehört. Es ist informativ, interessant, und auch ziemlich erschreckend. Krass reingehauen hat der Beitrag bei mir ab dem Moment, in dem ein Minderjähriger im Koma auf die Kinderstation einer Notaufnahme eingeliefert wird. Schwer zu ertragen, die Situation ansich, die akkustische Breitseite des Ganzen, und das Wissen, dass während dieser Zeit Babies auf Behandlung warten. Schwer zu ertragen auch seine Aussagen am nächsten Tag.

Das hat mich so beschäftigt, dass ich nicht einschlafen konnte, und dann hat mich beschäftigt, wieso mich das so beschäftigt.

Klar war und ist Sucht ein Thema für mich. Ich kenne Sucht, hatte selbst relativ früh und über lange Zeit ein problematisches Trinkverhalten und eine Phase mit Speed und Chrystal. Ganz abgesehen von jahrelanger starker Zigaretten- bzw. Nikotinsucht. Das einleitende Zitat fasst für mich sehr gut zusammen, was unter all dem liegt. Ein riesiges Loch, das drohte mich zu verschlingen, das mir aber überhaupt nicht bewusst war. Ich hielt es unbewusst immer gut zugedeckt bzw. vollgeschüttet. Kurioserweise wurde mir damals mit chemischen Drogen überhaupt erst bewusst, DASS da ein Loch da in mir ist, und ich konnte es anschauen, ohne direkt darin unterzugehen. Inzwischen sehe ich mich nicht mehr als gefährdet was chemische Substanzen angeht, auch wenn ich weiß, dass es das nicht gibt, dass man immer Süchtiger bleibt. Ich habe weder Rauchen, Trinken noch Drogen aufgegeben, weil ich musste, sondern weil es nicht mehr funktionierte. Weil ich es nicht mehr wollte, es nicht mehr in mein Leben passte, es ausgedient hatte. Heute funktionieren die Drogen überhaupt nicht mehr. Ab und an probiere ich ja noch, das letzte mal Speed vor zwei Jahren. Es war furchtbar und alles was ich mir wünschte war, schnell wieder runter zu kommen (und das ist ja auch ätzend). Alkohol trinke ich alleine gar nicht mehr, das fing vor allem auch seit meinem Zweitstudium so an.

Neben all dem steht meine Zeit in der neuen Welt. Ich weiß nicht, wer hier während dessen mitgelesen hat. Viel kann und will ich darüber immer noch nicht sagen. Es war eine Arbeit mit Menschen mit Sucht. Während ich früher dachte, dass das Hauptproblem dort mit Sicherheit harte Drogen sind, bemerkte ich während meiner Zeit dort schnell, dass die häufigste Suchterkrankung Alkoholismus war. Dann vielleicht Cannabis und Benzos. Kokain, Ecstasy, Speed - Randerscheinungungen, oder Bestandteil bei Menschen mit polytoxer Abhängigkeit. Viele waren jung, aber nicht alle. Wenn ich die jeweilige Vita laß, konnte ich verstehen, was sie versuchen zu betäuben. Es gibt so unvorstellbares seelisches Gräuel. Mit nach Hause genommen habe ich das alles nie, nur einmal, bei einem Patienten. Die psychische Misshandlung in seiner Kindheit in diversen Pflegefamilien (Wahnsinn, man gibt Schutzbefohlene in vermeintlichen Schutz, und dabei werden sie wie ein Wanderpokal von Qual zu Qual gereicht) war so perfide, dass es mir die Sprache verschlug. Alle von ihnen hatten mindestens einen Selbstmordversuch hinter sich.

Vielleicht hat mich deswegen dieser eine Kandidat im Feature so wütend gemacht. Es macht mich traurig, weil man deutlich sieht, wohin es laufen, wo er landen kann. Und dann hätte er noch Glück, denn er wäre nicht tot. Und wieviel Arbeit es ihn und andere kosten wird, das dann hinter sich zu lassen, aus der ganzen Scheisse raus zukommen.

Mit diesem Typ Trinker/Süchtiger konnte ich mich nie identifizieren. Eine Funktion hat das aber bei uns allen, und ich sage bewusst uns, weil ich mich hier mit einschließe.

Vielleicht macht mich der Kandidat auch deswegen so wütend, oder hat mich deswegen so erschüttert, ja, erschüttert trifft es sehr gut, weil er mir ein Stück weit den Spiegel vorgehalten hat, auch wenn er so ein völlig anderer Jugendlicher ist als ich es war.

Vielleicht macht es mich traurig, wieviel Zeit ich vergeudet habe das Loch zuzuschütten. Dass ich keine geeigneten Skills hatte, um es konstruktiv anzugehen. Es ist ein Stück weit verlorene Lebenszeit, auch wenn natürlich steile, tolle Zeiten dabei waren, die ich zum Teil auch nicht würde missen wollen. Ich war immer gerne angetüddelt und auch betrunken.

Vielleicht wurde mir gestern klar, dass mein Blick in den Rückspiegel extrem rosa ist. Ich sehne mich so oft nach der Spontaneität und Wildheit der Zeit vor Mitte 30. Höhen, Tiefen, höhen Tiefen. Es hat sich lebendig angefühlt. Tatsächlich war das alles aber oft mit Alkohol kombiniert. Ich bin sehr froh in diesem Moment sagen zu können, dass ich es gut finde, wo ich jetzt stehe, und wie (nüchtern) ich da stehe, wieviel ruhiger. Dass ich das Loch ankucken kann, dass ich mir selbst immer mehr Fähigkeiten aneigne, um weiterhin immer besser damit umgehen zu können. Es füllen zu können mit wunderbaren, schönen, wertvollen Dingen, die tragen.

Ich weiß jetzt nicht, wo ich mit dem Eintrag hier hinwollte. Vermutlich zu keinem bestimmten Punkt. Ein Wort vielleicht noch zu der Drogenpolitik dieses Landes: dass es völlig legitim ist, sich mit 16 Jahren in der Öffentlichkeit besinnungslos zu saufen, teilweise mit 4 Bier in einer Sekunde via Bier-Bong, dagegen der Besitz von schon kleinen Mengen Cannabis illegal ist mit strafrechtlichen Folgen - ich verstehe es nicht. Ich verstehe es nicht, wie die Entwicklung toleriert wird, die sich da bei Kindern und Jugendlichen abzeichnet. Mir geht es nicht um ein striktes Verbot sämtlicher Substanzen. Sondern um eine progressive, effektive Sucht- und Drogenpolitik. UND um eine progressive Kinder- und Jugendpolitik für alle sozialen Schichten. Nicht zuletzt die Pandemie hat gezeigt, dass sie wirklich die letzten sind, die die Hunde beißen. Es tut mir weh, wie viele an so einer Scheisse kaputt gehen. Ich finde, wir dürfen das in dieser Form nicht zulassen.


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