Donnerstag, 22. Januar 2009
Zwischen 6 und 11
Wir sind fast alle zwei Wochen mit meinem Papa schwimmen gegangen. In verschiedene Hallenbäder. Manchmal auch ins Wellenbad. Am Ende des Beckens waren unter Wasser dicke Stahl(?)stäbe, zwischen die warscheinlich fast ein Säugling gepasst hätte. Aus diesem was-auch-immer kamen die Wellen. Ich hatte immer Angst vor diesen Stäben. Dass ich dazwischen gerate und mich das Nichts dahinter verschluckt. Aber sie faszinierten mich. Wenn kein Wellengang war, tauchte ich hinunter und sah sie mir an, starr vor Schreck.

Eine zeitlang versuchten meine Eltern nach der Scheidung, meinen Bruder und mich "in einen Kinderhort zu stecken". So sahen wir das. Nach der Schule sollten wir dahin, bis zum späten Nachmittag. Wir fanden es grauenhaft. Oft sind wir von dort ausgerissen und zu meinem Papa in die Arbeit gelaufen.

An den Abenden, an denen mein Bruder und ich bei meinem Papa übernachteten, schliefen wir im Schlafzimmer meines Papas, und er im Wohnzimmer auf der Couch. Nachdem Papa uns Gute Nacht gesagt htte, wechselten mein Bruder und ich uns damit ab, stundenlang am Fenster zu stehen und in den Wohnungen im Mietshaus gegenüber das Ein- und Ausschalten der Lichter zu beobachten. Wir sagten dann dem, der im Bett lag, "An" oder "Aus".

Einige Zeit später, und in seiner zweiten Wohnung nach der Scheidung, hatte mein Vater eine Bekannte. Eigentlich war Jutta die Bekannte meiner Eltern, schon immer. Aber irgendwann war sie meinen Vater besuchen, eines Abends. Ich war vielleicht 10. Ich hörte sie durch die Wand zum Kinderzimmer lachen, als sie im Wohnzimmer waren. Damals dachte ich, da läuft etwas. Obwohl ich sie sonst nie bei ihm sah. Es war eine rational grundlose Vermutung. Jetzt über Weihnachten fragte ich ihn, ob er damals eine Affäre mit ihr hatte. Ja, sagte er. Und war verdattert.

Vor einigen Monaten meinte mein Bruder, mein Vater hätte ihm damals, in dieser Zeit, ich kann sie nur diese Zeit nennen, leid getan. Wieso weiß er auch nicht. Und er wollte ihm von seinem Taschengeld immer Münzen für die Waschmaschine im Keller des Mietshauses geben.

Ich rede nicht oft mit meinem Bruder über die Zeit damals. Es war eine komische Zeit, diese Zeit. Und die Erinnerungen sind rar. Sie kommen derzeit oft und unerwartet, und sie fühlen sich sehr einsam an. Ich habe nicht geweint, damals.

 
Obwohl bei mir alles ganz anders war, hat mir dieses Gefühl gerade die Tränen in die Augen getrieben. Wahrscheinlich ist es diese tiefe Einsamkeit, die alle ähnlich spüren.

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@kinky: ich finde es erschreckend, dass man diese Einsamkeit noch spürt, und frage mich, ob das etwas ist, was man immer spüren wird. Vielleicht ist das auch diese Einsamkeit, von der man sich so sehr wünscht, sie würde mit einem Partner oder mit einem Umzug oder oder oder verschwinden. Vielleicht hält uns das so getrieben, so auf der Suche. Wohl wissend, dass es nicht kompensiert werden kann.

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Ich weiß nicht, woher dieses plötzliche intensive Denken an diese Zeit kommt, aber es lässt mich neugierig werden und nachfragen. Habe ich geweint, frage ich ihn. Nein, sagt er, nicht, dass ich mich erinnern könnte. Zumindest nicht aufgrund der Trennung. Dein Bruder kam offensichtlich nicht damit klar, er wurde aggressiv und hat Leute geschlagen (adr.: sofern man das mit 5 Jahren eben kann). Aber bei dir hatten wir das Gefühl, dass du das alles über deinen Kopf gemacht hast.

Er erzählt weiter: "Ich weiß auch noch, dass eure Mutter damals meinte, jeder von uns solle jeweils ein Kind nehmen. Da bin ich auf die Barrikaden, weil ich dachte, ihr zwei Geschwister seid doch das einzige, was ihr noch habt an Konstante. Ihr hattet ein Vertrauensverhältnis zueinander. Euch auch das noch zu nehmen, wäre nicht richtig gewesen.

Wir haben viel unternommen gemeinsam, wir waren schwimmen und im Zoo, Fahrradfahren und im Museum. Und wenn ich Einladungen hatte, dann meinte ich immer, entweder meine Kinder können mit, oder ich kann nicht kommen."

Für ihn ist damals eine Welt zusammengebrochen, das weiß ich heute. Damals nicht. Er träumte immer von der kleinen harmonischen Familie.

"Emotional habe ich das glaub ich aber nicht gepackt". Wie auch, meint er, in dem Alter.

Es gibt so viele Scheidungskinder. Haben viele diese Gedanken und Gefühle? Haben viele solche Probleme mit Vertrauen und dem offenlegen von Emotionen? Und mit Bindungen? Ich habe mich nie als etwas Besonderes gesehen, als ein Einzelopfer oder ähnliches. Es ist ja auch nichts besonderes mehr, es ist fast normal. Aber manchmal frage ich mich doch, ob ich denn einfach zu blöd war und bin, damit klarzukommen. Oder zu sensibel. Oder vielleicht reden andere Scheidungskinder einfach nicht darüber.

Vielleicht ist das alles aber auch gar nicht so wichtig. Es ist vergangen. Und ich stell mir die Frage, ob das denn wirklich mein Jetzt beeinflusst. Oder ob das alles an den Haaren herbei gezogen ist.

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