Sonntag, 4. Juli 2010
Sommer ist da, wo sie nicht ist.
Mit Ozonüberdosis denk ich mir, ists mal an der Zeit, kurz oder auch weniger kurz zusammen zu fassen, was eigentlich mit Muttern so passiert.

Vor ca. 3 Wochen erwähnte Brudi, dass er gemeinsam mit Muttern einen Termin beim Psychologen in der Klinik haben wird, in der sie bereits mal "eingeschlossen" war. Sie musste es ihm versprechen, denn sonst hätte er sie wieder zwangseinweisen lassen. Denn seit der Entlassung von dort konnte man dabei zusehen, wie es täglich schlimmer wird und sie immer weiter runter mit den Nerven ist.

Nun erreicht mich am Donnerstag vor zwei Wochen im Zug von Bonn zurück nach Mann*heim eine SMS vom Brudi. Muttern sei nun wieder in der Geschlossenen, weil sie nämlich zu dem Psychologentermin ist, aber alleine, weil Brudi im Krankenhaus liegt, und ob ich nicht deswegen bitte in die Heimat kommen kann, er weiss nicht, wann er entlassen wird.

Ich - ferdsch mit den Nerven. Brudi hatte bei der Rückkehr einer Arbeitsreise nach England so irre Magenkrämpfe (ohne Brechen oder Durchfall), dass Papa ihn ins Krankenhaus gefahren hat. Diagnose: Magenschleimhautentzündung, unteres Ende der Speiseröhre entzündet, Zwölfingerdarm entzündet. Unklar, ob Lebensmittel im Spiel sind oder - surprise surprise - Stress.

Mutter hat derweil beim Psychologen (wobei ich es mehr als erstaunlich finde, dass sie dort wirklich alleine auch hingegangen ist!) unter anderem ein Schreiben vorgelegt, dass sie wenige Tage davor an die Polizei und die Staatsanwaltschaft gesendet hat. Der Inhalt soll hier, wie so manche Details in der ganzen Muttergeschichte, mein Geheimnis bleiben. Aber ich kenne diesen Brief.

Der Psychologe sah sich aufgrund des Inhalts und des Zustands meiner Mutter gezwungen, einen Arzt hinzuzuziehen, der wiederum nicht lange zögerte und sie auf die Krisenstation einwies. Mutter: total zerstört. Die einzige Person, der sie in dem Laden einigermaßen vertraut hat, hat sie "verraten". Aus ihrer Sicht nachvollziehbar.

Ich weiss nicht ob ich einmal erwähnte, dass die ganze Paranoia aus der Wahnidee einer Ärzteverschwörung resultiert. Ich weiß nicht ob Sie sich vorstellen können, wie es sein mag, wenn man permanent da landet, wo man sich am meisten verraten und misshandelt fühlt. Ich weiß es nicht, und ich bin froh drüber.

Die einzigen, die ihr aus der Misere helfen können, sind Ärzte. Und die Personen, denen sie auf dieser Welt am allermeisten misstraut, und die aus ihrer Sicht Schuld an ihrer Lage sind, sind Ärzte. Ein Dilemma der größeren Art.

Ich also am Freitag in die Heimat gefahren. Erst mal Brudi noch abends im Krankenhaus besucht. Immerhin war er wieder auf den Beinen. Er liest mir SMS vor, die sie ihm seit Wochen täglich schreibt. Zustandsbeschreibungen. Wie hältst du das aus, frag ich ihn, und weine. Und er hat Tränen in den Augen, zuckt mit den Schultern, und ich weiß dass er denkt: warum bin ich wohl im Krankenhaus. Eigentlich halten wir es irgendwie nicht aus.

Am Samstag zu Muttern in die Wohnung, mit ihr telefoniert, welche Sachen ich ihr bringen soll. Katzen gefüttert. Die Katzen! Ein Thema für sich. Diese wochen lang allein Katzen. Das bringt mich auch ein bisschen zum Weinen. Und meinen Bruder zur Verzweiflung, da er als Standard-Fütterer angesehen wird, zwischen zig Geschäftsreisen, Ärger in der Arbeit, Beziehung, minimaler Freizeit und dem psychischen Stress mit Muttern. Mich wunderts, dass er noch kein Magengeschwür hat. Ich mache mir Sorgen um ihn.

Sachen gepackt und zu Mutter gefahren. Mutter hat sich so wahnsinnig gefreut mich zu sehen. Und ich mich auch, sie zu sehen. Wir sind Kaffee trinken gegangen (natürlich auf dem Gelände). Sie hat erzählt, und ich hab erzählt. Es sind so intime Momente. Egal... hier nun...

Ich habe lange mit den Pflegern gesprochen. Sie sind soviel kooperativer und entgegenkommender als die Ärzte dort (bei denen hat man immer das Gefühl, jede Frage ist eine zuviel).

Sie weisen mich wieder auf das Thema Depotspritzen hin, weil es absolut schädlich ist, wenn ein Patient immer wieder für länger dort landet, und dann zu Hause die Medikamente nicht weiternimmt. Damit verlängert sich schon nach kurzer Zeit die Dauer, bis das Medikament anfängt zu wirken, und irgendwann wird alles chronisch, und der Käse ist gegessen. Mal jetzt sehr vereinfacht ausgedrückt.

Außerdem sorgen sich alle um das Thema fehlende Krankheitseinsicht. Weil sie mit ihnen nicht über das Thema spricht. Dort tut sie so, als hätte sie gar nichts. Die Pfleger beten immer, dass ihr etwas rausrutscht. Um sie dann endlich an der Stelle zu packen (also nicht wortwörtlich). So merkt eine Schwester an, dass sie der Meinung ist, man könnte meine Mutter am ehesten über Gruppengespräche und Austausch mit ebenfalls Betroffenen "drankriegen". Das fände aber erst auf der A3 statt. Weg in der Klinik: Krise (geschlossen und mit hammer strengen Auflagen) --> A1 (geschlossen aber "lockerer") --> A3 (offene Station mit freiwilligem Aufenthalt....)

Ok ich merke es wird doch nicht kurz, sondern sehr lang. Aber egal. Es ist für mich. Um irgendwann zu wissen, was eigentlich wann und wie passiert ist, und wie das alles war.

Auf der A3 sind Patienten, die schon etwas Abstand zu der Psychose haben, und zu Einsicht tendieren oder sie bereits haben. Für mich klingt das gut. Die Schwester meint, man könnte unter Umständen sie dann auch von der A1 auf die A3 für die Gruppengespräche holen. Wäre ich dafür. Ich muss mehr mit den Pflegern reden, nehme ich mir vor. Ich sollte öfters vor Ort sein. Am Telefon ist es so verdammt schwierig.

Am Sonntag habe ich sie wieder besucht. Wir reden wieder, trinken Kaffee. Sie hält ihr Gesicht in die Sonne, süchtig nach jedem Strahl und jedem Luftzug, der ihr in den geschlossenen Räumen fehlt.

Als ich gehe, weint sie, und da brechen dann auch bei mir alle Dämme. Komm bald wieder, sagt sie, ich hab dich sehr sehr lieb. Ich dich auch, flüster ich in ihr Ohr. Die Schwester, die mir die Tür öffnen muss zum Verlassen der Station, ist diskret ein paar Meter weggegangen.

Als ich vor der Tür stehe, tritt die Schwester mit raus. "Ich kann mir vorstellen, wie schwer es sein muss", sagt sie. "Ich möchte meine Mutter auch nicht hier wissen." Da muss ich noch mehr weinen. Sie bietet mir an, dass sie immer zum Reden da ist, und dass es auch die Möglichkeit gibt, wenn Patienten wieder draussen sind, dass sie einmal in der Woche bei ihnen zu Hause nach dem rechten sieht. Und zum Schluss: "Geben Sie die Hoffnung nicht auf, auch wenn ich weiß, wie schwer das ist."

Ich bin den Pflegern einfach nur dankbar. Sie machen mir Mut, ein kleines bisschen zumindest. Stellen einen Strohhalm dar, an den ich mich so gern klammern würde.

Am Montag darauf kommt Mutter auf die A1. Ich telefoniere mit der dortigen Stationsärztin. Spreche sie auf die Gruppen an: "Ich glaube, das hat sie beim letzten mal schon mit gemacht." Ich glaube??? Was ist denn das für eine Aussage. Ich geb nichts mehr auf die Ärztin. Bei der Frage meines Bruders, ob schon mal eine CT gemacht wurde, meinte sie auch nur, dass sie davon ausgeht, und es schwer vermutet. Was zum Teufel...

Der Stationsarzt der Krise lässt mich wissen, dass Mutter in eine Depotspritze eingewilligt hat. "Aber für Krankheitseinsicht, da gibts leider keine Tabletten." Ich hoffe, dass wir sie zumindest irgendwie bei den Depotspritzen, die alle zwei Wochen gegeben werden müssen, halten können.

In einer Woche wollen mein Bruder und ich einen Termin mit der doofen Stationsärztin. Denn wir erfahren von denen nix, werden wieder nicht involviert, alles läuft irgendwie. Das kann so nicht sein. Wir brauchen einen Plan.

Jetzt im Moment sehe ich nur, wie toll das Wetter ist. Ich habe erst vorhin wieder mit ihr telefoniert. Immerhin ist unser Verhältnis sehr eng (wenn man die Distanz weglässt. Nicht die räumliche. Aber diesen Punkt kann ich sehr sehr schwer in Worte fassen. Nein eigentlich gar nicht. Das ist ein Gefühl ohne Worte).

Bei jedem Deutschlandspiel fiebert meine Mama mit wie ein Weltmeister. Sie wäre so gerne draußen, würde schwimmen gehen, radfahren. Sich mit den jubelnden Massen freuen. Es ist, als würde man einen Löwen aus dem Okavango-Delta in den Zoo sperren. Ihre relativ ruhige Verfassung irritiert mich. Und sie tröstet sich mit: wenigstens darf ich inzwischen jeden Tag zwei mal eine Stunde alleine raus.

Und fragt uns, ob wir nicht veranlassen können, dass sie auf eine offene Station kommt.

Das alles. Irritiert mich. Diese ungebrochene Uneinsichtigkeit. Gepaart mit dem Hinnehmen. Da ist kein "ich will sofort hier raus" mehr. Sondern ein: "vielleicht kann ich auf die offene Station". Ich weiss nicht, ob es mich irgendwie beruhigt. Irgendwie macht es mich sehr traurig.






Samstag, 5. Juni 2010
Eigentlich wollte ich heute Abend vielleicht der Einladung des Klavierlehrers folgen, er ist mit ein paar Leuten am Neckarufer. Aber dann überkommen mich so alte Unsicherheiten. Was, wenn die mich doof finden. Und ich bin nicht gegangen. Ja, sagen Sie nichts.

Stattdessen habe ich mit meiner Mutter telefoniert. Zum ersten mal seit Wochen. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. Sie sieht keine Zukunft, fühlt sich perspektivlos. Will mir Links senden, die sie recherchiert hat, was heutzutage alles möglich ist, medizinisch. Zwecks anzapfen und so. Ich will sie nicht lesen, sage ich.

Ihr Hausarzt will sich bei seinem Bruder schlaumachen, der sei beim Militär. Das sei nun ihre letzte Hoffnung. Ich weiß nicht, was das soll. Was denkt sich dieser Vollidiot von Arzt dabei?? Dem möcht ich ja echt zu gern eins in die Fresse schlagen.

Wenn sie immer mit fester Stimme sagt: bitte, du musst mir glauben! Ich habe keinen an der Waffel, ich verliere auch nicht den Verstand! Ich habe keine Wahnvorstellungen, ich bin nicht paranoid! Bitte, du musst mir glauben!

Und dann folgt diese schwere Stille, hinter mir tickt die Küchenuhr, und ich fange an zu weinen. Deswegen rede ich mit dir gar nicht gern darüber, sagt sie. Weil ich zum einen fühle, dass du mir nicht glaubst, und zum anderen, weil ich merke, wie traurig es dich macht, wie sehr es dich belastet. Wann kommst du endlich mal wieder hier her?

Dass ich dir nicht glaube, hat nichts mit meiner Liebe zu dir zu tun. Ich werde immer hinter dir stehen, egal was ist. Das müsst ihr auch, sagt sie. Ihr müsst hinter mir stehen.

Ich liebe sie so sehr. Liebster Gott, du bist so unfair, sage ich zum Küchenfenster. So verschissen unfair. Ich will meine Mama zurück.

Warum finde ich keine verdammte Selbsthilfegruppe, die sich entweder an den Tagen trifft, an denen ich nicht in Bonn bin, oder in Bonn zu Zeiten, die Arbeitnehmer wahr nehmen können, die keinen 9 to 5 Job haben. Ich könnte kotzen. Rini habe ich auch schon auf die Suche angesetzt, aber sie findet auch nicht mehr.

Meine Frau W. meinte, dass das unabdingbar für mich sei, weil ich eben so gar nicht damit klar komme. Ich spüre mit jedem Tag mehr was sie meint. Am schlimmsten ist dieser Zwispalt zwischen: ich will ganz nah bei ihr sein, ihr helfen, für sie da sein. Bei Mama sein, und: geh weg. Ich will es nicht hören. Ich kann es nicht hören. Hör auf. Hör auf diese Scheisse zu labern. Verpiss dich, ich pack das nicht.

Heute Nacht werde ich wieder träumen, dass sie vor mir steht, und mich damit konfrontiert, warum ich sie öffentlich blossstelle. Das ist immer so nach den Blogeinträgen. Aber ich weiss sonst nicht wohin damit. Klar sind meine Freunde da, aber sie sind kein Ersatz für eine Gruppe. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Und ich weiß es auch nicht.






Donnerstag, 27. Mai 2010
Tears don't lie.
Der Erstkontakt nach Wochen, auf eine Mail die ich ihr schrieb:

Hallo, mein Liebes,

vielen Dank für deine ganze liebe Mail. Schön von dir zu hören und dass es dir in B*onn gut gefällt.

Mir geht es nicht gut. Ich hoffe sehr, es kommen mal bessere Zeiten. Bin z. Z. sehr verzweifelt, aber ich möchte dich auch nicht so sehr damit belasten.

Lass es dir gut gehen. Pass gut auf dich auf. Gott schütz dich.
Liebe Grüße
Mama


Und genau mit sowas komm ich überhaupt nicht klar. Einfach gar nicht. Ich meine wirklich: gar nicht. Gar nicht.

hopelessly I'll love you endlessly
hopelessly I'll give you everything
but I won't give you up
I won't let you down
and I won't leave you falling
If the moment ever comes

[PS] Am Freitag Termin bei Frau W.. Geht nicht mehr ohne, gerade.







Freitag, 14. Mai 2010
Gestern einen sehr schönen und lustigen Abend mit den Theaterleuten und dem Klavierengel verbracht. Ich werde nicht schlau aus ihm, und seinem Wunsch mich zu küssen, so überhaupt nicht.... Aber ich habe keine Lust mehr, mir viele Gedanken darüber zu machen. Ich genieße die Zeit mit der Truppe einfach unheimlich.

Heute große Katerstimmung, aber alles prima. Morgen Abend geht es dann bis Sonntag weg zum Probenwochenende. Das gestern soll wohl schon mal ein Vorgeschmack gewesen sein - ich hoffe nicht, denn wie sollen wir sonst proben ;-)


Mit Brudi telefoniert. Er meint es wird Zeit für die nächste (Zwangs)einweisung. Details konnte er mir nicht erzählen, weil er nicht alleine war. Er will sie wenn sie aus dem Urlaub zurück ist, vor die Wahlstellen, dass sie entweder freiwillig mit ihm mitkommt, oder er den Notdienst ruft. Diesmal will er dabei nicht allein sein. Ich werde kommen, natürlich. Inzwischen ist "in die Heimat" fahren immer mit einem großen Schmerz verbunden. Und Angst.

Meine Träume sind immer noch brutal und gnadenlos. Letzte Nacht im Suff geträumt, dass mein Vater auch noch irgendein Problem hat, ich erinner mich nicht welches. Nur daran, dass ich dastehe und mich krümme und weine und es so wahnsinnige Schmerzen sind, wie ich sie glaub ich noch nie tatsächlich gespürt habe, und dass ich glaube daran zu zerbrechen. Ich wache mit Herzrasen auf.

Irgendwann davor in dieser Woche geträumt, meine Mutter hätte neben dem Wahn auch noch ein Alkoholproblem. Der Mensch, als der sie mir in den Träumen begegnet, macht mir Angst und lässt mich verzweifeln und zerbrechen an Traurigkeit. Das Aufwachen ist immer eine Erlösung.

Habe ein wahnsinniges Problem mit dem Thema "Verlust".






Samstag, 1. Mai 2010
Muttern dreht immer mehr ab. Das CIA ist jetzt auch involviert, und sie sieht farbige Punkte, die ... ach was weiß ich was in ihr auslösen. Natürlich über "DIE" gesteuert. Und Vernetzungen überall, in den Füßen, und sonst wo. Brudi erzählte es mir bevor V. kam. Ich selbst trau mich nicht mehr sie anzurufen. Am besten geht es mir, wenn ich es weit von mir schiebe, und es nur leicht im Unterbewusstsein simmert. Sie betont weiterhin die Suizidgedanken, dass sie alles dafür besorgt hat, und sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch steht, und sie die Katzen einschläfern lassen will. Aber erstmal fährt sie eine Woche nach Südtirol. Was ich dazu denke? Stellen Sie sich das Nichts in seiner ganzen Größe vor, das alles Mögliche, das Gesamte, beinhaltet.

Manchmal sitze ich in der Küche, sehe raus in die Frühlingsnacht, betrachte die kleinen Lichterketten auf dem Balkon gegenüber, fühle mich leicht und entspannt, alles geht seinen Gang, und dann sag ich mir: deine Mutter hat paranoide Schizophrenie. Und dann denk ich mir: das kann doch nicht sein. Das ist alles vielleicht gar nicht real. Nicht wahr. Dabei ist es das realste von allem.






Mittwoch, 21. April 2010
Unendlichkeitstagefresser.
Vielleicht sollte ich einen Unendlichkeitstagesfresser machen, nach dem von Frau Sid empfohlenen Prinzip, für eine mögliche Krankheitseinsicht meiner Mutter. Aber wo fängt man da an? Bei 365? Optimistisch.

Vorhin 1 Stunde Telefonat. Sie war sehr froh, dass ich angerufen habe, es ging ihr psychisch nicht so gut. Seit gestern Abend ist sie entlassen (für sie: zum Glück. für uns: scheisse). Sie redete wieder von einem Traumatologen, und soviel von der Vergangenheit, ihrer Kindheit. Ansonsten ist alles uneingeschränkt beim alten. Die Ärzteverschwörung, die Überwachung, alles.

Mein Bruder freut sich auf den nächsten Termin morgen beim Psycho-Edukationskurs. Ich hätte nie gedacht, dass er das so gut annimmt, und sich dort so wohl fühlen würde. "Endlich Menschen, mit denen ich mich austauschen kann, die ich fragen kann."

Ja und ich hier in Bonn. Es gefällt mir. Bonn ist hübsch, das Hotel in der Altstadt, der Projektleiter sehr sympathisch. Bin gespannt wie es sich in den nächsten Wochen entwickelt. Aber nen Psycho-Edukationskurs hätt ich auch gern. Nach dem Telefonat mit Mama helfen nur noch ein Telefonat mit LeSchwe kombiniert mit Hefeweizen.






Montag, 19. April 2010
Muss ja auch mal runter gehen.
Ein wechselhaftes Wochenende, durchzogen von ziemlich bescheidenen Nachrichten und einer. Ich weiß nicht. Traurigkeit? Niedergeschlagenheit?

Am Samstag versucht die LeSchwe aufzubauen, weil absehbar war, dass ihr Sonntagsflug nach Shang*hai zu ihrem Freund, der dort 6 Monate ist, gecancelt wird. Haben deswegen einen AAT (absichtlich assi Tag) eingelegt, mit mittags Biertrinken im Auto auf dem Parkplatz des Einkaufscenters gestartet, dann eine "Asch*emon*ster"-B*ild gekauft, ein Sixpack, und viele Zigaretten. In hässlichsten Klamotten an den Rhein um dort das Asch*emon*ster bis zum Sonnenuntergang zu dissen. Naja. Hat nix geholfen, nur der Stimmung. Immerhin.

Abends zusammen gekocht. Währenddessen blöderweise auf Fa*ceb. gewesen. Tolle offizielle Statusmeldung vom kleinen Arschloch Professor entdeckt. Er ist jetzt in einer Beziehung mit der anderen Oka. Was für ne beschissene Blinkerbeziehung. Eigentlich weiß ich gar nicht, wer mir von den beiden mehr leid tut. Mein Traum von neulich fällt mir ein. Merkwürdig. LeSchwe brauchte nicht mehr viele Argumente um mich davon zu überzeugen, die Verbindung zu kappen und endlich alle sms und Nummern zu löschen. War noch versucht den Status vor dem Löschen zu kommentieren. LeSchwe hat zum Glück interveniert. Bei LeSchwe geschlafen. Unruhige Seelen sind zu zweit immerhin ruhiger als allein.

Heute haben wir versucht mein Fahrrad zu flicken. Waren sehr stolz auf uns, haben alles geschafft, bis es daran ging, das Loch im Schlauch zu entdecken. Nix gesehen. Wieder alles montiert. Aufgepumpt. War uns dann aber zu riskant. Irgendwas stimmt da ja nicht, wenn Luft rausgeht, ohne dass mans merkt. Also mit Auto in den Biergarten. Umfeld hat Stimmung nicht gehoben. Latent aggressiv, wir beide. Irgendwie. Also gegenüber anderen. Nicht gegenseitig. Kann man ja aber auch nix für, wenn man sich so umhört und -sieht.

LeSchwe will meinen Traumprinz suchen. Wo ist er, frag ich sie. Was ist falsch mit mir. Sie meint, vor einem Jahr hätte sie gesagt, meine emotionale Stabilität bzw. Instabilität. Die sieht sie jetzt aber auch nicht mehr gegeben. Nix sei falsch mit mir. Ich bin müde, ich bin die Affären müde. Die ONS. Alles. Ich fühl mich so partnerlos. Ich hab die Schnauze voll vom allein sein. Warum kann Spasti immer zu seiner blöden Ex zurück? Und warum bin ich nicht so bescheuert und schmerzresistent?

Vorhin ruft dann noch Brudi an. Mutter hat Wochenende gut überstanden. Hat gestern zu Hause ihre Medikamente nicht genommen. "Wozu denn?" Es ist hoffnungslos. Hat mir ne sms geschrieben, ob ich mit ihr Anfang Mai nach Südtirol fahre. Lust hätte ich schon, aber mit dem Projekt wird das wohl nichts.
Brudi erzählt, dass alles beim alten ist. Die Wohnung videoüberwacht, sie wird diese "Sache" weiterverfolgen, ... während des Telefonats überkommt mich unglaubliche Müdigkeit. Ich bin so müde. Brudi glaubt, er muss Mutter bald anschreien. Kann ich verstehen. Mir fehlt die Energie dafür.

[Edit] Sehr bezeichnend für meine Stimmung: die Luft ist wieder raus aus dem Schlauch, und keiner weiß, warum. Wie im wahren Leben.

[Edit2] Ach ja. Und Brudi erzählte auch.. er fragte Mutter, wie sie sich das denn vorstellt, wenn sie jetzt am Montag wirklich aus der Klinik entlassen wird und wieder in ihre angeblich überwachte Wohnung, in ihr überwachtes Leben zurückkehrt. Die Antwort: "Naja, das kann ich jetzt eh nicht ändern. Ich werde "denen" weiter nachgehen. Muss halt mal sehen, wielang ichs noch aushalt". Wir deuten es beide gleich.

Ich kann nicht soviel essen, wie ich kotzen möchte. Echt. Und B*onn kommt mir nach wie vor reichlich unglegen.






Samstag, 17. April 2010
Dieses Wochenende darf sie nach Hause und dort auch übernachten. So wie es aussieht, wird sie nach dem Wochenende dann auch entlassen. Der Arzt meinte gegenüber meinem Bruder: "Eigentlich haben wir [die Ärzte] versagt." Das sehe ich nicht so.

Sie erzählt ihnen nichts. Gar nichts. Ein Grund für die Unterbringung ist nicht mehr gegeben. Sie macht einen guten Eindruck soweit. Ihre Medikamente wird sie nach Einschätzung aller Seiten nicht weiternehmen. Wir können also nur warten. Auch die Ärzte. Gegen Zwangsmaßnahmen haben wir uns alle ausgesprochen da kontraproduktiv. Ob und in welchem Ausmaß sie aktuell noch von ihren Wahnideen überzeugt ist, weiß niemand, auch mein Bruder und ich nicht, wobei wir davon ausgehen, dass sie noch vorhanden sind.

Meine Träume sind inzwischen zum Ventil geworden. Es hat mich gewundert, dass es so lange gedauert hat, ich habe erst vor einigen Nächten angefangen davon zu träumen, nun aber von Nacht zu Nacht heftiger.

Letzte Nacht war ganz schlimm. Ich träumte ich sei bei einer Art Premiere eines Theaterstücks, kombiniert mit Film. Das eigentliche Thema weiß ich nicht mehr. Meine Mutter und ich suchen uns im übervollen Saal einen Platz, es ist nur in der Reihe ganz vorne etwas frei. Das Publikum besteht zum Großteil aus Menschen die wir kennen (im Traum. In Wirklichkeit irgendwie nicht so viele). Schon beim Platzsuchen mit ihr spüre ich, dass ich peinlich berührt bin. Ich glaube, es ist Scham. Oder Angst, dass sie etwas unvorhergesehenes tun wird (ich vermute daher auch beim jetzigen Niederschreiben das instinktiv distanziertere "Mutter").

Die Vorstellung beginnt, jemand steht auf der Bühne, spricht. Im Hintergrund läuft auf einer riesen Leinwand ein Film, bzw. eher Bildersequenzen. Plötzlich ist da mein Blog. Auf der megagroßen Leinwand wird mein Blog gezeigt. Mit meinen Aufzeichnungen über die letzten Wochen. Mir gefriert das Blut in den Adern (bisher wusste ich gar nicht, dass es sich tatsächlich so anfühlen kann), ich sterbe innerlich, und hoffe inständig, dass meine Mutter nicht anfängt zu lesen was da steht und sich bzw. uns wiedererkennt.

Nun kommen Bilder zu der Frau, der das Blog gehört. Es sind Kinderbilder. Sie ist (so habe ich es tatsächlich empfunden) ein wunderschönes Kind. Es zeigt sie in einem taubengrauen Nachthemd mit weißem Kragen, und auf den Kragen ist ihr Name gestickt (ich weiß schon in diesem Moment, dass es das eine Bild von mir in meinem Kinderzimmer zeigt, auch wenn ich in Wirklichkeit ein weißes Nachthemd mit meinem Namen trage). Mein Herz krampft und droht auszusetzen.

Ich spüre, wie sich der Kopf meiner Mutter wie in Zeitlupe zu mir umdreht. Aus ihren Augen spricht die reine Enttäuschung und Verzweiflung, und Scham, weil nun alle wissen, was mit ihr los ist, und weil ich darüber erzählt habe.

Der Saal tobt, die Vorstellung ist ein irrer Erfolg. Ich stecke meine Faust in meinen Mund und krümme mich, weil ich gar nicht weiß wohin mit all dem Schmerz, über die Krankheit, und das Bloßstellen, und alle Leute stehen nicht bei uns, sondern sie sind sensationsgeil und zelebrieren sich auf unsere Kosten. All unsere Bekannten in der Heimat. Wir sind verraten. Unser Schmerz und unsere Scham fallen ihnen überhaupt nicht auf. Sie nehmen uns schon gar nicht mehr wahr. Es gibt nur noch sie.

Plötzlich wird mir klar, dass ich auch an diesem Abend ein taubengraues Kleid trage, aber es ist sehr eng, und darunter schwarze Leggins und High Heels. Diese Frau ist auch wunderschön, denke ich mir gerade. Aber nur die in dem Traum.

Ich wache mit Herzrasen auf, und als ich wieder einschlafe, träume ich von einer Reise mit jemandem (dem kleinen Professor?) und wir treffen auf dieser Reise eine gute Freundin von mir (die erkenn ich aber wirklich nicht) und sie und er gehen vor mir miteinander um, als wären sie ein Paar, ständig, als wär ich gar nicht da. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach gehe. Diese Dreierbeziehung bleibt bestehen, aber eigentlich bin ich außen vor. Ein Störfaktor. Und ich versuche beide zu schlagen, aber ich bringe nie die Kraft auf, die ich gerne hätte, und treffe auch nicht richtig, so dass es eher lachhaft ist. Und ich bin innerlich rasend vor Wut, und versuche die Schläge zu steigern, doch es gelingt mir einfach nicht. Alle Energie bleibt schon im Ansatz stecken.

Ich wache wieder mit Herzrasen auf, und frag mich, warum ich eigentlich noch schlafe.

Die Spieluhr in ihr ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment





Donnerstag, 15. April 2010
Und heute kommen endlich auch wieder die Tränen. Danke Frau F. Für mein Abi, und das Leben danch, für die Möglichkeiten. Man sieht sich immer 2x im Leben. Spätestens nächsten Mittwoch. Vielleicht können wir uns nun diesmal gegenseitig helfen.




Er ist der ehemalige Nachbar des kleinen Professors. Er ist Assistenzarzt in der Psychiatrie der Umgebung und wohnt in der Nähe der Alt*ten Feuer*wache. Eigentlich wollten wir zum Poe*tr Sl*am, aber das war ausverkauft. So fanden wir uns in einer Kneipe wieder.

Mein Bruder ruft in der Zwischenzeit an. Er war beim ersten Termin des Psycho-Edukation-Kurses des APKs Bayern. Es hat ihm gut getan. Aber. Meine Mathematiklehrerin aus der 12. Klasse Mathe Grundkurs ist auch dabei. Wegen ihrer Tochter. Ich vermute wegen der, die mit mir in einer Klasse war. Der Nachname meines Bruders ist falsch geschrieben. Sie korrigiert den Namen. Die eine Tochter hat Wahnvorstellungen. Die Frau hat in Kombination mit Wieland mein Abitur gerettet.

Das Leben ist klein in seiner Größe. Am Ufer des Neckar graßen die Schwäne. Als ich 6 Stunden später nach Hause laufe verbergen sie ihre edlen Köpfe in ihrem Gefieder.

Ich liebe das alles hier. Mit und trotz allem. Wie kann man so am Leben hängen. Gute Nacht.

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