Sonntag, 4. Juli 2010
Sommer ist da, wo sie nicht ist.
Mit Ozonüberdosis denk ich mir, ists mal an der Zeit, kurz oder auch weniger kurz zusammen zu fassen, was eigentlich mit Muttern so passiert.

Vor ca. 3 Wochen erwähnte Brudi, dass er gemeinsam mit Muttern einen Termin beim Psychologen in der Klinik haben wird, in der sie bereits mal "eingeschlossen" war. Sie musste es ihm versprechen, denn sonst hätte er sie wieder zwangseinweisen lassen. Denn seit der Entlassung von dort konnte man dabei zusehen, wie es täglich schlimmer wird und sie immer weiter runter mit den Nerven ist.

Nun erreicht mich am Donnerstag vor zwei Wochen im Zug von Bonn zurück nach Mann*heim eine SMS vom Brudi. Muttern sei nun wieder in der Geschlossenen, weil sie nämlich zu dem Psychologentermin ist, aber alleine, weil Brudi im Krankenhaus liegt, und ob ich nicht deswegen bitte in die Heimat kommen kann, er weiss nicht, wann er entlassen wird.

Ich - ferdsch mit den Nerven. Brudi hatte bei der Rückkehr einer Arbeitsreise nach England so irre Magenkrämpfe (ohne Brechen oder Durchfall), dass Papa ihn ins Krankenhaus gefahren hat. Diagnose: Magenschleimhautentzündung, unteres Ende der Speiseröhre entzündet, Zwölfingerdarm entzündet. Unklar, ob Lebensmittel im Spiel sind oder - surprise surprise - Stress.

Mutter hat derweil beim Psychologen (wobei ich es mehr als erstaunlich finde, dass sie dort wirklich alleine auch hingegangen ist!) unter anderem ein Schreiben vorgelegt, dass sie wenige Tage davor an die Polizei und die Staatsanwaltschaft gesendet hat. Der Inhalt soll hier, wie so manche Details in der ganzen Muttergeschichte, mein Geheimnis bleiben. Aber ich kenne diesen Brief.

Der Psychologe sah sich aufgrund des Inhalts und des Zustands meiner Mutter gezwungen, einen Arzt hinzuzuziehen, der wiederum nicht lange zögerte und sie auf die Krisenstation einwies. Mutter: total zerstört. Die einzige Person, der sie in dem Laden einigermaßen vertraut hat, hat sie "verraten". Aus ihrer Sicht nachvollziehbar.

Ich weiss nicht ob ich einmal erwähnte, dass die ganze Paranoia aus der Wahnidee einer Ärzteverschwörung resultiert. Ich weiß nicht ob Sie sich vorstellen können, wie es sein mag, wenn man permanent da landet, wo man sich am meisten verraten und misshandelt fühlt. Ich weiß es nicht, und ich bin froh drüber.

Die einzigen, die ihr aus der Misere helfen können, sind Ärzte. Und die Personen, denen sie auf dieser Welt am allermeisten misstraut, und die aus ihrer Sicht Schuld an ihrer Lage sind, sind Ärzte. Ein Dilemma der größeren Art.

Ich also am Freitag in die Heimat gefahren. Erst mal Brudi noch abends im Krankenhaus besucht. Immerhin war er wieder auf den Beinen. Er liest mir SMS vor, die sie ihm seit Wochen täglich schreibt. Zustandsbeschreibungen. Wie hältst du das aus, frag ich ihn, und weine. Und er hat Tränen in den Augen, zuckt mit den Schultern, und ich weiß dass er denkt: warum bin ich wohl im Krankenhaus. Eigentlich halten wir es irgendwie nicht aus.

Am Samstag zu Muttern in die Wohnung, mit ihr telefoniert, welche Sachen ich ihr bringen soll. Katzen gefüttert. Die Katzen! Ein Thema für sich. Diese wochen lang allein Katzen. Das bringt mich auch ein bisschen zum Weinen. Und meinen Bruder zur Verzweiflung, da er als Standard-Fütterer angesehen wird, zwischen zig Geschäftsreisen, Ärger in der Arbeit, Beziehung, minimaler Freizeit und dem psychischen Stress mit Muttern. Mich wunderts, dass er noch kein Magengeschwür hat. Ich mache mir Sorgen um ihn.

Sachen gepackt und zu Mutter gefahren. Mutter hat sich so wahnsinnig gefreut mich zu sehen. Und ich mich auch, sie zu sehen. Wir sind Kaffee trinken gegangen (natürlich auf dem Gelände). Sie hat erzählt, und ich hab erzählt. Es sind so intime Momente. Egal... hier nun...

Ich habe lange mit den Pflegern gesprochen. Sie sind soviel kooperativer und entgegenkommender als die Ärzte dort (bei denen hat man immer das Gefühl, jede Frage ist eine zuviel).

Sie weisen mich wieder auf das Thema Depotspritzen hin, weil es absolut schädlich ist, wenn ein Patient immer wieder für länger dort landet, und dann zu Hause die Medikamente nicht weiternimmt. Damit verlängert sich schon nach kurzer Zeit die Dauer, bis das Medikament anfängt zu wirken, und irgendwann wird alles chronisch, und der Käse ist gegessen. Mal jetzt sehr vereinfacht ausgedrückt.

Außerdem sorgen sich alle um das Thema fehlende Krankheitseinsicht. Weil sie mit ihnen nicht über das Thema spricht. Dort tut sie so, als hätte sie gar nichts. Die Pfleger beten immer, dass ihr etwas rausrutscht. Um sie dann endlich an der Stelle zu packen (also nicht wortwörtlich). So merkt eine Schwester an, dass sie der Meinung ist, man könnte meine Mutter am ehesten über Gruppengespräche und Austausch mit ebenfalls Betroffenen "drankriegen". Das fände aber erst auf der A3 statt. Weg in der Klinik: Krise (geschlossen und mit hammer strengen Auflagen) --> A1 (geschlossen aber "lockerer") --> A3 (offene Station mit freiwilligem Aufenthalt....)

Ok ich merke es wird doch nicht kurz, sondern sehr lang. Aber egal. Es ist für mich. Um irgendwann zu wissen, was eigentlich wann und wie passiert ist, und wie das alles war.

Auf der A3 sind Patienten, die schon etwas Abstand zu der Psychose haben, und zu Einsicht tendieren oder sie bereits haben. Für mich klingt das gut. Die Schwester meint, man könnte unter Umständen sie dann auch von der A1 auf die A3 für die Gruppengespräche holen. Wäre ich dafür. Ich muss mehr mit den Pflegern reden, nehme ich mir vor. Ich sollte öfters vor Ort sein. Am Telefon ist es so verdammt schwierig.

Am Sonntag habe ich sie wieder besucht. Wir reden wieder, trinken Kaffee. Sie hält ihr Gesicht in die Sonne, süchtig nach jedem Strahl und jedem Luftzug, der ihr in den geschlossenen Räumen fehlt.

Als ich gehe, weint sie, und da brechen dann auch bei mir alle Dämme. Komm bald wieder, sagt sie, ich hab dich sehr sehr lieb. Ich dich auch, flüster ich in ihr Ohr. Die Schwester, die mir die Tür öffnen muss zum Verlassen der Station, ist diskret ein paar Meter weggegangen.

Als ich vor der Tür stehe, tritt die Schwester mit raus. "Ich kann mir vorstellen, wie schwer es sein muss", sagt sie. "Ich möchte meine Mutter auch nicht hier wissen." Da muss ich noch mehr weinen. Sie bietet mir an, dass sie immer zum Reden da ist, und dass es auch die Möglichkeit gibt, wenn Patienten wieder draussen sind, dass sie einmal in der Woche bei ihnen zu Hause nach dem rechten sieht. Und zum Schluss: "Geben Sie die Hoffnung nicht auf, auch wenn ich weiß, wie schwer das ist."

Ich bin den Pflegern einfach nur dankbar. Sie machen mir Mut, ein kleines bisschen zumindest. Stellen einen Strohhalm dar, an den ich mich so gern klammern würde.

Am Montag darauf kommt Mutter auf die A1. Ich telefoniere mit der dortigen Stationsärztin. Spreche sie auf die Gruppen an: "Ich glaube, das hat sie beim letzten mal schon mit gemacht." Ich glaube??? Was ist denn das für eine Aussage. Ich geb nichts mehr auf die Ärztin. Bei der Frage meines Bruders, ob schon mal eine CT gemacht wurde, meinte sie auch nur, dass sie davon ausgeht, und es schwer vermutet. Was zum Teufel...

Der Stationsarzt der Krise lässt mich wissen, dass Mutter in eine Depotspritze eingewilligt hat. "Aber für Krankheitseinsicht, da gibts leider keine Tabletten." Ich hoffe, dass wir sie zumindest irgendwie bei den Depotspritzen, die alle zwei Wochen gegeben werden müssen, halten können.

In einer Woche wollen mein Bruder und ich einen Termin mit der doofen Stationsärztin. Denn wir erfahren von denen nix, werden wieder nicht involviert, alles läuft irgendwie. Das kann so nicht sein. Wir brauchen einen Plan.

Jetzt im Moment sehe ich nur, wie toll das Wetter ist. Ich habe erst vorhin wieder mit ihr telefoniert. Immerhin ist unser Verhältnis sehr eng (wenn man die Distanz weglässt. Nicht die räumliche. Aber diesen Punkt kann ich sehr sehr schwer in Worte fassen. Nein eigentlich gar nicht. Das ist ein Gefühl ohne Worte).

Bei jedem Deutschlandspiel fiebert meine Mama mit wie ein Weltmeister. Sie wäre so gerne draußen, würde schwimmen gehen, radfahren. Sich mit den jubelnden Massen freuen. Es ist, als würde man einen Löwen aus dem Okavango-Delta in den Zoo sperren. Ihre relativ ruhige Verfassung irritiert mich. Und sie tröstet sich mit: wenigstens darf ich inzwischen jeden Tag zwei mal eine Stunde alleine raus.

Und fragt uns, ob wir nicht veranlassen können, dass sie auf eine offene Station kommt.

Das alles. Irritiert mich. Diese ungebrochene Uneinsichtigkeit. Gepaart mit dem Hinnehmen. Da ist kein "ich will sofort hier raus" mehr. Sondern ein: "vielleicht kann ich auf die offene Station". Ich weiss nicht, ob es mich irgendwie beruhigt. Irgendwie macht es mich sehr traurig.




Badesee, Biergarten, brima Schbiel.

In Rheinland-Pfalz und auch in Heidelberg soll es geschüttet haben. Wir haben nix gemerkt.

Es wird einfach nicht kühler. Es ist zu heiss. Bei aller Liebe, und ja, Winter will ich auch nich zurück. Aber ich möchte wie ein Hund hecheln. Ich hab Ozon.




Was hätt ichs ihnen gegönnt. Mir blutet schon ein bisschen das Herz.

Aus dem Leben ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment