Donnerstag, 31. Dezember 2020
2020 - ein unstrukturierter und vermutlich auch ziemlich unvollständiger Blick aufs Jahr.
Dies hier ist ohne jede Ordnung, nicht chronologisch, nicht nach Situation oder Bedeutung. Sondern so, wie es eben gerade rauskommt.

Mein 40. Geburtstag, gerade noch so gefeiert am 7.3. mit Reiserückkehrern aus Australien, Taiwan und Thailand sowie Gästen aus Österreich. Rückblickend betrachtet totaler Wahnsinn. Nie hätte ich da für möglich gehalten, dass ein Virus die ganze Welt über Monate, vielleicht eher Jahre hinweg im wahrsten Sinne des Wortes in Atem hält. Dass Nordseeinseln geräumt und ich von Sylt ausgewiesen werde. Dass wir zweimal Varianten eines Lockdowns vor uns haben. Dass Deutschland die Wirtschaft runterfahren kann. Dass ich Angst vor Begegnung, vor Umarmung haben werde. Dass ich an Silvester um 19:45 Uhr eine 2-Personen-Feier verlasse um aufgrund einer Ausgangssperre um 20 Uhr zu Hause zu sein - zu einer Uhrzeit, für die ich meine Mutter während meiner Pubertät ausgelacht hätte - und das in einer Nacht, in der es ein nationales Böllerverbot gibt - und dass ich das gar nicht mal so schlecht finde.

Meine letzte Klausur im Bachelor. Meine letzte Seminararbeit. Alle Leistungen erbracht, nur noch die BA steht an.

Sylt. Wunderbares Sylt. Wind, Dünengras, Watt, Meeresrauschen, Wellen, Möwen, Vögel, Gaumengenüsse, einsame Strände.

Verliebt. Seit langer Zeit mal wieder. Leider nur bis zum ersten Kuss. Aber: verliebt durch den ersten Lockdown und den Sommeranfang.

Radfahren, Badesee. Mango-Eis. Bier am Kanal.

Laute Nächte im JuBu, nicht nur die Sonne brennt, sondern auch die Luft. Die Polizei hat nachts Dauerseinsatz und leider nicht nur wegen Ruhestörung. Nach dem ersten Lockdown sind die Menschen ausgehungert. Wie mag der nächste Sommer aussehen?

Beruhigung in der erzwungenen Ruhe finden. Yoga wurde sehr fester Bestandteil des Alltags in einer ganz anderen Häufigkeit und Relevanz.

Besuch bei dem F. am Arsch der Heide an der Grenze zu Frankreich und Wochen danach der Beschluss, ihn (vorerst?) aus meinem Leben ziehen zu lassen. Da schließt sich direkt die immer wiederkehrenden Situationen mit der F. an. Ich mag nicht mehr meine Energie auf Menschen und Beziehungen lenken, die toxisch oder nahe daran sind. Ich halte mich für eine sehr loyale Person, die Menschen tief in ihr Herz schließt und lange an ihnen festhält, auch wenn es nicht rund läuft oder anstrengend ist. Aber auch ich habe Grenzen, und so habe ich in den letzten Tagen beschlossen, auch die F. mental und emotional ziehen zu lassen, wenn auch ohne offiziellen Schlussstrich.

Ebenfalls gehen lassen musste ich einen Kommillitonin, von deren Forderungen ich mich hart abgrenzen musste, worauf hin sie jeglichen Kontakt abgebrochen hat. Allein das spricht schon Bände.

Dafür kamen ganz tolle Menschen in mein Leben.
Die S., deren Mutter dieses Jahr verstarb und die ihre Traurigkeit mit mir teilen konnte. Das hat uns sehr nahe gebracht. Einen Großteil der Zeit haben wir auf ihrem Balkon verbracht, weinend, lachend, Tauben mit Spritzpistolen abschießend, die Sonne genießend.
Und die L., die ich seit letztem Jahr kenne, und mit der es in diesem Jahr zu einer schrittweisen Annäherung kam, so ein feines Wesen. Sie fragte mich jüngst, ob ich mit ihr eine WG gründen möchte. Ich glaube, das möchte ich nicht, auch wenn sie wohl eine der wenigen Menschen wäre, mit denen ich mich das nochmal trauen würde.
Der K., der leider als der schlechteste Küsser den ich jemals geküsst habe in die Geschichte eingeht (und ich habe sehr sehr viele Frösche und Prinzen geküsst). Aber ein aufrichtiges Herz hat er, und vereint die tolle Kombination in sich, dass man mit ihm sowohl ernsthafte, tiefere Gespräche führen als auch wunderbar keinen drauf machen kann. Mit ihm hatte ich die legendärste Nacht des Jahres, unter anderem in einer legendären Bar, von der ich mich am nächsten Morgen aber doch wunderte, warum sie überhaupt noch auf haben durfte. Ich bin froh, dass wir nach unserer Verliebtheit und einer Weile der Ruhe wieder gemeinsam Zeit verbringen können.

Die Video-Sessions während des ersten Lockdowns mit der Österreich-Connection LeSchwe & Co, über die K. und ich uns kennenlernten.

Die Filmtage. Die Zeit mit Katinka.
Hof im Herbst, Spaziergänge am farbenprächtigen Theresienstein. Klare Luft. Freude am Sein.

Der Besuch bei den Freunden im Taunus in einer Phase, in der es halbwegs passabel erschien.

Mein Vater, der mich das erste mal überhaupt seit ich zu Hause ausgezogen bin, alleine besucht hat. Das hat mir Angst gemacht, aber es war sehr schön.

Ich glaube ich kann sagen, dass ich meine Beziehungen trotz oder wegen der Corona-bedingten Situation intensiviert, vertieft habe. Das ist schön. Ich lerne etwas über Nähe und meine eigenen Päckchen besser im Beziehungsgeflecht einzuordnen. Das hilft, mir und dem Gegenüber.

Das Jahr war großenteils gut zu mir, und ich schäme mich fast ein bisschen, das so sagen zu können. Ja, ich hatte durchaus schon aufregendere Jahre. Aber ich hatte auch echt schon beschissenere. Ich lernte in der Ruhe und Stille anzukommen, umarmte das zeitweise auch sehr. Es fehlte ein bisschen das Salz in der Suppe, aber was für ein Luxus, das sagen zu können.

Es ist, als hätte ich nach Jahren der Hast und des Auspowerns nun ein Jahr der Einkehr und Pause gehabt, in dem ich mich meinen Standpunkt prüfen, mich festigen konnte in der Ausrichtung, einmal mehr Bestätigung finden konnte in dem was ich anstrebe mit dem Studium. Man könnte sagen: ein Jahr, in dem ich sehen konnte, das es gut ist, wie es ist, dass es gut ist, wo ich gerade stehe, dass ich auf dem Weg bin. Dass ich diesen Weg weitergehen und das ausbauen möchte, was ich dieses Jahr für mich mitnehmen konnte, an Ruhe, an Stille, an Beziehung und Begegnung, an Fokus und zunehmender Gelassenheit.

Das klingt gerade alles so positiv. Und doch gab es auch eine sehr einschneidende Erfahrung. Das Buch "Ein wenig Leben" hat meine dunkelsten Punkte getriggert, in Kombination mit den Umständen, die diese Pandemie eben auch mit sich bringt, die Momente, in denen ich die Schattenseiten so stark spüre. Einsamkeit, hinterfragen des Lebensmodells, der Lebensweise, Traurigkeit, Verzweiflung. Verlassenheit. Ich erinner mich noch genau, wie ich mit dem V. in Ludwigshafen vor einem Restaurant am Rhein saß, beim zweiten Glas Wein, und aus dem Nichts anfing abgrundtief zu schluchzen, so sehr, dass die Bediendung fragte, ob alles okay sei. Was ich da spüre und denke, dieses schwarze Loch, das möchte ich hier nicht teilen. Aber so sehr dieses Jahr mir das schwarze Loch aufgezeigt hat, so sehr hat es mir auch geholfen mir Kompetenzen anzueignen damit umzugehen, langsam, vielleicht, besser, irgendwann. Für den Herbst 2021 habe ich einen Platz in einer Klinik. Auch das gibt Halt und Richtung.

Derweil übe ich mich in Annehmen, Zu- und Loslassen und sage Danke, dass ich so privilegiert durch dieses Jahr gekommen bin. Wahrscheinlich lesen sich meine einzelnen Beitrage in 2020 ganz anders, gar nicht so optimistisch und positiv. Ich weiß es nicht, wäre mal interessant zu wissen. Letztendlich freue ich mich einfach, dass ich so versöhnlich Tschüss zu 2020 sagen kann.

Allen, vor allem denen, die es in 2020 gebeutelt hat, in welcher Form und aus welchen Gründen auch immer, wünsche ich einen guten Rutsch und von Herzen das Beste für 2021. <3

Aus dem Leben ~ ... link (0 Kommentare)   ... comment