Sonntag, 26. Mai 2019
Wahltagsimpressionen
Schon auf den Straßen ist spürbar, dass es kein gewöhnlicher Sonntag ist. Mehr Menschen unterwegs als sonst in diesem Viertel, wo sonntags eher ganztägig kollektives Rauschausschlafen angesagt ist. In der Wahlhalle ist gut was los. Viele junge Menschen. Das ist natürlich auch kiezbedingt, stimmt mich aber dennoch froh und optimistisch.

In der Schlange für den Einwurf in die Urne stehen zwei meiner Nachbarn, Mutter und Tochter. Sie stammen aus Bulgarien. Mit der Kommunalwahl scheint alles zu klappen. Allerdings findet man sie nicht im Wahlverzeichnis für die Europawahl. Eine Wahlhelferin erläutert, wie es dazu vermutlich kam: um zu vermeiden, dass Menschen die aus anderen Ländern stammen in beiden Ländern wählen, hier eben z.B. in Deutschland und Bulgarien, hätten sie bis zum 15.5. beantragen müssen, dass sie in Deutschland wählen. Die beiden müssten eine Benachrichtigung per Post erhalten haben. Ratlose Gesichter. Total doof, die beiden sind enttäuscht, ich ärgere mich mit ihnen. Wie oft passiert so etwas wohl? Wie viele Stimmen werden unbeabsichtigt nicht abgegeben?

Wieder zu Hause. Von meinem Fenster aus sehe ich ein interessantes Trio: einen Polizisten und eine Polizistin und eine Ente. Die Polizisten bewegen sich vom Gehweg in Richtung Kanal. Die Ente flitzt in gebührendem Abstand hinter ihnen her, scheinbar aufgebracht. Erst als die Polizisten sich am Kanal in die Böschung begeben sehe ich, dass sie einen Karton dabei haben. Vermutlich Entenkinder. Als ich mich zu der Truppe geselle, schwimmen die Entenbabies schon wiedervereint mit ihrer Entenmama in Ufernähe. Von rechts nähert sich der scheinbar zugehörige Entenvater. Happy End.

Meine Mutter hat in den letzten Tagen versucht mich zu erreichen. Heute fühle ich mich bereit mir ihr zu sprechen. Wir haben ein entspanntes Gespräch, bis ich sie frage, ob sie schon wählen war. Stille am anderen Ende der Leitung. "Mama???" Vom anderen Ende ein langezogenes "Hmmmmmmmmmm"" "Mama sag mir jetzt nicht, dass du nicht wählen gehst." Gequältes Stöhnen. "Mama das sind jetzt echt nicht mehr die Zeiten in denen wir uns das leisten können. Es geht um Europa, um unsere Zukunft. Wenn du jetzt nicht wählen gehst, ist das eine Stimme für die Falschen. Das willst du doch selber nicht!" "Natürlich nicht... mein Knie tut nur so weh.." "Frag G., ob sie dich fahren kann. Bitte Mama, versprich mir das du wählen gehst. Mir total egal welcher kleinen Partei du deine Stimme gibst, den Grauen Panthern oder der Tierschutzpartei, oder was weiß ich, aber BITTE geh wählen." "Damit du jetzt aufhörst zu reden verspreche ich es dir. Ich gehe wählen." Wir prüfen noch, welche der für sie akzeptablen Parteien zur Wahl stehen. Um ihr Wahlgeheimnis zu schützen, gebe ich das hier nicht preis. Aber ich bin erleichtert - und hoffe dass sie ihr Versprechen hält.

Ph. und ich haben über den Tag verteilt Sprachnachrichten-Kontakt, und ich erzähle ihm von dem Muttergespräch. "Bist du jetzt Wahlpolitesse?" "Findest du es denn in Ordnung nicht wählen zu gehen?" "Ich finde es total wichtig, wählen zu gehen, hab das aber früher, als ich jünger war, nicht unbedingt für so wichtig gehalten. Aber im Alter sollte man schon mal verstanden haben, dass es wichtig ist." Meine Mutter war NIE unpolitisch, im Gegenteil. Deswegen bin ich doch sehr erstaunt gewesen über ihre Wahlverweigerung.

Mal sehen. Ich bin schon bisschen aufgeregt.

[Edit] Muttertier klang danach fast ein bisschen stolz, dass sie doch noch hin ist.

 
Hier gab ein Minister (den es nu nimmer gibt) bekannt, daß man absichtlich solche und andre Informationen sehr kurz halte...


Ich hatte nämlich vor paar Wochen die Situation mit "wie ist das mit den EU-Ausländern und der Wahl grad".
Da waren wir aber schon nach der Frist - und der Ärger, nun gut, ist zum Glück nicht meiner.
Trotzdem verständlich.

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@sid: ja, sehr verständlich. Das ist ja frech dass diese Infos kurz gehalten werden. Ja, klar hätten sie ganz genau in ihre gesamte Post durchschauen müssen, aber phu... also in dem Punkt fände ich lieber zuviel Info besser als zuwenig.

LeSchwe konnte leider auch nicht wählen: sie hatten die Wahlunterlagen für AT beantragt, aber irgendwas läuft da schief mit dem Nachsendeauftrag, und irgendwie hat man sie in AT wohl noch nicht richtig registriert. Sie regt sich unglaublich auf.

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Bei uns gabs keine Infos. Draufgekommen sind wir (Kunde & ich), als ich vom Anschlag im Haus sprach und er den mal suchen ging. Aber wenn der mal hängt, ists quasi mit der Registrierung schon zu spät...

Nun ja - Nachsendeantrag bei unterschreibungspflichtigen Unterlagen - schwierige Sache.

Ich kenne nur diese Meldung (verspätet).


Bin ja gespannt, obs vermehrt Einspruch geben wird.
Ich kenn auch eine Handvoll, die aus posttechnischen Gründen NICHT teilnehmen konnten.
Aber die wirds irgendwie immer geben... Da braucht man nur auf Weltreise und nicht rechtzeitig (registriert) in der Nähe von einer Botschaft oder einem Konsulat sein.

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