Freitag, 11. Dezember 2020
LL Tag 40: kick it.
Ab morgen haben wir in BaWü 'harten' Lockdown. Ich weiß gar nicht mehr genau, wann man von einem harten Lockdown spricht. Also der Einzelhandel hat auf. Ich darf mich mit bis zu 4 Personen aus einem weiteren Haushalt treffen. Das ist immer so doof als Single (meistens läuft es in den letzten Monaten auf 1+1 hinaus in meinem Fall), aber okay.

Menschen die sehr empfindlich auf mögliche Infektionsketten reagieren, sollten hier nun aufhören zu lesen [das würde mich normalerweise einschließen, aber jetzt bin ich diejenige die schreibt, also... noja]

Gestern reiste mein Vater aus dem Risikogebiet Bayern an. Franken mögen nun ihre eigene Sicht der Dinge haben. Angesichts der Kontakthistorie meiner letzten Wochen ist es wahrscheinlicher dass er das Virus nach MA bringt, als dass ich es nach HO schicke. Ich war/bin etwas angespannt, v.a. seit heute Morgen, aber dazu später mehr. Auch die persönliche Covid-Familiengeschichte einer Mannheimer Autorin hat mich sehr nachdenklich und noch ängstlicher gemacht. Es ist so anstrengend ständig kognitiv abzuwägen, und in 99% der Fälle habe ich mich in den letzten Monaten für die restriktive Variante entschieden.

Wann mein Vater und ich das letzte mal über einen längeren Zeitraum allein waren, das kann ich nur erahnen, und ich denke es war, als ich noch im Abi-Modus und zu Hause lebend war. Es hat also wirklich etwas historisches. Vielleicht auch existenzielles. Es riecht nach: er möchte seinen Frieden machen. Dementsprechend nervös war ich angesichts unserer gemeinsamen Historie. Wider Erwarten war es sehr schön. Wir erledigten gemeinsam ganz viele Dinge für meine Wohnung, was mein Wohnerlebnis um einiges steigerte. Unter anderem statteten wir dem örtlichen Ikea einen Besuch ab, für Umtausch und Neubeschaffung, ich bin sehr froh dass wir dort an einem Donnerstag Nachmittag waren, denn die Käuferschaft war echt mehr als überschaubar. Heute dann Galerieschiene und Bilder sowie Feuermelder anbringen, Balkontür ölen, Plätzchen backen. Es waren sehr anstrengende aber schöne 24 Stunden mit ihm. Heute Nachmittag fuhr er zurück in die Heimat.

Doch heute Morgen rief mein Bruder an. Die Frau seines Kumpels sei Corona-positiv, sie arbeitet im Altenheim und hat sich dort angesteckt. Wann hat mein Bruder den Kumpel zuletzt gesehen, frage ich. Mein Vater meint, letzte Woche. Oh nein. Am Dienstag war mein Bruder beim Geburtstag meiner Mutter (also: meine Mutter, mein Bruder und seine Frau). Am Mittwoch, also vorgestern, war mein Bruder bei meinem Vater. Mein Bruder hat wohl direkt einen Test gemacht. Hoffen wir das Beste.
Außerdem ist eine befreundete Familie meines Bruders kompett positiv: Vater, Mutter und zwei Kinder zwischen 3 und 5 Jahre. Wann haben sie die denn zuletzt gesehen??? Sie haben wohl seit einiger Zeit nur telefonisch Kontakt, so mein Vater. Mhmhmhm. Mein Bruder sei da sehr vorsichtig, sagt mein Vater. Ja, antworte ich, mag sein. Hilft aber nix, wenn ein Teil der Partnerschaft nicht vorsichtig ist. Schweigen. Es wundert mich nicht, dass die Zahlen in der Heimat explodieren... "Sie ziehen sich nun zurück", sagt mein Vater. Wow, jetzt. Toll. Wie gesagt. Fingers crossed.

Gestern wurde dann in den Nachrichten der harte Lockdwon für BaWü angekündigt. Ich sprach K. dem schlechte Küsser (schrieb ich darüber eigentlich, mein Frühlings-Date? Egal.) auf die Mailbox, dass wir unsere Weinwanderung dann heute machen müssen. Wenn nicht jetzt, wann dann. Ich muss mal sagen, es kotzt mich schon sehr an, dass ich mich mehr oder weniger strikt an die Regelungen halte, seit Monaten, abgesehen von dem Bar-Ausrutscher, über den ich schrieb, und dass trotzdem die Zahlen weiter steigen. Man kommt sich einfach ein bisschen scheisse vor. Aber wie sagte K.: "du bist gesund, und weißt warum, und du hast niemanden angesteckt, und weißt warum." Das stimmt. Und das ist gut.

Wir trafen uns um 19 Uhr mit der Absicht, dass jeder ausgangssperre-gemäßg um 21 Uhr zuhause ist. Wir haben SO viel gelacht. So viel. Es war herrlich. Wo wir waren mag ich nicht sagen. Nur sehr vereinzelt begegneten uns andere Menschen. Leider haben wir uns völlig vertan, was die Laufzeiten anging, weil wir beide primär Radfahrer sind. Auf dem Rückweg, "niemals wird uns hier die Polizei filzen", trafen wir die Polizei, zwei Sekunden nachdem ich meinte: kkkkkkkk, ich muss pinkeln!!!" "Ja dann ist das hier aber mit Publikum...."

In dem Moment erkannten wir, dass Jesus aus dem Gestrüpp an der Böschung getreten war, und dass die Polizisten sich auf ihn eingeschossen hatten. Ihn, den armen Kerl mit langen schwarzen Haaren und inzwischen leerer Döner-Tüte. Dazu stießen wir, K. und ich, mit ausgestreckten Armen, jeder trug stolz einen Plastikbecher mit Weißwein vor sich her und war ziemlich hacke. Es war eigentlich völlig offensichtlich, dass nicht Jesus das Problem ist, sondern eher noch wir.

"Muahaha, genau, Sie kommen jetzt alleine vom Ufer, mit dieser leeren Tüte, von dort unten, wo sich immer so viele Jugendliche wegballern." Erdrückende Stille um uns rum. Keine weggeballerten Jugendlichen. Die Polizisten leuchten dem dunkelhaarigen Jesus ins Gesicht. "Ja ich war da nur." ... "Jaja genau... muahhahaha...." Die Polizisten kucken uns an. Ich fühle mich in Erklärungsnot. "Wir kennen ihn nicht!!! Wir kommen von da hinten, und wollen zum Schloss, und wir haben uns da hinten in der einen Biegung vertan, und alles dauerte länger...." ... ich gestikuliere wild mit meinem halbvollen Weinbecher, Wein schwappt über meine Handschuhe. Die Polizisten reden weiter mit Jesus. Jesus fragt etwas verstört: "Also jetzt muss ich noch mal fragen: ist es wirklich illegal, dass ich abends allein mit einem Döner am Fluss sitze?" Die Polizisten kucken auf die Uhr. "20.50 Uhr. Also noch nicht. Aber gleich. Also ja eigentlich schon." Der dunkelhaarige Jesus ist sichtbar verstört.

K. sagt, dass wir angesichts der fortgeschrittenen Stunde nun wirklich weiter müssen, denn wir müssen schließlich noch nach Mannheim. "Sie sind bereits in Mannheim, das wissen Sie, ja?" fragt die Polizistin und wendet sich doch Jesus zu. Während ich versuche Jesus gegenüber der Polizei zu verteidigen [ey das ist doch total okay wenn jemand bis kurz vor 21 Uhr sein Döner am Fluss essen will], nickt K. beflissen und macht vermutlich den einzig richtigen Move und zieht weiter. "Oka jetzt lauf einfach, mach hinne und freu dich, dass sie sich auf Jesus eingeschossen haben, die ficken uns sonst, und keiner von uns kann sich ausweisen." Derweil höre ich, wie Jesus die Polizisten fragt, ob sie ihm kurz helfen können, und hält ihnen sein Handy unter die Nase. Wie schnell es sich verschiebt, welche Situationen man als Kick empfindet, und oh ja, ich bin ein Abenteurer in der Warteschleife.

Wir torkeln durch die Quadrate, als wir uns trennen ist es fast 21:30 Uhr, 30 Minuten nach Nachtausgangssperre, wir trennen uns kurz vorm Programmkino und fühlen uns etwas bekickt und doch auch nervös und mit dem Hauch eines schlechten Gewissens. Aber ich glaube auch nicht, dass zwei Personen an der frischen Luft mit ausreichend Abstand zu den Pandemietreibern gehören. Hoffentlich.

ZDF RKI: 29.875 [27.978] neue Corona-Infektionen - des sieht nach exponentiell aus.
Verstorbene: 598 Menschen. Hammas jetzt? Bitte cancelt doch endlich den scheiss Weihnachts-Betrieb.
Sieben-Tage-R-Wert: 1,03
Indizenzwert Mannheim 246,3 [250,1],
Ludwigshafen 394,2 [388,4]
Hof Stadt 429,9 [427,7] bzw. Land 284,8 [283,8]
[in eckigen Klammern die ZEIT Online Daten, die direkt aus den Städten und Landkreisen stammen]


~ Hans Moser - I kann mein Schlüsselloch net finden"




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