Dienstag, 8. Dezember 2020
LL Tag 37: Being sent to Coventry.
Bevor ich über meine nasalen Belange jammer, ist es mir sehr wichtig festzuhalten, dass heute die erste Person außerhalb einer Studie den Impfstoff von Pfizer-Bi*NTech erhalten hat. Wichtig ist mir das nicht nur aufgrund der Tatsache ansich, sondern weil es ausgerechnet in Coventry stattgefunden hat.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich damals nach einem Auslandspraktikum suchte, ich weiß nur: in diesem Studiengang war es Pflicht, also fackelte ich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr lange und nahm was da kam. Und das war: bei einem kleinen, sehr kleinen und gar nicht so wichtigen Automobilzulieferer in Coventry. So klein, dass er während meiner Zeit dort pleite ging, aber ich führe das mal nicht auf meine Anwesenheit zurück.

Dafür lernte ich dort Kate kennen und ihre irre Freundinnen, durfte in wilden Pub-Nächten Gel-Bras völlig fremder Frauen befühlen, stellte fest, dass weder Frauen noch Babies im Winter Strümpfe oder Socken benötigen und erfuhr, durch welche Parks ich nachts lieber nicht laufen sollte, wenn ich nicht von Frauen totgeprügelt werden wollte. Und ich lernte, dass (Alkohol) trinken wie atmen ist.

Unvergessen auch die Sex-Toy-Party, die aber einen anderen Namen hatte.. ich erinner mich nicht mehr. Jedenfalls mit Ann Summers Produkten. Ich wurde damals mehr oder weniger stolze Besitzerin eines Rampant Rabbit, um nicht völlig prüde neben diesen absolut wahnsinnigen Britinnen dazustehen. Damals war ich WEIT von prüde entfernt. Aber neben diesen Frauen - eine Klosterschwester. Bei der Party wurden jedem ein schlüpfriger Alliterationsname gegeben. Kinky Kate, z.B., oder Orgiastic Oka. So in der Art.

Die Zeit in Coventry war merkwürdig durchwachsen, ich erinner mich neben sehr lustigen Tagen und interessanten Gesprächen mit Ian, einem Mitbewohner, auch an sehr depressive Tage. Es war Winterzeit, die Arbeit teilweise arschlangweilig, ich war sehr in meinen damaligen Freund verliebt und empfand die räumliche Trennung als schwierig. Wohingegen der eine Kollege, der mich anfangs immer im Auto mitnahm, meinte: distance makes the heart grow fonder. Er nahm mich genau solang mit, bis ich eine Diskussion über Sadam Hussein mit ihm focht. Bis heute erinner ich mich an die Überschriften der britischen Zeitungen. "We got him." Ich wusste, dass man ein solches Thema lieber nicht mit Kollegen diskutiert, aber ich war jung und brauchte den Kick.

Ich lebte mit 3 britischen Studenten in einem klassischen roten back-to-back-Reihenhaus in einer WG, alle Hardcore-Kiffer, die nachts um 3 Uhr in der Küche unter meinem winzigen Schlafzimmer Basketball spielten. Das klang in etwa so: potong-potong-potong.... MUAHAHAHAAHAHAHAHAAAA!!! poton-poton!! MUHAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!! Ich wankte immer zwischen Lachen und Fluchen.

Genannte Küche wurde auch nie geputzt. Sie war dermaßen abartig schmutzig, verkrustet, vermüllt, dass ich dort weder kochte noch verzehrte. Irgendwann kam Ian's Vater, lachte sich die Verzweiflung über den Zustand der Küche fort und meinte dann: "What about you, I mean, you are a German woman. 'Kinder Küche Kirche', right?" Tja. Ganz falsche Frau dafür erwischt. Da mussten die Jungs schon selber putzen und beten.

Ich erzählte vor meiner Abreise nach England einem Freund, wohin es geht. Der schüttelte sich aus vor Lachen. "Kennst du das saying 'Being sent to Coventry'?" Ich verneinte. "Es bedeutet soviel wie: in die Verbannung gesendet werden." Wieso, fragte ich mit wachsendem Unwohlsein. "Es war ein wichtiger Standort für Rüstungsbetriebe während des WW II, und so setzte man es furchtbaren Bombardierungen aus." Ähnlich erging es später Dresden. Es ist kein Zufall, dass diese beiden Städte Partnerstädte sind.

Die Ruine der Kathedrale von Coventry ist wirklich so bizarr schön, wie es auf den Bildern aussieht. Ansonsten muss ich leider sagen: nein, von einem historischen Stadtkern sieht man wahrlich nicht mehr viel, und die Stadt gleicht einer Stadt, die man eben schnell wieder aus dem Boden stampfen musste.

Irgendwo in meinem Kopf gibt es eine Stelle die ansprang, als ich anfing das zu tippen, und ich durchsuchte das Blog. Tatsächlich habe ich schon mal über Coventry geschrieben, aber ich habe alle Beiträge vor einem gewissen Datum offline. Ich habe diese einzelnen nun Online gestellt.

Coventry - wie alles begann (lustigerweise Teil II)
Auszüge aus dem Tagebuch (Coventry Teil I). Die ACK ACK Firmenphilosophie hatte ich völlig vergessen.

So nun ganz klein das Nasengejammer. Das können Sie aber gerne überspringen.

Gestern Abend im Bett gelesen und vor dem Licht ausmachen nochmal kurz auf Toilette. Danach in den Spiegel geschaut und gedacht: des sieht aber ned gut aus. Schwellung und Rötung am Nasensteg auf der rechten Seite, nicht nur im Nasenloch, sondern auch außen in Richtung Mund. "Wenn in dieser Gegend mal etwas rot und dick werden sollte, dann überlegen Sie gar nicht erst, ob das vielleicht wieder weg geht. Wird es nicht. Kommen Sie direkt in unsere Praxis und wenn wir nicht da sind, ins Krankenhaus." Beschlossen, dass das jetzt Abends um 23 Uhr kein Fall für die Notaufnahme ist und doch erst mal zu schlafen. Heute Morgen die Schwellung im Außenbereich etwas besser, aber in der Nase nach wie vor vorhanden. Und nässt das da irgendwie...?

Beim HNO. "Gut dass Sie sofort gekommen sind. Da sind zwei kleine Fäden, die sich eigentlich längst hätten selbst auflösen sollen. Haben sie wohl nicht. Einer davon sticht inzwischen total blöd wie ein Dorn in das Fleisch, so dass dort Bakterien reingeleitet werden konnten und wir da nun eine bakterielle Infektion haben." Er drückt darauf rum. Da ich - ganz naturgemäß in dieser Sache - stets ohne Mund-Nasen-Schutz vor ihm sitze, darf ich keinen Piep von mir geben. Auch kein "Hm." Oder "MMMHHH". Er merkt auch so dass es weh tut. Das Auge tränte wieder. Pha, dachte ich nach dem Absaugen, die Hardcore Deepnose Krustenentfernung wäre unangenehm, so friemelte er heute diese Fäden aus dem Infektionsherd. Im Dissoziieren bin ich bald Weltmeister. Ich werde nicht mehr denken: es könnte schlimmer kommen. Das hat bisher nicht funktioniert, q.e.d.

Jetzt starke Antibiotikumsalbe. Wenn es bis Freitag nicht deutlichst besser ist, wieder vorbeikommen. Er wägt noch ab, ob er mir direkt wieder AB Tabletten gibt. Hatte ich aber halt erst knapp 2 Wochen lang nach der OP. Er schimpft noch über das "scheiss billige Material, das im Krankenhaus verbaut wird" und ich wunder mich, weil er doch selbst operiert hat, ob er denn da keinen Einfluss auf das Material hat, aber ich habe keine Energie mehr sowas zu hinterfragen und will auch einfach unbedingt glauben, dass ich in besten Händen bin.

Ich bin sehr müde. Ach ja, Friseur nächste Woche fällt natürlich flach, ab morgen machen die zu. Scheiss der Hund drauf, obwohl ich mich langsam so eklig fühle. Kein Sport, dieses Siechtum mit der Nase, das Kack Virus. Naja passen die Kack Haare auch noch dazu. Ja. Jammern auf hohen Niveau, aber wollte mal raus, meine Nerven sind etwas angeschlagen. Dachte mir dann: wenn schon eklig, dann richtig, und hab mir diese Fuß-Hornhaut-Entferner-Socken gekauft. Möge sich das auch noch schälen. In 2021 mache ich dann einen auf Coventry und erstehe aus Ruinen auf, harhar.

Zum Abschluss etwas Wärme vom Muttertier: "Wenn das mal einigermaßen durch ist oder wir alle geimpft sind, dann bussel und umarm und herz ich dich ganz ganz ganz feste." <3

ZDF RKI: 14.054 [15.342] neue Corona-Infektionen - ca. 450 bzw. 1.170 mehr im Vergleich zur Vorwoche.
Auch die Zahl der Verstorbenen bleibt mit 423 hoch.
Sieben-Tage-R-Wert: 1,06
Indizenzwert Mannheim 232,1 [231,8],
Ludwigshafen 347,2 [448,8]
Hof Stadt 373,2 [375,3] bzw. Land 209,9 [209,9]
[in eckigen Klammern die ZEIT Online Daten, die direkt aus den Städten und Landkreisen stammen]


Soundtrack of the day: ~ Rudolph The Red Nosed Reindeer



 
Dass es in Coventry sehr schäbig ist, kam sogar in den Nachrichten gut rüber. Danke für deine Berichte von 2006.
Beim Nachlesen der Geschichte stieß ich auf das Verb Coventrieren, die Zerstörung der Stadte aus der Luft war gemeint.

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@croco: ja, es ist so schade das sagen zu müssen, aber es ist wirklich schäbig. Wie gut, dass bei mir die Melancholie oft eine eher rosafarbene Patina über die Vergangenheit und somit auch über Coventry legt.

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