Donnerstag, 21. Januar 2021
314. Das Myom.
Heute Morgen steht ein Termin bei der Frauenärztin an zur Kontrolle meiner Myome. Bevor ich mich frei mache, berichte ich ihr wie es mir seit dem letzten Termin ergangen ist, bezüglich Turnus und Intensität der Periode und damit einhergehenden Schmerzen: ja, sie kommt regelmäßig und pünktlich, ja, sie ist sehr stark, ja, die Schmerzen auch, zum Glück nur während der Periode, da aber heftig. So stelle ich mir Wehen vor. Die heftigste Nacht der letzten 6 Monate verbrachte ich im Vierfüßler auf meinem Bett kniend, alles von kaltem Schweiss durchtränkt, krampfend und stöhnend wie eine Gebärende. Es brauchte viele Ibus und Stunden, bis ich im frühen Morgen ein bisschen Schlaf fand.

Als ich anschließend auf dem Untersuchungsstuhl liege, führt sie konzentriert die Ultraschalluntersuchung durch. Nach langem Schweigen und viel hin und her zwischen den Beinen zeigt sie auf den Bildschirm: „Hier, das ist das große, über 4 cm groß, doch so gut wie unverändert, es ist nicht weiter gewachsen. Das zweite kleinere auch nicht. Allerdings ist ein neues kleines hinzugekommen. Man sieht deutlich, dass hier ein Prozess im Gange ist.“ Sie signalisiert mir, dass ich mich wieder anziehen kann. Während ich vom Stuhl rutsche, fährt sie fort: „Früher hat man in solchen Fällen oft die Gebärmutter entfernt, doch heute hat man andere Optionen. Welche, das besprechen wir gleich.“

Das ist der Moment in dem mir klar wird, dass das hier vielleicht nicht einfach nur irgendwas kleines ist. Die Gebärmutter entfernen?? Während ich mich hinter einem Vorhang wieder ankleide, steigen mir Tränen in die Augen. Ich versuche mich zu beruhigen. Früher, hat sie gesagt, früher, es gibt jetzt andere Optionen. Alles okay, rede ich mir zu. Doch als ich mich zu ihr an den Tisch setze, bricht es aus mir heraus. Ich weine, entschuldige mich, „das hat mich jetzt doch etwas geschockt.“ Sie entschuldigt sich tausendfach, meint das war taktlos von ihr, dabei wollte sie mich beruhigen, es tut ihr leid, dass das Gegenteil eingetreten ist. Sie redet beruhigend auf mich ein, meint, dass für eine Gebärmutterentfernung keinerlei Grund besteht, und dass diese Myome auch gutartig bleiben.

Doch mir wird klar, dass es um etwas anderes geht. Dass ihre Aussage etwas angestoßen hat, und dieses Gespräch wollte ich schon lange mit ihr führen, doch noch nie habe ich mich getraut.

„Wissen Sie, mir wurde gerade nur so klar: Gebärmutter entfernen, das ist so endgültig, damit hat sich das Thema Kinder erledigt, und Sie erwähnten ja auch beim letzten mal, dass die Myome sich als problematisch darstellen, sobald man schwanger werden möchte. Aber… woher weiß ich denn, ob ich Kinder möchte? Es ist jetzt dieses Alter, und … ich hatte nie den dringlichen Wunsch Kinder zu bekommen, aber auch nie die Gewissheit, dass ich auf keinen Fall welche möchte.“

Sie fängt mich behutsam auf. Früher konnte ich mir ein Kind nicht vorstellen, also in den damaligen Phasen, und wenn es einen heiklen Moment gab, holte ich für alle Fälle die Pille danach. Auch gab es nie länger einen Partner, mit dem das Thema Kind hätte konkret werden können. Wir besprechen meine Situation, die gelagerten Eizellen, und dass ich damit sicher auch anderweitig verfahren wäre, wenn ich denn den Bedarf gehabt hätte (sie hat stets angedeutet, dass wir hier im Ausland Möglichkeiten hätten, sie ist ziemlich unkonventionell). Da stimme ich ihr zu, ich habe auch immer wieder diverse Optionen durchgespielt. Ohne Partner, mit Samenspende. Aber alleinerziehend in Deutschland? Nein danke, Corona hat das nochmal deutlicher gemacht. Ganz abgesehen von den damit verbundenen Kosten und der Ungewissheit, ob es beim ersten mal klappt, ob man ein weiteres mal versuchen möchte, und und und.. Mit Co-Parenting habe ich mich beschäftigt, oder mit Mutterschaft gemeinsam mit einem schwulen Paar, mich aber nie so sehr dafür erwärmen können, dass ich hier tiefer eingestiegen oder in Aktion getreten wäre. Letztendlich konnte in meiner Situation ohne Partner das Thema nie die Hand gewinnen über mein Studium und den anvisierten Ausbildungsweg, der noch lange und teuer wird. Und beides zusammen, Kind alleinerziehend und dieser Weg: no chance. Bzw. ginge das vielleicht sogar, in genannten Konstellationen, oder Mütter-WGs, die F. meinte auch mal, wir könnten es zusammen durchziehen (mit anderen Freundinnen hätte ich mir das vielleicht sogar vorstellen können), oder was weiß ich was. Den F. wollte ich sogar mal fragen, ob er mir Samen spenden würde und er sowas wie der Onkel sein wollen würde, ohne weitere Verantwortung. Dazu kam es nie, da kam etwas dazwischen, egal. Wie gesagt: die Option Kind konnte sich in all diesen Umständen nie durchsetzen.

Mit meiner alten Freundin N. habe ich zum Glück eine sehr empathische, feinfühlige Gesprächspartnerin zu diesem Thema, die mich unfassbar gut kennt. Mir hilft ihre Sicht als Mutter von drei Kindern, in jeder Hinsicht. Ich bin sehr dankbar für die Gespräche, die wir in den letzten Jahren zu diesem Thema hatten.

„Was ist, wenn ich das aber irgendwo ganz tief in mir unterdrücke?“ Die Ärztin schaut mich an mit weichem Blick, sagt, es rührt sie, dieses Gespräch, weil sie ja auch ihren eigenen Weg kennt (den ich nicht kenne). „Ich glaube nicht, dass das so ist. Sie stellen sich der Situation, haben in Gedanken Optionen durchgespielt, befassen sich damit, immer wieder. Und das wichtigste: sie lassen die Emotionen zu. Seien Sie froh, dass Sie niemand sind, der den dringlichen Wunsch hatte und nun in Ihrer Situation ohne Partner ist oder bei der es aus anderen Gründen nicht klappt. Ich sehe oft solche Frauen, und die kriegen die schlimme Krise, die sie befürchten. Es ist schrecklich und tut weh. Bei Ihnen kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Krise kommt. Und ich kann Ihnen versichern: bei fast allen Frauen, egal ob sie Kinder haben, und wenn ja, wie viele, oder keine, und ob man welche wollte oder nicht: es geht um den Abschluss einer Phase. Die lässt man hinter sich, und somit auch Möglichkeiten. Das macht mit jedem etwas. Das ist völlig normal.“

Wir diskutieren die Optionen bzgl. Myombehandlung. Stand heute könnte ich so gar nicht schwanger werden. Der 4 cm Patient befindet sich genau da an der Schleimhaut, wo sich eine befruchtete Eizelle einnisten sollte. Da eben keine Kinderplanung ansteht, besteht kein Operationsbedarf. Bei der Alternative der östrogenarmen Pille winke ich ab und werde es vorerst bei punktueller Schmerzbekämpfung mit Ibu belassen. Bei der Verabschiedung entschuldigt sie sich nochmals, doch ich antworte, dass wir diese Unterhaltung sonst nicht geführt hätten, und dass das wichtig war und mir sehr geholfen hat.

Auf dem Heimweg denke ich über das Gespräch nach, über mich, mein Leben, wo ich stehe, wo ich hin will. Über die Eizellen, und dass ich mir immer gut ein Leben ohne Kinder vorstellen konnte, aber eben auch mit.

Zu Hause schaue ich aus dem Fenster und sehe einen Regenbogen, davor tanzen zwei Tauben, immer wieder, auf und ab, im Kreis.








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